Grimmelshausen. Dieter Breuer
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Joseph aber gab niemand kein Getraidt/als um paar Geld/und als solches auch nach und nach/um Früchten/zu des Königs und Josephs Handen kommen war/musten silberne und güldene Geschirr/allerhand Kleinodien/Perlen und Edelgestein/die sonst viel Jahr lang wohl aufgehebt worden/hervor; also/daß bey nahe kein güldner noch silberner Ohren- oder Finger-Ring im Land verblieb/welcher nicht dem Pharao zu Theil wurde; es mochte aber alles nicht erklecken/also/daß die arme Leut/ihr Leben vorm Hunger zu erretten/in den fünff letzten Jahren erstlich ihr Vieh und ligende Güter/ja endlich ihre eigne Leiber zu ewiger Dienstbarkeit/um Proviant dem Joseph verkaufften; Derohalben wurde der König ein Herr über alles/was sich in Egypten befand; nur die Priester/darunter auch Josephs Verwandten verstanden werden/behielten ihre vorige Freyheit und Aecker […]. (120f.).
Um nach Normalisierung der Lage die Bewirtschaftung des neuen Kronlandes sicherzustellen, richtet Joseph „unveränderliche Mäyerhöfe“ ein, die er an Königsleute verpachtet – „in aller Maß und Form/wie man noch heutigs Tags den Bauern die Land-Güter zu verleihen pflegt“ (121), so fügt der Autor aktualisierend hinzu. Auch den außenpolitischen Auswirkungen der „neuen Ordnung“ weiß Joseph zu begegnen; er verhindert den drohenden Krieg mit den gleichfalls von den Mißernten betroffenen Nachbarstaaten durch eine geschickte Außenhandelspolitik, mit dem Ergebnis, „daß Egypten damals seines gleichen Königreich/weder an Macht der Mannschaft/oder Geldmitteln noch Proviant in der Welt nicht hatte“ (104f.). Am Ende steht demnach der nach innen gefestigte und nach außen abgesicherte zentral gelenkte monarchische Machtstaat.
Wie die frühabsolutistischen Staatslehrer sieht auch Grimmelshausen in der zentralen staatlichen Planung und Lenkung des Wirtschaftsprozesses die entscheidende Voraussetzung der Machtbildung im Interesse des Gemeinwohls. Und analog zu jenen versucht er mit seinen erzählerischen Mitteln den Nachweis zu erbringen, daß ein derartiger Prozeß der Machtbildung im Vertrauen auf die providentia Dei nicht unmoralisch verlaufen muß, sondern iustitia und aequitas erst gewährleistet.
Offenbar während der Arbeit am Teutschen Friedens-Raht sind ihm jedoch Bedenken an der Vorbildlichkeit von Josephs Wirtschaftspolitik gekommen. Dort wird nämlich im 3. Teil (cap. 17) die Frage diskutiert, „ob deß Fürsten Schatz besser und sicherer bey seinen Unterthanen/oder in seiner Fürstlichen Schatzkammer seye“.92 Der Autor entscheidet sich gegen die Politik der Schatzbildung, wie sie noch Contzen vertreten hatte,93 und für die Vermehrung des Geldumlaufs; es sei „besser und sicherer/deß Fürsten Schatz sey bey seinen Underthanen“:94
Gleich wie es eine ungestalt eines Menschen/und daß umb denselben nicht wohl stehe/noch lang mit ihm währen könne/ein gewisses Zeichen ist/wann der kopf übernatürlich groß/dick/und geschwollen ist/der leib aber und alle desselben gliedmassen gantz dürr/gar mager/und außgeschmachtet seind: Also stehet es nicht wohl umb das Land/dessen Regent alle der Underthanen Güter und vermögen an sich zeucht/oder dieselben mit ungebürlichen aufflagen außsäuget/und sie arm/sich aber reich machet.
Eine solche Schatzbildungspolitik läuft nach Meinung des Autors Gefahr, den Zweck des Fürstenstaates, die bessere Sicherung des Gemeinwohls, zu verfehlen; der Fürst habe zu bedenken,95
daß ihn Gott umb der Underthanen willen geschaffen habe; Underthanen könten auff allen fall ohn Fürsten wohl leben/und sein/Aber Fürsten können keine Fürsten sein/sie müssen Underthanen haben. […] Dann Gott uns alle eben frey und einem den anderen gleich erschaffen/die Regenten sein allein zu der Underthanen nutz erschaffen/damit sie desto leichter die menschliche und Burgerliche Societät erhalten.
