Grimmelshausen. Dieter Breuer

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Grimmelshausen - Dieter Breuer

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läßt er die religiöse Verbrämung fürstlicher Kriegs- und Beutelüsternheit nicht gelten135:

       Welche nuon des gemuets sein [i. e. Krieg zu führen]/glaubstu auch das sy nit leichtlich ein yglich vrsach (so jenen angepotten) zuom krieg annemen würden?Darnach vndersteen wir vnser kranckheit mit erbarn vrsachen zuo bedecken. Ich beger oder gyenen nach der Türcken reichtumb/vnd wend vrsach für/als beschirmung des glaubens. Ich gib meinem haß statt/vnd nym mich an/der kirchen gerechtigkeit zuo uertaedingen.

      Im übrigen sei der Krieg gegen die Türken ein untaugliches Mittel, diese zum Glauben zu bringen136:

       Warlich mich bedunckt nit hoch zuo riemen sein/dz wir offter mals wider die Türcken krieg fürnemen. Fürwar es steet vbel im christen glauben/so des bestendigkeit vnd erhaltung an solchem behelff hanget/es ist auch nit vermuotlich mit solchen anfengen guot christen zuo machen/dann was man mit dem schwert erlangt/dz würdet mit dem schwert widerumb verlorn.

      Vor diesem Hintergrund erhält Grimmelshausens Anspielung auf die Beutegier der „Martialischen Gemuether“, d.h. der europäischen Fürsten, ironisch-satirische Bedeutung. Grimmelshausen folgt inhaltlich Erasmus, er kritisiert die Verkehrtheit auch der Machthaber, aber er tut dies indirekt mit den Mitteln der Satire.

      III

      Der Simplicissimus bringt ein Jahr später die Fortsetzung des Kriegsdiskurses mit erzählerischen Mitteln. Maßstab zur Beurteilung der scheinchristlichen Gesellschaft, die sich im Kriege eingerichtet hat und sich dabei selbst zerstört, ist ausdrücklich „das Gesetz vnd Evangelium/sampt den getreuen Warnungen Christi“137, näherhin das Gebot der Feindesliebe aus der Bergpredigt, auf die sich auch Erasmus berufen hatte138:

       Christus spricht/lieber eure Feinde/segnet die euch fluchen/thut wol denen die euch hassen/bittet vor die so euch beleydigen und verfolgen/auff daß ihr Kinder seyt euers Vatters im Himmel […]. Aber ich fande nicht allein niemand/der diesem Befelch Christi nachzukommen begehrte/sondern jedermann thät gerad das Widerspil […].

      Dieser Maßstab wird durch ein naiv beobachtendes, noch unverbildetes Kind an die verkehrte Welt des „Teutschen Krieges“ herangetragen. Auch dieses Modell konnte Grimmelshausen bei Erasmus finden, der zur Veranschaulichung des Widerspruchs von menschlicher Bestimmung und Kriegspraxis einen solchen „newen gast“ einführt139:

       Nuon thuo eins vnd erdenck ettwan ein newen gast/auß den stetten in Moene gelegen/da Empedocles jnne wonet/oder sunst auß einer welt […] in vnser welt komenn sei/der da beger zuo wissen was man hie thuo. So er nuon aller ding bericht hoeren würde […]. Darnach als er das gantz leben Christi/vnd auch sein gebott erlernt/begere von einer hochen warte zuo sehen/alles das er gehoert hett/[…] solt der nitt ein yedes thier dauon ergehoert hett/ehe ein menschen sein achten/dann eben den menschen? Demnach so er von einem Zeiger bericht welchs der mensch were/hin vnd wider sehen würde/wo die schar der Christen were/die des hymelschen lerers fürnemen nachuolgten/[…] ob er nit die christen sunst an einem yeden andern ort zuo wonen gedencken solt/dann in den gegenten/darinn er solch reichtumb/vberfluß, fleischlich begir/hochmuot/tyranney/vnmessig eer geitzigkeit/betrug/haß/zorn/vneinigkeit/zanck/streit/krieg/auffruor/vnd mit der kürtz aller ding die Christus hasset/[…] [sieht]?

