Grimmelshausen. Dieter Breuer

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Grimmelshausen - Dieter Breuer

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alten ständischen Gewalten gegen seine politische Neuordnung Deutschlands und Europas brechen, indem er seinen Gegnern „auff einmal die Köpf herunder hawen“ wird, „also daß die arme Teuffel ohne Köpf da ligen müssen/ehe sie einmal wissen wie ihnen geschehen!“147 Ebenso wird er in den eroberten Gebieten „allen Zauberern und Zauberinnen […] die Köpf herunder hauen“ und auch „alle Mörder/Wucherer/Dieb/Schelmen/Ehebrecher/Huren und Buben auff die vorige Manier umbbringen“, auch diejenigen, die Widerstand leisten, „hinrichten“, gleichfalls die verrucht lebenden Fürsten, während die kriegerischen Fürsten mitsamt allen „Kriegsgurgeln in gantz Teutschland“ ins unterworfene Osmanische Reich deportiert werden sollen. Ähnlich blutrünstig wie die machtpolitischen Probleme werden die religiösen geregelt. Wer die vom „Teutschen Helden“ mit Drohung und Gewalt zustandegebrachte „geläuterte“ Einheitsreligion nicht anzunehmen bereit ist, „den wird er mit Schwefel und Bech martyrisiren/oder einen solchen Ketzer mit Buxbaum bestecken/und dem Plutone zum Neuen Jahr schencken“148.

      Der von Jupiter verkündete starke teutsche Friedensstaat ist folglich ein egalitärer Zwangsstaat der schlimmsten Art. Stärker als andere Utopisten der frühen Neuzeit betont Grimmelshausen den mörderischen Weg zu einer neuen, den „Universal-Frieden der gantzen Welt“ garantierenden politischen Ordnung. Im vorgegebenen Rahmen der politischen Allegorisierung der olympischen Götter ist darüber hinaus auch eine satirische Kritik der an der politischen Neuordnung beteiligten Personen, Fürst und Hofstaat, möglich; Grimmelshausen nutzt diese Möglichkeit, um zu zeigen, daß das politische Reformkonzept schon aufgrund der menschlichen Schwächen von Regent und Hofstaat unrealistisch ist. Simplicius provoziert Jupiter mit den Topoi der moralischen Mythologiekritik; die Olympier hätten bei den Menschen „allen Credit verloren“149:

       du selbst/sagen sie/seyest ein Filtzlausiger Ehebrecherischer Hurenhengst/mit was vor Billichkeit du dann die Welt wegen solcher Laster straffen mögest? […] Mars sey ein Mörder und Rauber; Apollo ein unverschämter Huren=Jäger; Mercurius ein unnützer Plauderer/Dieb und Kuppler/Priapus ein Unflat/Hercules ein Hirnschälliger Wüterich/und in Summa die gantze Schaar der Götter sey so verrucht/daß man sie sonst nirgends hin als in deß Augei Stall logiren könnte/welcher ohne das durch die gantze Welt stinckt.

      Mit einer Kanonade von Verwünschungen über die aufsässigen Menschen, seine Untertanen, bestätigt Jupiter den Verdacht des Simplicius; er droht mit drakonischen Zwangsmitteln; vom Idealstaat seines Teutschen Helden ist nicht mehr die Rede – der Unterschied ist realiter auch nicht groß. Und wenn Jupiter, der allegorische Inbegriff des absoluten Herrschers, schließlich vor den Augen der Soldaten „ohn einige Scham“ die Hosen herunterläßt, um sich seinen Flöhen zuzuwenden, „welche ihn/wie man an seiner sprencklichten Haut wol sahe/schröcklich tribulirt hatten“, dann ist der Anblick dieser bemitleidenswerten menschlichen Jammergestalt zugleich eine Antwort darauf, was von seinem Reformkonzept zu halten sei: nichts. Grimmelshausen desillusioniert die idealistische Selbstüberschätzung der „Götter dieser Welt“ und des absolutistischen Machtstaates als der angeblichen Voraussetzung für Frieden im Innern und nach außen.

      Diese skeptische Einschätzung der menschlichen Friedensfähigkeit unter den konkreten politischen Bedingungen der Zeit wird in der Mummelsee-Episode (V, 10–17) ins Grundsätzliche erweitert. Die Erforschung des Sylphenreiches in der Tiefe des mit allen Gewässern der Erde verbundenen Schwarzwaldsees führt auch in der Frage nach Überwindbarkeit des Krieges ins „Centrum terrae“. Die von Erasmus beschworene naturhafte Friedensordnung, das ergibt sich aus der Befragung des Sylphenprinzen durch Simplicius, ist reklamierbar nur für Lebewesen, die keine Freiheit zur Sünde, keine Wahl zwischen moralisch richtigem und falschem Verhalten haben. Dies trifft für die paracelsischen Sylphen zu, die gemäß ihrem niederen Rang in der göttlichen Schöpfungsordnung (Engel-Mensch-Sylphen-Tier) „keiner Sünd/und dannenhero auch keiner Straff/noch dem Zorn Gottes/ja nicht einmal der geringsten Kranckheit unterworffen“ sind, die in ihrem außermoralischen, nur auf „diese Zeitlichkeit“ beschränkten Status herrschaftsfrei und in Frieden leben können150. Dem Menschen jedoch, der mit einer unsterblichen Seele und Willensfreiheit zu deren Bewährung ausgestattet ist, geht die instinktartige Sicherheit des Verhaltens der Sylphen ab; die Freiheit auch zu sozialschädlichem Verhalten impliziert die Notwendigkeit von Herrschaft und schränkt die Möglichkeit eines friedlichen, herrschaftsfreien Lebens grundsätzlich ein.

