Grimmelshausen. Dieter Breuer
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„Vnica salus est imperantis, ex Dei lege gerere Rempublicam, iustitiam, aequitatemque tueri“ –, auf diese Formel hatte Contzen seine Auseinandersetzung mit dem von ihm so bezeichneten „Pseudopoliticus“ Machiavelli gebracht, übrigens in einer Dedicatio (1628) an sein „Beichtkind“ Kurfürst Maximilian I. von Bayern,77 in dessen militärischen Diensten ja auch Grimmelshausen zeitweilig gestanden und dem der Dichter in Cap. 18 des Springinsfeld ein literarisches Denkmal gesetzt hat.78
Welchem Staatstheoretiker der Contzenschen Richtung Grimmelshausen hinsichtlich des religiösen Fundierungsprinzips der Politik gefolgt ist, ist vorerst noch nicht auszumachen. Gewiß ist nur, daß er 1670 einen ganzen Traktat (Zweyköpffiger Ratio Status) in den Dienst der antimachiavellistischen Argumentation gestellt hat. Die Staatsräson bleibt für ihn an moralisch-religiöse Prinzipien gebunden. „Der“ (!) Ratio Status, so heißt es im einleitenden grundsätzlichen Diskurs dieses Traktats, besteht „principaliter nur in zweyerley Gestalt/nemlich in gut und böß/je nach dem er etwan von rechtmässigen/frommen/Gott und der Welt gefälligen Regenten/oder aber von ungerechten/gottlosen Tyrannen/[…] beherbergt/und ihme Folge geleistet wird“.79 Die lipsianische „prudentia mixta“, die Contzen in seiner Staatslehre (1620) gleichfalls zurückgewiesen hatte, läßt Grimmelshausen ebensowenig gelten: „Dann wo er [„der“ ratio status] mittelmässig/das ist lau/oder halb wild/halb zahm erscheinet; da könnte ich nicht glauben/daß er die Mittel-Straß so genau treffe/daß er sich nicht mehr auff die eine als die andere Seite lencken sollte“.80 Und er kommt zu einem Ergebnis, das ihn als Anhänger der theologisch fundierten frühabsolutistischen Staatslehre der Contzenschen Richtung ausweist:81
Ich wollte sagen/daß er („der“ ratio status) entweder mehrers der Erlaubten ja gebottenen selbst Erhaltung/darzu alles von Gott und der Natur verbunden/sich ereignet/oder den gottlosen Machiauellischen Staats-Regeln zu viel beypflichtet und denen nachöhmet.
Die nachfolgenden Diskurse über die biblischen Bücher Samuelis, auf die sich die frühabsolutistische Herrschaftstheorie stets bezogen hat, dienen Grimmelshausen ausschließlich dazu zu zeigen, „wie gar nichts der Machiauellische Ratio Status gegen denen vermöge/die sich auf Gottes Hilf verlassen und nach seinem heiligen Willen leben“.82
Ist mit dem Titel der Joseph-Histori also bereits der begriffliche Horizont angedeutet, in dem Grimmelshausen sich bewegt, so behandelt die Histori selbst spezielle Probleme monarchischer Herrschaft aus der Sicht der theologisch fundierten frühabsolutistischen Herrschaftstheorie.
Grimmelshausen beginnt seine Histori mit einer Aufzählung von Josephs natürlichen „Gaben“: körperliche Schönheit, ein hoher, scharfer und fähiger Verstand, gutes Gedächtnis und rasche Auffassungsgabe, ein ausgeprägter Lernwille, der sich auf Astronomie bzw. Mathematik, Magia bzw. Philosophia naturalis, Traumdeutung, Arzneikunde, Ackerbau, die „Wissenschaft wol Hauß zu halten“, also die Ökonomie, und fremde Sprachen erstreckt. Hinzu kommen moralische Qualitäten: Joseph ist „sehr demütig/fromb/auffrichtig/redsprechig/freundlich und holdseliger Geberden“, er ist „von Gott selbst zum höchsten beliebt“ (11), „vom gütigen Himmel so erschaffen: Und durch das Gesetz der Natur also unterwiesen/daß er nichts anders als Tugend würckte“ (10), und er vertraut auf das Wirken der göttlichen Vorsehung,
Alle diese tugendhaften Anlagen verweisen auf eine hohe Standesperson, sind zum Teil die traditionellen Voraussetzungen des idealen Regenten.83 Aber dieser hohe Stand ist vorerst nur in den Traumdeutungen seines Vaters als Hoffnung auf „künfftige Hochheit“ (14), „künfftige Würdigkeit“ (17) und Regentenamt ersichtlich. Joseph ist nicht schon geburtsmäßig „ein grosser Herr“, sondern soll es erst noch werden (17). Er verfügt über Regenteneigenschaften und bildet sich im Bewußtsein der „prophezeyten Herrlichkeit“ (19) darin ständig weiter; ist aber sozial gesehen von allen Möglichkeiten des Regierens, – zunächst als Nachgeborener, dann als Leibeigener – abgeschnitten. Damit aber ist die Joseph-Histori auf die Frage des sozialen Aufstiegs eines Tugendhaften, der nicht dem hohen Stand angehört, zugespitzt, – ein Problem, das, wie Koschlig gezeigt hat, auch die Person Grimmelshausen selbst betrifft.84
So ist es nicht verwunderlich, daß im Mittelpunkt der Joseph-Histori die Erörterung der Frage steht, welche politischen Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit sich dieser durch göttliche Vorsehung festgelegte, also letztlich nicht aufhaltbare Aufstieg vollziehen kann. Da Grimmelshausen hierbei alternativ vorgeht, können wir auch eine Antwort auf die Frage nach der für den nicht privilegierten Tüchtigen besseren politischen Ordnung erwarten.