Diese Argumentation greift nun Grimmelshausen in der Fortsetzung der Joseph-Histori, dem Musai (1670) auf. Pharao hat die „schläfferige Andacht“ der Bevölkerung bei einer staatlichen Kultfeier beobachtet und, in Kenntnis der politischen Funktion der Staatsreligion, als Indiz für eine Gefährdung seiner Herrschaft interpretiert:
[…] sollte die Andacht des Volcks samt den Göttlichen Diensten/die sie meinen Vorfahren zuerzeigen gewohnet seyn/fallen; So wäre zubesorgen/daß mein Königlicher Gewalt endlich auch einen Stoß nehmen dörffte. (163)
Joseph, der die Ursache des bedrohlichen Popularitätsverlusts klären und beseitigen soll, berät sich mit seinem Schaffner und Ökonomen Musai, und dieser fordeß dert nun unter Berufung auf göttliches und natürliches Recht mit Vehemenz, die Politik der Mehrung des Staatseigentums zu revidieren:
Ha! Antwortet Musai/was bedarffs vieler Nachgründung? Die arme Tropffen seynd von aller Reichthum und Barschafft durch die Königliche Cammer dergestalt ausgesogen und in Armuth gesetzt worden/daß ihnen Freud und Muth wohl vergehen muß; […] warum hätt er hiebevor dem Pharaone ein Rath geben/dardurch alle Reichthüm der halben Welt in seine Schatz-Cammer zusammen geflossen? Sehet mein Herr! Darum trauret das erarmte Land; dessen Inwohner weder eigne Aecker/noch Häuser/noch Viehe/noch Geld besitzen/noch eigne Herren über ihre eigne Leiber mehr seyn/denen doch Gott und die Natur solche so wohl als dem König den Seinigen zum Eigenthum angeschaffen; Warum liegen die Kauffmanns-Händel allerdings vergraben? Darum/daß dem seuffzenden Volck keine Mittel übrig gelassen worden/gleich: und mit anderen Nationen zu handeln; das arme Volck hat kein Gelt und Pharao läßt es hingegen übereinander verschimlen; Weßwegen ohne Zweiffel mancher arme Tropff Rach über dich schreyet […]. Ich könnte nur zuverstehen geben/daß mich bedunckte/du habest dem Gesetz der Natur nicht so gar gemeß gehandelt/daß du so viel und grosse Schätz allein dem Pharaone zugeeignet/die doch von der Natur gegeben worden/daß nit nur der König/sondern alle Menschen deren geniessen und sich ihrer erfreuen sollten. (163f.)
Josephs Staatsschatzpolitik, die doch ursprünglich nur die zentrale Machtbildung im Interesse und zum Schutze des Gemeinwohls und gegen ständische Partikularinteressen sowie gegen Bedrohungen von außen sichern sollte, hat ihre Eigengesetzlichkeit entwickelt und ist in Konflikt mit dem Gemeinwohl und damit mit den natürlichen Rechten der Untertanen geraten; sie mindert auch nicht mehr die Kriegsgefahr, sondern erhöht sie:
wann ein kriegerischer König auffstünde/der heut oder morgen solchen Schatz zu Waffen und Soldaten anlegte; könnte er nicht als dann die gantze Welt mit Krieg/Mord und Brand betrücken? (164)
Diese von Musai vorgetragene harte Kritik an der Politik des Regenten Joseph gibt insofern Rätsel auf, als sie auch den zunächst selbstverständlichen Vorbildcharakter Josephs in Frage stellt. Die Kritik veranschaulicht, wie ich meine, daß Grimmelshausen seine Auseinandersetzung mit der absolutistischen Staatsauffassung konsequent weitergetrieben hat. Erzählerisches Mittel ist ihm die Figur des Musai. Schon daß Musai religiös weniger stark gebunden ist als Joseph, daß er erst spät (wie übrigens auch Asaneth) durch Josephs Einwirken zum „einigen himmlischen Gott“ (151) konvertiert ist und konfessionelle Toleranz übt (139), daß er sich zeitlebens mit der Magia naturalis beschäftigt und die „Göttliche Allmacht und Wunder an den schönen vielfarbigen Blumen und andern neugebornen Erdgewächsen zu betrachten“ weiß (173), kennzeichnet ihn, von autobiographischen Bezügen einmal abgesehen,96 als Vertreter des neuen irenischen, frühaufklärerischen Denkens, wie es nach 1650 sich im oberdeutschen Raum etwa am Hofe des