Grimmelshausen. Dieter Breuer

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Grimmelshausen - Dieter Breuer

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Was! Tugenden? Sagte sie/gehorsam solt sein gröste Tugend seyn/damit er mir verbunden ist […]. (54). Schau nur/wann du gleich aller Welt Tugenden hättest/so werden sie dir doch nicht anstehen/oder zu deiner Beförderung an dir wargenommen werden/und also dir nichts helffen können/weil du ein leibeigner Knecht bist; wann du aber nach meinem Willen lebest/welches du ohne das zu thun schuldig bist/so könnte ich dich frey und glückselig machen/welches dir deine Tugenden nicht leisten können […]. (58)

      Damit ist der soziale Status Josephs aus der Sicht des alten feudalen (auf einer ständischen Gesellschaftsordnung beruhenden) Regimes gekennzeichnet: er ist abhängig von der Willkür privilegierter Standespersonen, die ein nicht auf Eigennutz, sondern auf das Wohl der ganzen Sozietät gerichtetes Wertbewußtsein nur so lange gelten lassen, wie es die eigenen Vorrechte nicht stört.

      Unverhältnismäßig schroff, wohl weil es auch um die eigene soziale Situation geht, läßt Grimmelshausen Joseph Argumente der frühabsolutistischen Adelskritik vortragen:

       Gnädige Hochgebiedente Frau/ich weiß wohl daß ich ein armer verkauffter Knecht bin/aber eben darum muß ich mich um so viel desto mehr befleissen/desto reicher an Tugenden zu seyn; ich weiß wohl/daß ich meiner hochgebiedenten Frauen in Unterthänigkeit zu gehorsamen schuldig bin; aber darneben ist mir auch nicht verborgen/daß sich mein Gehorsam nicht weiter erstreckt/als in billichen Dingen/und nicht in solchen Sachen/die meinem Herren zum Schimpff gereichen; und wann mich schon die Tugenden zu nichts befördern […] so nutzen sie doch meinem Herren/in dem sie mich lernen/ihme treu zu seyn/worzu er mich vornemlich erkaufft hat […]. (59)

      Als Nichtprivilegierter kann Joseph nur mit Hilfe seiner Tugenden, seiner moralischen und praktisch-politischen Qualifikation sozial aufsteigen; entsprechend der frühabsolutistischen Staatslehre hat die Gehorsamspflicht des Untergebenen ihre Grenze am natürlichen und göttlichen Recht, und wenngleich das Tugendverhalten des Untergebenen nicht zur persönlichen „Beförderung“ dient, also nicht anerkannt wird, so dient es doch dem größeren Zweck des Gemeinwesens bzw. hier des Hauswesens.

      Das ist stoizistisch gedacht, und der Verwalter Joseph ist tatsächlich als pflichttreuer, leistungsbewußter Funktionsträger im neustoizistischen Sinne dargestellt. Unablässiger Fleiß, Gelehrsamkeit mit ständiger Weiterbildung in den Wissenschaften, Freundlichkeit gegenüber seinen Untergebenen und kluge Menschenführung mit dem Ziel, „sonst auf nichts/als auf seines Herrn Nutzen zu gedencken“ (39), dazu Vertrautheit mit den modernen höfischen Umgangsformen und Bescheidenheit und Demut als Berater seines Herrn, – alle diese Tugenden haben ihr Zentrum in seiner Selbstdisziplin, in der Fähigkeit, sich im Vertrauen auf die göttliche Vorsehung „gegenüber allem Vernunftwidrigen fest zu verhalten“,87 bzw., in den Begriffen der neustoizistischen Tugendlehre ausgedrückt, in seiner constantia oder fortitudo. Joseph bleibt, seine Affekte beherrschend, „in Glück und Widerwertigkeit ohnverändert“ (41). Das Ausrufezeichen hinter dem Satz: „Aber sein Vorsatz fromm [d.h. hier: nützlich, rechtschaffen] zu seyn/überwand doch!“ (57), ist ein bezeichnender Autorkommentar im Sinne hartumkämpfter Vernunftorientierung und Selbstdisziplinierung.

      Unter dem alten Regime, das führt nun der Autor vor, kann Joseph als nichtadeliger Vertreter der neuen stoizistischen Pflichtenethik nicht reüssieren; er wirkt hier wie ein Fremdkörper, und nicht der soziale Aufstieg, sondern Verleumdung, Gefängnishaft und Morddrohung sind das Ende, das freilich von Joseph stoizistisch als neue Bewährungsprobe aufgefaßt wird (72). Das hierbei auftretende Theodizeeproblem, daß nämlich „die Tugenden endlich auch selbst durch die Laster zerscheidert würden“ (68), löst Grimmelshausen, ganz im Sinne der frühabsolutistischen Staatslehre, durch einen Regimewechsel: der Staat, in dem Joseph ein seinen Fähigkeiten angemessenes Amt findet, muß erst noch geschaffen werden, und zwar entsprechend der absolutistischen Staatsreform, durch Umstrukturierung der bestehenden Gesellschaftsordnung. Die Initiative für die Reform geht dabei, wie üblich, vom (durch Erbfolge legitimierten) neuen Herrscher aus (Reform von „oben“).

