Grimmelshausen. Dieter Breuer

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Grimmelshausen - Dieter Breuer

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den aufklärerischen Toleranzgedanken: Am 23.12.1614 schreibt Conrad Victor, Marburger Professorensohn, der in Saloniki, im Osmanischen Reich, zum jüdischen Glauben konvertierte und dort als Moses Pardo lebte, an den Rektor der Marburger Universität:166

       Oh, daß sich doch die christlichen Fürsten so verhalten möchten wie unser Türkischer Kaiser, der da sagte: ‚Gott hat mich zum Herrn über die Leiber und das Gut meiner Untertanen gemacht; die Seelen aber kann ich nicht zwingen, daß sie dies oder jenes glauben sollten.‘ Daher gewährt er allen Religionen Freiheit.

      Solche osmanische Religionsfreiheit, die die Juden einschloß, hat es im frühneuzeitlichen christlichen Europa nur in wenigen Territorien und auch dort meist nur zeitweise, für die Dauer eines Regentenlebens, gegeben. Am weitesten gingen die kalvinistischen Niederländischen Generalstaaten: Amsterdam wurde für die aus Spanien und Portugal vertriebene sephardische Judenheit seit 1597 zum Zufluchtsort und „neuen großen Jerusalem“ mit Bürgerrecht und Gleichheit vor dem Gesetz (ausgenommen die Staatsämter).167 1611 öffnete sich ihnen gegen massiven und andauernden lutherischen Widerstand die freie Stadt Hamburg. Wenn in Hamburg die lutherischen Eiferer triumphierten, erwies sich das benachbarte dänische Altona als sicherer Zufluchtsort.168 1655 folgte mit größerer Konsequenz und historischer Beharrlichkeit bis hin zur Gründung des Staates Israel auch das puritanische und monarchische England (London).169

      Es waren vor allem die kalvinistisch-reformierten Territorien, die aufgrund ihrer alttestamentlichen Orientierung zur Toleranz gegenüber den Juden neigten. So siedelte der brandenburgische Kurfürst Friedrich Wilhelm I, auch darin dem niederländischen Vorbild folgend, die 1670 aus Wien vertriebenen Juden, allerdings nur wohlhabende, in Berlin-Cölln an und begründete den seither traditionellen Philosemitismus des brandenburgisch-preußischen Hofes. Doch entwickelten sich in den religiösen Reformbewegungen des 17. Jahrhunderts bei allen christlichen Konfessionen philosemitische Neigungen, damals „judentzen“ (iudaicare) genannt.170 Bei den Regenten kleinerer Territorien, wie dem Katholiken Christian August von Pfalz-Sulzbach, einem Konvertiten, konnte dies zu weitgehender Toleranz und Förderung auch der Judengemeinde führen; in Sulzbach entstand sogar ein leistungsfähiger hebräischer Druck- und Verlagsbetrieb.171 Der Sulzbacher Hofrat Knorr von Rosenroth publizierte seine „Kabbala denudata“.172 Das in den Staatslehren der Zeit stark rezipierte absolutistische Herrscherideal des altpersischen Königs Cyrus, der bekanntlich die babylonische Gefangenschaft des israelitischen Volkes beendet hatte, mag solche philosemitische Neigungen ebenso befördert haben wie der ökonomische Nutzen, der sich aus jüdischen Finanziers und einer florierenden Judengemeinde im merkantilistisch geführten Staat ziehen ließ.173 Aber aufs Ganze des damaligen Europa und des Deutschen Reiches bezogen sind dies alles eher Ausnahmen, Die Zufluchtsorte konnten plötzlich nach dem Tode eines Regenten, wie schon 1571 in Brandenburg oder 1737 in Württemberg, unvermittelt zum Ort der Peinigung werden. In Berlin wurde der Faktor Lippold von Prag, in Stuttgart der Faktor Süß Oppenheimer hingerichtet, der Volkszorn über fürstliche Mißwirtschaft auf jüdische Sündenböcke gelenkt.174

      In Polen ging 1649 in den Judenmassakern des Kosakenaufstands sehr plötzlich eine jahrhundertelange Ära großzügiger Duldung zu Ende: seit 1367 hatte hier die aus dem Reich vertriebene aschkenasische Judenheit in Frieden leben und eine blühende eigene Kultur entwickeln können.175 Im alten Reich, wohin sich nun seit 1649 die überlebenden polnischen Juden flüchteten, fehlte nach wie vor eine Grundvoraussetzung für Toleranz: die Gleichheit vor dem Gesetz und die Rechtssicherheit, und daran änderte sich bis zum Ende des alten Reiches nur punktuell etwas, die Juden waren nicht Bürger, sondern nur „Schutzbefohlene“, beliebig erpreßbar, widerstrebend geschützt, nicht eigentlich toleriert.

