Grimmelshausen. Dieter Breuer
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Die traditionellen Argumente für den Krieg („die Hochheit der Nutz und die Nothwendigkeit des Kriegs“) findet Grimmelshausen im zeitgenössischen Nachschlagewerk des Tomaso Garzoni (Piazza Universale, 81. Diskurs: Vom Kriegswesen insgemein)120. Jedoch relativiert er dessen aus den antiken Schriftstellern gezogene Argumente sogleich durch eine Wenn-dann-Konstruktion: Wenn das Glück des Menschen in der Rache bestehe, dann sei der Krieg das geeignete Mittel, diesen Zweck zu erreichen; gleiches gelte für den Fall, daß das höchste Gut des Menschen „in Hochheit [= hohem Stand]/Reichthumb/eusserlichen Ehren und grossem Gewalt“ bestehe121.
Man sieht, daß für Grimmelshausen die Gründe zur Rechtfertigung des Krieges eine Konsequenz eines bestimmten, jedenfalls unchristlichen Menschenbildes sind, von dem er sich distanziert. Ernsthafter referiert er – immer nach Garzoni – das Argument aus der Politik des Aristoteles, daß der Krieg zur Verteidigung notwendig und damit gerechtfertigt sei: „vergeblich würde es seyn/das Feld zu bauen/und allerhand Arbeit fürzunemmen/sich zu ernähren und auszubringen/wann man nit auch besondere Leuth hätte/die einen ieden bey dem seinigen wider allen Gewalt und Unrecht beschützten/welchs dan ohn Krieg nicht wohl geschehen mag.“ Ein solcher „gerechter Krieg“: „nit zwar zuer Belaidigung [= Angriff]/sonder zu einer nothwendigen Defension“, sei zugleich aber auch ein geeignetes Mittel, ein Imperium, ja die Weltherrschaft zu begründen, die Tugend der Tapferkeit zu üben, Ruhm und Reichtum oder die Freiheit zu erlangen (Letzteres wird am Beispiel des Schweizer und des Niederländischen Freiheitskrieges exemplifiziert). Aus dieser Wertschätzung des Krieges wird sodann, nicht unlogisch, die traditionell hohe Bewertung der Kriegskunst abgeleitet sowie die Verehrung der Kriegshelden, die sich einen „unsterblichen Namen“ gemacht hätten, – angefangen bei den Helden des Trojanischen Krieges und dem Perserkönig Cyrus bis hin zum bayerischen und kaiserlichen Reitergeneral Jean de Werdt aus dem Dreißigjährigen Krieg122. Grimmelshausen bricht die schier endlose Reihe von traditionellen Vorbildgestalten mit dem von Garzoni übernommenen Seufzer ab, daß sie, „wann man sie nach Gebühr alle nennen sollte/ehender die Feder stümpffer als einesten Gedächtniß müeth machen würden“123. Wie man unschwer erkennt, ist das Garzoni-Referat so angelegt, daß es durchaus auch ironisch verstanden werden kann, da sich das theoretische Argument des scheinbar gerechten Verteidigungskrieges bei der kleinsten Konkretion ins Gegenteil verkehrt.
Die ironische Demontage erhabener Kriegsgründe wird im „Gegensatz“ aus der Perspektive der Opfer drastisch bestätigt und ergänzt“124: „Es scheinet als wan dieser Discurs alIerdinges keines Gegensatzes bedörffe/dieweil im verwichenen Teutschen Kriege ein ieder genugsam/und zwar mit unwiederbringlichem Schaden/erfahren haben wird/was der Krieg sey?“ Die bloße Erinnerung an die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges müßte eigentlich genügend Evidenz haben, so der Autor, um die Suche nach Argumenten gegen den Krieg überflüssig zu machen. Doch der Schein trügt; die bewußten „jungen Schnautzhahnen“, „die nur deßwegen gern einen Krieg sehen/weil sie nit wissen was Krieg ist“, nötigen den Autor zu unverdrossener, wenn auch letztlich vergeblicher Warnung vor dieser Verkehrtheit jugendlichen Erfahrungsanspruchs, „damit wan sie etwan (so doch der getreue Gott laııgfristlich verhüten wolle/ihren Närrischen Wundsch erlangen/sie sich beyzeit darauff gefast gemacht haben“125. Damit erhält die oben zitierte Intention des Autors: „mit dem wenigen so ich erfahren/sie sich beyzeit darauff gefast gemacht haben“125. Damit erhält die oben zitierte Intention des Autors: „mit dem wenigen so ich erfahren/meinem Nebenmenschen zu dienen“, einen sehr konkreten Sinn. Zwanzig Jahre nach dem Friedensschluß von Münster und Osnabrück ist eine neue Generation herangewachsen, die den Krieg nicht mehr aus eigener Anschauung kennt, die alten Rechtfertigungsgründe des Krieges tatsächlich ernst nimmt, den Krieg als abenteuerliche Alternative zum alltäglichen Einerlei eines bescheidenen, oft bedrückenden Lebens in den engen, zu engen Grenzen des eigenen Standes ansieht und den Kriegsdienst als raschen Weg zu Reichtum, Ruhm und Freiheit wähnt. Gegen diesen lebensgefährlichen „Närrischen Wundsch“ setzt Grimmelshausen die Schilderung der erfahrenen verheerenden Folgen des Krieges.
