Grimmelshausen. Dieter Breuer
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Читать онлайн книгу Grimmelshausen - Dieter Breuer страница 19
[Es] beliebe der Wohl-wöllende teutschgesinnte Leser ohnbeschwer zuvernehmen/daß ich mir vorgesetzt/von der Beschaffenheit allerhand; Ja den meisten Dingen in der gantzen Welt/so viel in kürtze seyn kan./Guth und Boß zuschreiben wie ich Sie in Büchern befunden und Selbsten gesehen und erfahren habe; Und gleichwie […] in der gantzen Welt nichts vollkommenes erfunden wird/daß nicht seine Mängel habe; Also ist auch hingegen kein Creatur noch Ding […] so schlimm noch nichts würdig/daß nicht etwas sonderbares an sich hette/so zuloben were […].
Dies ist das Programm eines Satirikers. Überlieferte oder selbsterfahrende Realität begegnet uns bei ihm stets in kritisch-satirischer Brechung. Einsicht in die Relativität aller Urteile verbieten ihm Haß, Hohn, Zynismus, erfordern „Mitleiden“, „Barmhertzigkeit“ gegenüber der Gebrechlichkeit der Kreatur. Das gilt auch für seine Darstellung der Juden und der schlimmen Vorurteile seiner Zeit gegenüber diesen. Das dabei verwendete dialektische Verfahren begegnet bereits auf der sprachlichen Ebene.
So verwendet er ungeniert die sprichwörtliche Redensart „mit dem Juden-Spieß rennen“, aber er bezeichnet damit durchweg Wucher und Geiz der christlichen „Handels-Leut und Handwercker“.198 Der Kölner Notarius und Kostherr des Simplicius, nicht etwa ein Jude, ist das Exempel des Geizhalses; die Begründung entspricht den historischen Fakten: „weil keine Juden in selbige Statt kommen dörffen/konte er mit allerley Sachen desto besser wuchern“,199 Jüdische Pfandleiher und Händler gehören für Simplicius zum unkommentierten normalen Alltag;200 um so heftiger sein und des Lesers Erschrecken über die Ermordung eines jüdischen Händlers durch Olivier, den skrupellosen Straßenräuber:201
Als […] ich mich ein wenig umbschauete/sahe ich ohnweit von uns einen Kerl stockstill an einem Baum stehen/solchen wise ich dem Olivier, und vermeinte es wäre sich vorzusehen; ha Narr! Antwortet er/es ist ein Jud/den hab ich hingebunden/der Schelm ist aber vorlängst erfroren und verreckt/und in dem gieng er zu ihm/klopffte ihm mit der Hand unten ans Kinn/und sagte/ha! Du Hund hast mir auch viel schöne Ducaten gebracht/und als er ihm dergestalt das Kinn bewegte/rollten ihm noch etliche Duplonen zum Maul herauß/welche der arm Schelm noch biß in seinen Todt davon bracht hatte/Olivier griff ihm darauff in das Maul/und brachte zwölff Duplonen und einen köstlichen Rubin zusammen/diese Beut (sagte er) hab ich dir Simplici zu dancken/schenckte mir darauff den Rubin/stieß das Geld zu sich […].
Der Autor macht hier zwar auch die enge Bindung dieses Juden an sein Geld zum Gegenstand satirischer Kritik, aber er heißt das Verbrechen an ihm nicht gut, sondern schildert einerseits die Gewissensnot des dem „Ertzmörder“ Olivier ausgelieferten Zeugen Simplicius, andererseits, auch hier die soziale Wirklichkeit abbildend, daß Olivier beim Verkauf seiner Beute auf die weitgespannten Handelsbeziehungen und den Sachverstand zweier jüdischer Pferdehändler angewiesen ist.202 Die Ironie des Autors will es, daß schließlich der christliche Pilger Simplicius, der als einziger die Forderungen Christi aus der Bergpredigt ernst zu nehmen versucht, in einem Wirtshaus durch Angetrunkene unversehens in die Rolle des Juden gedrängt und verhöhnt wird (Gert Hofmann hat jüngst in seiner Erzählung ‚Veilchenfeld‘ einen ähnlich gespenstischen Vorfall geschildert):203
jeder wolle wissen wer ich wäre; der eine sagte ich wäre ein Spion oder Kundtschaffter/der ander sagte ich sey ein Widdertaufer/der dritte hielte mich vor einen Narren/der vierdte schätzte mich vor ein heiligen Propheten/die allermeiste aber glaubten ich wäre der ewig Jud […]; als daß sie mich bey nahe dahin brachten auffzuweissen daß ich nicht beschnitten war; endlich erbarmbt sich der Wirth über mich/rüsse mich von ihnen und sagte/last mir den Mann ungeheyet/ich weiß nicht ob er oder ihr die gröste Narren seyndt […].