      II

      Aus dem bisher Gesagten folgt, daß die jüdischen „Schutzbefohlenen“ der frühen Neuzeit zwischen Vorformen von Antisemitismus und Toleranz ihr Leben zubringen mußten.176 Seit dem vierten Laterankonzil 1215 waren die Juden die durch Ring und Hut gezeichneten Parias der christlichen Gesellschaft; seit den Judenverfolgungen des 14. Jahrhunderts, die in den Pogromen von 1349 gipfelten, war den Juden die Niederlassung in den Städten des Reiches nur befristet gegen Gebühr und nur in gemieteten Wohnhäusern innerhalb abgeschlossener Wohnquartiere, den Ghettos, möglich. Magistrate und Landesherren reglementierten durch Judenordnungen, eigentlich Gebührenordnungen, das Leben der Juden in den Städten und Dörfern aufs genaueste. Die Zünfte und Gilden der Handwerker und Kaufleute hatten längst durchgesetzt, daß die Juden nur in den nichtzünftischen Gewerben ihren Lebensunterhalt sichern durften: Geldhandel, Pfandleihe, Klein- und Hausierhandel, auch Viehhandel, Handel mit gewissen Luxuswaren. Sie konnten zufrieden sein, wenn die Territorialherren im Umland der Städte ihnen Wohn- oder Aufenthaltsrecht gewährten, sich Geleitbriefe abkaufen ließen und von ihrem Kleinhandel zu profitieren suchten.

      Die Kaiser, insbesondere die Luxemburger Karl IV. und Wenzel, seit der Goldenen Bulle 1356 auch die Reichsstände, nutzten ihr Schutzherrenprivileg immer offener zur finanziellen Auspressung der sogenannten Kammerknechte aus; Judenregal, Kopfsteuer („Güldenpfennig“), Sondersteuern aller Art und zu jeder sich bietenden Gelegenheit waren wichtige und sichere Einnahmequellen und besänftigten doch nicht den Judenhaß. Der Judenhaß hatte viele Gründe, ich nenne drei: 1) der jüdische Gläubigerstatus gegenüber den Stadtbürgern, auch dem gemeinen Mann, weniger gegenüber den nicht kreditfähigen Unterschichten; 2) die innerstädtischen Machtkämpfe zwischen Patriziat und Zünften bzw. gemeinen Leuten, in denen die Vorurteile gegen die Juden zur Ableitung des Volkszorns genutzt wurden; 3) die zunehmend erfolgreiche religiöse Unterweisung und damit auch Fanatisierbarkeit der städtischen Unterschichten durch das Wirken der Bettelorden seit dem Spätmittelalter.177 All das führte in den sozialen Krisenzeiten des 15. und auch noch des 16. Jahrhunderts zu den Judenvertreibungen aus den Städten und aus verschiedenen Territorien des Reiches. So hatte in Köln seit 1424 bis zum Ende des alten Reiches kein Jude mehr Wohnrecht, ein Tagesbesuch in der Stadt (gegen Gebühr) war nur in Begleitung von Stadtsoldaten möglich.178 Ähnlich hielten es die meisten anderen Städte.

      Nur unter günstigen Umständen konnten Judenvertreibungen im 16. und 17. Jahrhundert verhindert oder rückgängig gemacht werden. So verhinderte der elsässische Jude Josel von Rosheim (1478–1554), der von Kaiser Karl V. als „Befehlshaber und Regierer der gemeinen Jüdischkeit im Reich“ anerkannt war, auf dem Reichstag von Augsburg 1544 die Vertreibung der Juden aus den habsburgischen Ländern Böhmen und Ungarn. Sein mutiges Wort: „Auch wir sind menschliche Wesen, geschaffen vom allmächtigen Gott, um auf der Erde an eurer Seite zu leben“,179 mehr aber noch sein diplomatisches Geschick und erhebliche finanzielle Opfer gaben den Ausschlag. Von den großen städtischen Judengemeinden des Reiches waren nur noch Prag, Frankfurt, Worms und Metz übriggeblieben, und auch hier kam es zu Pogromen und Vertreibungen.180 Die Zerstörung des Frankfurter Ghettos und die Vertreibung der Juden aus Frankfurt 1614, im Gefolge eines Aufstandes der gemeinen Leute gegen die Stadtregierung wurde vom „milden“ Kaiser Matthias in aller Form rückgängig gemacht, ebenso ihre Vertreibung aus Worms 1615; eine neue „Stättigkeit“ gab den Juden in diesen Empörerstädten nun auf Dauer Wohnrecht, sozusagen zur Strafe der Bürger. Aber diese kaiserliche Milde war nicht die Regel. 1670 billigte Kaiser Leopold I. die Judenvertreibung aus Wien; selbst aus dem scheinbar so toleranten Hamburg mußten die Juden 1649 ins dänische Altona fliehen. Kaiserin Maria Theresia war 1744 nur nach massiven diplomatischen Interventionen Englands und der Niederlande bereit, von der vorgesehenen Vertreibung der Juden aus Böhmen abzusehen – gegen Zahlung einer gewaltigen Ablösesumme.181

      Diese spektakulären Beweise fortdauernder Rechtsunsicherheit werden nur unwesentlich abgeschwächt durch den Aufstieg von gebildeten sephardischen und aschkenasischen Finanziers und Faktoren in Schlüsselpositionen an den absolutistischen Fürstenhöfen während der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts.182 Selbst Kaiser Leopold I. beruft 1673, kurz nach Vertreibung der Wiener Judengemeinde, den Heidelberger Juden Samuel Oppenheimer als Faktor nach Wien, und dessen Organisationsgenie ist es zuzuschreiben, daß die kaiserlichen Heere in den Kriegen gegen Ludwig XIV. und gegen die türkische Invasionsarmee funktionstüchtig blieben. Aus den Hoffaktoren und

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