      Simplicius kann sich in diese verkehrte Welt „nicht schicken“140. Um zu überleben, kann er jedoch, wegen solch fundamentaler Kritik zum Narren zugerichtet und ins Kalbsfell gesteckt, auch für sich selbst die urchristlichen Prinzipien nicht lange durchhalten; schon bald zum Kriegsdienst gezwungen, ist er ständig in Gefahr, seinen Glauben an die Güte Gottes und die Verbesserbarkeit der Welt im Sinne der Bergpredigt durch das eigene Verhalten zu widerlegen. Sein Durchgang durch die Schrecken und Laster des Krieges veranschaulicht und bestätigt im ersten und zweiten Buch in allen „Particularitäten“ die Zustandsbeschreibung des Erasmus. Der Gesang der Nachtigall, im Lied des Einsiedels gedeutet als Lob der Natur auf ihren Schöpfer, wird dem „Geschrey der getrillten Bauren“ im Bereich der naturentfremdeten Menschen bzw. Christen gegenübergestellt. Nur der Vater des Simplicius verläßt die Gesellschaft kriegerischer Scheinchristen: der einzige Christ im Sinne der erasmianischen Friedensschriften. Die Suche nach der eigenen Identität ist für Simplicius mit zunehmender Bewußtheit die Suche nach Möglichkeiten eines friedlichen Lebens: Jupiterepisode (III, 3–6), Mummelsee-Episode (V, 12–16), die Reflexionen über die Lebensform der Ungarischen Wiedertäufer (V, 19), Traum vom höllischen Reichstag (Cont. 2–8) führen zu der resignierenden Einsicht, daß auf ein friedliches Zusammenleben der Christen in Europa wie der Menschheit insgesamt nicht zu hoffen ist und ein christliches Leben unter glücklichen Umständen „gantz wunderbarlicher weiß“ nur dem Einzelnen, dem Einsiedler, möglich ist, fernab von der unverbesserlichen Kriegsgesellschaft141. Der christliche Pazifismus des Erasmus ist damit auf seinen Kern, Wunschdenken, reduziert.

      Der erste Anstoß dazu kommt von außen. Auf dem Höhepunkt seiner Kriegsverfallenheit begegnet der „Jäger von Soest“ dem „überstudierten Narren“, der sich einbildet, der auf die Erde herabgestiegene höchste Gott Jupiter zu sein und die Menschen für ihre Laster mit Krieg strafen zu müssen. In dieser erzählerischen Versuchsanordnung wird die herrschende Lehre gleich in zwei zentralen Punkten der satirischen Kritik überantwortet: einmal die Hoffnung, daß der moderne Fürstabsolutismus (auf ihn bezieht sich im Sinne der zeitgenössischen Herrscherpanegyrik die Jupiter-Allegorie142) und sein zentralistisches Staatswesen die Pazifizierung der europäischen Christenheit bringen werde, zum anderen die mit der absolutistischen Herrschaftsauffassung verknüpfte und neu bestärkte theologische Rechtfertigung des Krieges als einer Hauptstrafe Gottes zur Besserung der Menschen. Das Theodizee-Argument, das nicht „ahn sich selbst“, sondern nur für den einzelnen Gläubigen Überzeugungskraft hat, führt nach der bisherigen Lebenserfahrung des Simplicius in Aporien143:

       Ach Jupiter, deine Mühe und Arbeit wird besorglich allerdings umbsonst seyn/[…] dann schickest du einen Krieg/so lauffen alle böse verwegene Buben mit/welche die friedliebende fromme Menschen nur quälen werden; schickestu eine Theurung/so ists ein erwünschte Sach vor die Wucherer/weil alsdann denselben ihr Korn viel gilt; schickestu aber ein Sterben/so haben die Geitzhäls und alle übrige Menschen ein gewonnen Spiel/in dem sie hernach viel erben; wirst derhalben die gantze Welt mit Butzen und Stil außrotten müssen/wenn du anders straffen wilt.

      Bei einem späteren Zusammentreffen mit dem Narren in dessen Heimatstadt Köln, dem Zentrum traditionalistischer Theologie, kurz vor dem Friedensschluß von 1648 muß Jupiter denn auch selbst eingestehen, daß dieses Argument sich ad absurdum geführt hat. Die göttlichen Hauptstrafen haben nicht nur nicht zur Besserung der Menschen geführt, sondern diese noch viel schlimmer gemacht. Krieg und Frieden werden von den Menschen, insbesondere den gemeinen Leuten, auch gar nicht mehr unter dem Aspekt von Strafe und Lohn beurteilt, sondern unter dem Aspekt des materiellen Nutzens144, Jupiters Drohung geht ins Leere. Entsprechend kommt der höllische Reichstag nach dem Friedensschluß von Münster zu dem Resultat, daß für den Teufel Krieg und Frieden in gleicher Weise einträglich seien145: „könnte den Menschen/und zwar den Christen/ein geruhiger Fried/welcher den Wollust auf dem Rucken mit sich bringt/nicht schädlicher seyn als Mars?“

      Damit ist aber nicht nur dem Hauptstrafen-Argument der Boden entzogen, sondern auch dem Friedensappell des Erasmus an die christlichen Fürsten, mit den Mitteln der Politik Frieden zu schaffen. Der Plan zur Pazifizierung der Welt, den Jupiter dem skeptischen Simplicius bei der ersten Begegnung entwickelt, sollte daher als Satire auf die mit dem absolutistischen Staat verbundenen Friedenshoffnungen verstanden werden146. Jupiter entwickelt die Utopie eines zentralistischen deutschen Machtstaats unter einem Führer, dem „Teutschen Helden“, der mit einer Hochenergiewunderwaffe die Herrschaft über die damalige Welt erringt und ein ewiges Friedensreich auf der Basis von sozialer Gleichheit begründet und durch eine vereinheitlichte Staatsreligion ideologisch absichert. Simplicius interessiert sich nicht

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