Grimmelshausen spielt Josephs Möglichkeiten in zwei unterschiedlichen monarchischen Systemen durch; er stellt dem Regime des alten Pharao das neue Regime des jungen Königs Tmaus gegenüber, welches letztere sich an den Staatszweckbestimmungen der frühabsolutistischen Staatsreform orientiert.
Das Eintreffen Josephs in der „Königlichen Residentz-Stadt Thebe“ (36) gibt Gelegenheit, das alte Regime zu kennzeichnen. Der alte Pharao, „ein abgelebter eyfersüchtiger Herr“, der „der alten geitzigen Art nach/die Baarschafft liebet“, folgt undiszipliniert und unberaten seinen Launen und Abneigungen, seinen vom Eigennutz bestimmten Affektantrieben. Ähnlich verhalten sich die in der Histori erwähnten Inhaber der Hofämter, was vor allem am Beispiel des „Königlichen Kuchenmeisters“ Potiphar illustriert wird; dieser nutzt sein Amt zur persönlichen Bereicherung aus, indem er „etliche Königliche Güter“ zu sich zwackt (71), und betreibt gegen vernünftige Erwägungen und gegen einen warnenden Orakelspruch eitel, „wie alle alte vergeckte Buhler zuthun pflegen“ (39), seine auch politisch motivierte Heirat mit der jungen Selicha.
Noch deutlicher wird die Problematik des alten Regimes in der Figur der Selicha. Diese, „des Königlichen Hoffmeisters Dochter […] die Mutter halber aus Königlichem Stammen geboren war“ (39), entspricht in ihrem affektgeleiteten Verhalten noch weniger als die übrigen hohen Standespersonen den Anforderungen ihres hohen Standes. Gegen „hohe Vernunfft“ und „Tugend“ (48) überläßt sie sich ganz ihren Affekten. Die Ehe mit dem alten Potiphar ist sie nur mit dem stillen Vorbehalt eingegangen, Potiphars Verwalter Joseph für sich zu gewinnen. Anreizen „zum Wollust“, Ausspielen ihrer sozialen Überlegenheit, Mißachtung der höfischen Umgangsformen, Drohungen, Intrigen sind ihre Mittel, um Joseph von seiner Treuepflicht gegenüber seinem Herrn abzubringen, und als nichts fruchten will, rächt sie sich ebenso unbeherrscht an Joseph. Sie ist auch nicht in der Lage, ihre Affekte zu verbergen; man sieht ihr an, „wie Zorn und Lieb in ihrem Gemüth rumorten“ (51; 63), sie muß daher in der Furcht leben, „daß die stumme Wänd auch Ohren haben“ (47). Die göttliche Vorsehung ist für sie nur als beklagenswertes „Verhängnuß“ erkennbar (45f.). Sie stirbt denn auch an einer Gemütskrankheit,85 und da ihr Tod zeitlich mit dem des alten Pharao zusammenfällt, erhält er Sinnbildcharakter für die von Joseph bereits prognostizierte Selbstzerstörung des nicht an „Vernunft“ und „Tugend“ orientierten alten Regimes.
Vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Staatslehre kann nicht überraschen, daß Grimmelshausen den Konflikt zwischen Joseph und den Vertretern des alten Regimes als einen Konflikt um den sozialen Aspekt des Tugendbegriffs (virtus socialis) besonders herausarbeitet. Diese Auseinandersetzung spiegelt sehr genau die Schwierigkeiten wieder, die bei der Durchsetzung der rigorosen neustoizistischen politischen Ethik des Justus Lipsius auftraten, durch die die Souveränität und Machtfülle des absoluten Herrschers vor der Vernunft überhaupt nur gerechtfertigt werden konnte – ein Vorgang, für den G. Oestreich den Begriff der Disziplinierung von Fürst, Beamtenschaft und Untertanen geprägt hat.86
Selicha