Daß der Krieg den Unerfahrenen als erstrebenswert erscheint, hatten vor ihm bereits Erasmus von Rotterdam (1515) und, diesen auszugsweise referierend, Sebastian Franck (1539), die beiden christlichen Pazifisten des 16. Jahrhunderts, eindringlich dargelegt. Grimmelshausen entnimmt die Argumente für den „Gegensatz“ seines Kriegsdiskurses dem Erasmus-Traktat „Dulce bellum inexpertis“in der deutschen Übersetzung Ulrich Varnbülers (Basel 1519)126. Da es sich um einen verdächtigen, indizierten Autor handelt, dessen biblisch begründete Kriegskritik noch in Zedlers Lexikonartikel Krieg (1737) wie die des Origenes und der Wiedertäufer als unorthodox zurückgewiesen wird, besteht für Grimmelshausen erst recht kein Anlaß, ihn als Autorität zu nennen. Die Textparallelen, bisher nicht erkannt, sind aber offensichtlich; sie zu verfolgen, beleuchtet zugleich Grimmelshausens Art der Quellenumformung, die sich auf Kernstellen beschränkt, diese teils strafft, teils drastisch erweitert, umgruppiert und zuspitzt und seinem arguten und, wie sich noch zeigen wird, satirisch-dialektischen Stilwillen anverwandelt127.
Zwei Textstellen fallen aus dem Rahmen der erasmianischen Argumentation. Einmal die Berufung auf die Erfahrung der eigenen euphorisch-heroischen Affizierung im Nahkampf einer Schlacht. Diese eigene Erfahrung hat indes keinen Eigenwert, sondern wird dem Argument des Erasmus gegenübergestellt und exemplarisch als Narrheit abqualifiziert: „Wann einer aber von fernem das erbärmliche Spectacul einer Schlacht mit gesunder Vernunfft ansiehet/so wird er bekennen muessen/daß nichts unsinnigers uff der Welt sey/als eben dieses klaegliche SchauspieI […].“ Zum anderen die traditionelle moraltheologische Rechtfertigung des Krieges als „die groeste Hauptstraffe Gottes“, der die anderen Hauptstrafen, Hunger und Pest, „uff dem Fuß“ folgen. Dieses Argument, das der frühneuzeitlichen Diskussion und Darstellung des Krieges stets den letzten Halt gegeben hat (ausgenommen Erasmus, der den Krieg als selbstverschuldetes Übel verurteilt128 und sich dagegen verwahrt, mit irgendwelchen Gründen „disse vnser vnsinnikeit [zu] beschoenen“129, wird von Grimmelshausen hier in einer verqueren Denkbewegung zur Resümierung der schlimmen Folgen des Krieges verwendet und dadurch ironisch entwertet. Das theologische Problem, wie Gott in seiner Liebe und Güte Kriege zulassen kann, das Theodizeeproblem also, ist damit in keiner Weise bewältigt. Der Autor will es offenbar nicht abstrakt diskutieren, behält es den konkreten simplicianischen Lebensgeschichten vor und bindet es an die Perspektive des gläubigen Individuums, das wie Simplicius die Kriegsübel, die den eigenen Lebenslauf prägen, als Exempel der „Güte des Allerhöchsten“ deuten lernt130.
Der Kriegsdiskurs im Satyrischen Pilgram entzieht sich am Ende, das wundert nicht, ganz dem dialektischen Schema. Im „Nachklang“ gibt es nichts abzuwägen oder zu beschönigen; der Krieg ist, wie ebenfalls schon bei Erasmus zu lesen ist131, ein „erschreckliches und grausames Monstrum“. Zur Bekräftigung dessen verweist Grimmelshausen auf sein damals im Entstehen begriffenes Hauptwerk, den Simplicissimus, der mit den Mitteln des roman comique „viel Particularitaeten“ des Krieges bringen werde. Auch der Schluß des Diskurses folgt den Argumenten des Erasmus: es sei „ uns Christen nichts ohnanstaendiger als der Krieg/den wir wieder einander führen“, des einen Sieg sei des anderen Verderben; es sei zu wünschen, daß die „Martialischen Gemuether“ unter den europäischen Christen, wenn sie schon nicht zu befrieden sind, mit vereinten Kräften gegen die „Feinde des Christlichen Namens“ kämpfen, „nicht zweiffelnd/es wuerden alsdenn glueckliche Success und reiche Beuten folgen/und zu erholen sein“132.
Die Abwehr der osmanischen Bedrohung der christlichen Welt ist, wie K. v. Raumer gezeigt hat, in der frühen Neuzeit stets der wichtigste Antrieb der europäischen Friedensbewegung gewesen133. Erasmus argumentiert in diesem Punkt jedoch sehr zurückhaltend. Einerseits beklagt er die selbstzerstörerischen