Die seit 1602 oft gedruckte „Historia vom ewigen Juden Ahasverus“, der zur Strafe für seine Mitleidlosigkeit bei der Hinrichtung Jesu „biß an den jüngsten Tag in der Welt herumb lauffen soll“,204 dient hier der höhnenden Menge zur Deutung eines christlichen Außenseiters, und nur das Erbarmen des Wirts rettet diesen vor weiterer Entwürdigung, Die Episode relativiert das Vorurteil und erweitert sich zur Allegorie für die Situation des Menschen, Christen wie Juden, in der Welt. All das wird im Simplicissimus-Roman mehr nebenbei erzählt; Grimmelshausen stellt dem zeitgenössischen Leser vertraute Alltagswelt mit ihren schlechten Selbstverständlichkeiten und Gewohnheiten vor Augen und macht diese als solche satirisch-kritisch bewußt. Wer sich an der „Hülse“ genügen läßt und auf den „Kern“ nicht achtet, der wird zwar, so der Autor, seine Kurzweil haben, aber „gleichwohl das jenig bey weitem nicht erlangen/was ich ihn zu berichten aigentlich bedacht gewesen“.205
Was „aigentlich“, in Wahrheit, von den Vorurteilen gegenüber den Juden zu halten sei, darüber hat er sich in anderen Schriften noch direkter geäußert. In seinem an ein breites Publikum gerichteten Ewig-währenden Calender (1670) vermerkt er für „Anno Christi 1348“, unter dem Titel „Grosser Sterben und Juden-Noth“, daß „von Mitternacht [=Norden] her ein grosser Dampff […] vff die Erden“ gefallen sei und die große Pestkatastrophe ausgelöst habe. Er greift also die meteorologische Erklärung der großen Pest von 1349 auf und entlarvt die Beschuldigungen gegen die Juden, sie seien die Urheber, als großes Unrecht:206
Es ist nie erhört oder gelesen worden/daß dergleichen [Seuche] jemahls gewesen seith die Welt gestanden; daß musten die arme Schelmen die Juden entgelten/welche bezügtigt wurden/daß sie hin und wider die Brunnen vergifftet: solch Sterben dardurch angerichtet: auch der Christen Kinder heimblich getödtet und Brieff und Siegel sambt der Müntz verfälscht hätten; Welches in Teutschland viel tausenden das Leben kostet/die im Rauch gehn Himmel geschickt wurden/etliche in solcher Noth weil sie nicht entfliehen kondten/zündeten jhre Häuser an und verbrandten sich selbst mit Weib und Kindern […]; etliche wurden getaufft/aber mit schlechter Andacht/damahls jagten die Reichs Stätt jhre Juden von sich/zerrissen jhre Häuser und Sinagogen/und verbesserten jhre gemeine Gebäw damit/Pfaltzgraff Ruprecht bey Rhein beschützte die arme Tropffen/mit Anzeigung daß jhnen unrecht geschehe/darvor sie in die Silberbüchs blasen musten/es wehren jhrer sonst wenig darvon kommen/dann sie effenmässig in Italia und Franckreich mit Fewr und Schwerd verfolgt wurden […]/etliche rechnen bey 12000. Juden/so in diesem Jammer jhre Hälß hergeben müssen […].
Der Text bewirkt Mitleid mit den Opfern und verweist zugleich auf die ökonomischen Beweggründe der falschen Anschuldigungen wie Brunnenvergiftung, Kindermord und Urkundenfälschung.207 Bleibt noch der Vorwurf der Geldgier. Das Verhältnis der verschiedenen Stände einschließlich der Juden zum Geld hat Grimmelshausen in einer eigenen Versuchsanordnung analysiert: Rathstübel Plutonis Oder Kunst Reich zu werden/Durch vierzehen underschiedlicher namhafften Personen richtige Meynungen (1672). Auf dem Bauernhof des alten Simplicissimus versammeln sich Martius Secundatus, ein incognito reisender Fürst mit seinem Anhang, einem schwedischen Schreiber, einem reichen Bürger mit seiner Familie, einem Kaufmann und einem Handwerker, hinzu kommen eine Schauspielerin, die alten Bauersleute Knan und Meuder, die Landstörzerin und Zigeuneranführerin Courasche, der abgedankte Soldat Springinsfeld und auch Aaron, ein sechzigjähriger jüdischer Viehhändler. Bis auf die Geistlichkeit, an deren Stelle offensichtlich Simplicissimus selbst tritt, sind somit Repräsentanten aller Schichten einschließlich der Unterschichten der damaligen Gesellschaft vertreten: Im Schatten einer Linde, am utopischen Ort also, finden sie sich unter der Leitung des Fürsten zu einem gemeinsamen Diskurs über das Thema zusammen, das sie alle charakterisiert: der Gelderwerb. Der Jude Aaron, der gerade mit Unterstützung des Simplicissimus dem Knan einige Mastochsen abgekauft hat und dabei „nach ihrem Brauch mit den Händen umb sich fochtelte/als wann er eine wichtige disputation außzuführen vorgehabt“,208 lehnt die unglaubliche Einladung zunächst ab, macht darauf aufmerksam, „daß es ihm nicht gebühre“;209 er wird vom Fürsten mit Drohung und Brachialgewalt in den Gesprächskreis befördert. Aber erst als der Fürst ihm erneut Prügel androht