      Der junge König vertritt wie Joseph die neue, am Gemeinwohl orientierte Staatsauffassung. Er entfernt noch vor seiner Krönung eigennützige, „pflichtvergessene“ Hofbeamten aus ihren Ämtern (78). Vor allem aber geht er – im Sinne der frühabsolutistischen Staatslehre, etwa Contzens – davon aus, daß pietas, die demütige Unterwerfung unter die göttliche Vorsehung, und prudentia, die vorausschauende, auf das Wohl des ganzen Staates bedachte ratio status, untrennbar verbunden sind.88 Dies ist ein Grund für die Glaubwürdigkeit von Josephs Prognose, derzufolge „Gott nicht allein offenbahrt [hat]/daß er [Pharao] Egypten beherrschen soll; sondern auch das wichtige nicht verhalten/so unter seiner Regierung geschehen wird; damit er deswegen bey Zeiten weißliche Vorsehung thue/und Land und Leut im Wolstand erhalte“ (86). Daß Joseph glaubwürdig, weil „zierlich“89 und kenntnisreich, die religiös fundierte Staatsräson vertritt, ist dem König Grund genug, nach kurzer Beratung mit den vornehmsten „Reichs=Ständen“, ihm die Regierungsgewalt zu übertragen:

       Wir haben so wohl aus deiner Weißheit und Wissenschaft: als auch aus deinem offenhertzigen Gemüt genügsame Hoffnung geschöpfft/du werdest die Stell des jenigen am besten vertretten können/den du uns zu suchen gerathen hast; Darum nun so sihe/wir übergeben dir des Reichs Siegel/und mit demselben allen Gewalt über gantz Egypten; nichts wird mein Person von sich behalten/als den Königlichen Titul: Zepter/Cron und Thron: hier stehen die Vornemste des Reichs dir zu Gebott/und glauben/du werdest solchen Gewalt/den wir dir geben/nicht mißbrauchen/sondern zu unserer Nation Aufnehmen: Nutzen und Erhaltung anwenden; als welcher Glückseligkeit du dich alsdann auch selbst zu erfreuen hast/vornemlich/wann du ihr also vorstehest/wie wir ein Vertrauen zu dir haben. (87)

      Noch deutlicher formuliert der König das Prinzip des religiös fundierten politischen Handelns bei der offiziellen Amtsübergabe:

       Befleisse dich derowegen/deiner Weißheit nach/so regieren zu helffen/daß weder die Götter/noch die Völcker der Egyptischen Cron an uns etwas zu tadelen finden mögen. (91)

      Diese Übertragung des höchsten Staatsamtes zwischen König und Reichsständen an einen kaum rehabilitierten Nichtadeligen, dazu seine rasche Verheiratung mit der dem Hochadel angehörenden Asaneth – eine politische Heirat, die zugleich Liebesheirat ist –, das liest sich wie ein Märchenschluß und ist auch, gemessen an den sozialen Aufstiegsmöglichkeiten zur Zeit Grimmelshausens, unwahrscheinlich. Dennoch bewegt sich Grimmelshausen auch hier im Umkreis der frühabsolutistischen Staatslehre, der es darum geht, die königliche Zentralgewalt gegenüber den Privilegien der Stände durchzusetzen und die dazu die Institution des dem Gemeinwohl verpflichteten, von den höheren Ständen unabhängigen Beraters vorgeschlagen hat. Allerdings ist meines Wissens das Postulat, den Berater ausschließlich nach seiner (religiös verankerten) prudentia auszuwählen, selten vertreten worden.

      Zu dieser Beobachtung paßt, daß sich auch im Teutschen Friedens-Raht, im Kapitel „De Consiliariis. Von Rähten“, eine einschubartige Stellungnahme zu dieser Frage findet, die ähnlich schroff formuliert ist:90

       Et paulo post: Es soll auch ein Fürst/das vermögen/geschlecht/oder vorschrifften nicht ansehen/sonder allein den Verstand und geschicklichkeit/dann die ämpter sollen mit personen/und nicht die Personen mit ämptern bestellt werden. Das ist man soll nicht nach favor oder gunst/noch wegen geschenck die dienst verleihen/sonst pflegt man zu sagen/Hat man Geld/so ist er ein Held. Der mit guldenen Äpffeln werfen könnte/der ist ein gewesener Mann.

      Wie man diese Stellungnahme auch bewerten mag, Grimmelshausen hat sich in seiner Joseph-Histori auf seine Art mit dem Problem des sozialen Aufstiegs des Tugendhaften auseinandergesetzt: Denkbar erscheint ihm dieser Aufstieg, jedenfalls zu diesem Zeitpunkt, offenbar nur im Rahmen der frühabsolutistischen Staatsreform.

      Die positive Bewertung der religiös verankerten absolutistischen Staatsordnung geht auch

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