      Der Kriegszustand der menschlichen Gesellschaft ist somit eine Folge der Willensfreiheit und wie die Freiheit zum Bösen nicht aufhebbar. Alternativen zur solchermaßen beschränkten condicio humana sind zwar vorstellbar, würden aber den Menschen als Gattung überfordern und werden durch die Realität der Romanhandlung ständig widerlegt. Das ideale Bild, das Simplicius vor dem Sylphenkönig von seiner Zeit entwirft, daß nämlich die „Weltliche hohe Häupter und Vorsteher“ in einer friedlich zusammenlebenden Sozietät „allein ihr Absehen auf/die liebe Justitiam [haben], welche sie dann ohne Ansehen der Person einem jedwedern/Arm und Reich/durch die Banck hinauß schnurgerad ertheilen und widerfahren lassen“151, kann daher keine in eine bessere Zukunft weisende Utopie sein, da es die Menschen zu Sylphen degradiert. Grimmelshausen nimmt, indem er von Simplicius die Verkehrtheit der Menschenwelt satirisch darstellen läßt, die menschliche Willensfreiheit ernst, nicht nur wie Erasmus deren positive Aspekte, sondern gerade auch deren unaufhebbare negative Seite. Das ermöglicht ihm schließlich einen glaubwürdigen Zugang zum Theodizee-Argument152:

       Was könnte die Güte Gottes davor/wenn euer einer sein selbst vergisset […]/seinen viehischen Begierden den Ziegel schiessen läst/sich dardurch dem unvernünfftigen Viehe/ja durch solchen Ungehorsam gegen Gott/mehr den höllischen als seeligen Geistern gleich macht? Solcher Verdammten ewiger Jammer/worein sie sich selbst gestürtzt haben/benimmt drum der Hoheit und dem Adel ihres Geschlechts nichts/sintemal sie so wol als andere/in ihrem zeitlichen Leben die ewige Seeligkeit hätten erlangen mögen/da sie nur auff dem darzu verordneten Weg hätten wandlen wollen.

      Bleibt noch die Möglichkeit eines friedlichen Zusammenlebens innerhalb einer kleineren, außerstaatlichen Sozietät zu erwägen, die freiwillig, durch strenge Selbstdisziplin die negativen Aspekte der Willensfreiheit einschränkt und in Abkehr von der verkehrten Welt in Frieden lebt. Simplicius „erfindet sich“ daher eine Art zu leben, „die mehr Englisch als Menschlich seyn könnte“; er orientiert sich dabei sehr konkret an der „Manier“ der Wiedertäufer und der jüdischen Esseer153:

       da war kein Zorn/kein Eifer/kein Rachgier/kein Neid/kein Feindschafft/kein Sorg umb Zeitlichs/kein Hoffart/kein Reu! Im Summa/es war durchauß eine solche liebliche Harmonie, die auff nichts anders angestimbt zu seyn schiene/als das Menschlich Geschlecht und das Reich Gottes in aller Erbarkeit zu vermehren […].

      Simplicius verwirft diese Möglichkeit als für ihn aufgrund äußerer (politisch-konfessioneller) und innerer Widersprüche (idealistische Überforderung der menschlichen Natur) nicht realisierbar. Selbst die nun noch verbleibende Möglichkeit der Einsiedelei auf dem Mooskopf wird als eine solche Überforderung veranschaulicht und eingeschränkt. Die „mehr Englisch als Menschliche“ zweite Einsiedelei auf der exotischen Kreuzinsel setzt, wie die Continuatio folgerichtig zeigt, eine besondere Begnadigung voraus, sie ist für Simplicius aus eigener Willenskraft nicht erreichbar. Einzig in dieser paradiesischen Einsamkeit, fern von der europäischen Kriegsgesellschaft, scheint ein friedliches Leben im Einklang mit dem Liebesgebot Christi möglich. Doch Grimmelshausen ironisiert abschließend dieses Argument, mit dem Simplicius sich gegenüber den holländischen Seefahrern zu rechtfertigen versucht, die ihm die Rückkehr nach Europa anbieten. Indem Simplicius sich auf den Propheten Jonas beruft154, widerlegt er sich selbst. Der selbstgerechte Jonas mußte von Gott erst gezwungen werden, das sündige Ninive zur Umkehr aufzurufen; Feindesliebe läßt sich eben nur unter Feinden praktizieren, nicht im bequemen menschenleeren Südseeparadies. Dem tragen die simplicianischen Schriften Rechnung. Im Seltzamen Springinsfeld, im Rathstübel Plutonis und im Ewigwährenden Kalender begegnet der Leser dem zurückgekehrten alten Simplicissimus, der sich vorbildlich, mit Rat, wirksamen Schriften und sozialer Tat, um den christlichen Frieden

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