Grimmelshausen. Dieter Breuer
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Eben diese Einstellung literarisch einzuüben, ist offenbar Ziel dieser Schrift. In den drei Gesprächsrunden über die Frage, „durch was Mittel einer der Armut entfliehen und zur Reichtumb gelangen könte“,210 erhält der Jude Aaron wie die anderen zehnmal das Wort, Seine Antworten ergeben ein realistisches Bild der Lebens- und Überlebensbedingungen jüdischer Händler. Die von ihm vertretenen Grundsätze des Geld- und Warenhandels und der sparsamsten Lebensführung unterscheiden sich von den Vorschlägen der anderen arbeitenden Ständevertreter nur durch ihre größere Ehrlichkeit und Rationalität in der Nutzung der geringen Erwerbsmöglichkeiten,
Es ist daher konsequent, wenngleich gar nicht mit der üblichen Propaganda gegen die Juden im Einklang, wenn der alte Knan für den Juden eintritt. Er sieht in Aaron den ebenbürtigen Handelspartner, den er im Unterschied zu „Secundarius“ und seinem Militär, seinen Beamten, Schultheißen und Schaffnern, im Unterschied auch zum Bürger „Altmammon“ und den wucherischen Kauf- und Handwerksleuten gerade nicht zu fürchten braucht:211
Dort vom Aron wil ich nichts sagen/dann mit ihnen zuhandlen/stehet in eines jeden freyen Willen/und die Juden alle mit einander könden mir nichts/wie ihr underschiedliche Leuth under einander thut/abnöhtigen/wann ich nicht selbst mich in die Gefahr gebe/und mich ihnen frey willig underwerffe […].
Wie wenig aber Aarons Antworten und auch die Einlassung des Knan bewirken, zeigt die abschließende gönnerhafte Folgerung des Fürsten: „Rabbi Mauschele“ könne mit seiner Profession „mehr alß wol“ zufrieden sein, da er mit seinem „Spieß [gemeint ist der Wucher, das Zinsnehmen] ohn mänigliches Einreden und Verhinderung auff allerhand Manier fechten: und ohne Beobacht- und Beängstigung [seines] gewissenlosen Gewissens durch allerhand Vortheil/List und Betriegerey erschachern/und zu [sich] rappen und sacken“ könne.212 Das sind immer noch die alten Vorurteile gegenüber den Juden, nur daß der Leser inzwischen die doppelte Moral des „gewissenlosen Gewissens“ gerade aus den Antworten der bigotten, reichen, christlichen Bürger und des Fürsten kennengelernt hat. Die Verteidigungsrede des Aaron ist dadurch um so überzeugender:213
Ich sehe an deß Herrn Meinung/daß weise Leuth bißweilen auch irren/sintemahl wann ich die Wahl hätte/und mirs mein Religion zugebe/ich wol ein grosser Stocknarr were/wann ich meinen miihsammen und armseligen Stand/darinn ich Tag und Nacht mit saurer bitterer Mühe/Gefahr/Sorg und Angst nach meinem geringen stuck Brodt lauffen und rennen muß/nicht mit einem andern und bessern zuvertauschcn wünschte.
Zur Begründung verweist er auf die Rechtsungleichheit und Rechtsunsicherheit der Juden im Zusammenleben mit den Christen:214
man legt uns zu/daß wir durch Betriegerey die Christen beseblen/verschweigt aber allerdings/daß dieselbe Kunst under ihnen auch üblich/und sich ein jeder/der mit uns handelt/befleisset/wie er dardurch zum Ritter an uns werden möge/und welcher einen Juden betreugt/bildet sich eyn/alß hätte er das gröste Werck von der Welt verrichtet/lachet darüber öffentlich und heimlich in die Faust/und kan sich dessen nicht gnug rühmen: Trutz daß alßdann einer auß uns armen Tropffen aufgezogen käme/ein groß Geschrey darauß zu machen/und wie mans in dergleichen Fällen uns zukochen pflegt/zuschelten oder zusagen: Er hat mich beschissen (mit gunst) wie ein Schelm und wie ein Dieb/wurde ein solcher nicht noch darzu von aller Welt verschmähet und außgelachet/und noch darzu von der Oberkeit gestrafft oder mit Fäusten abgetrücknet werden? Dahingegen wir arme Tropffen jedermanns Hund/ja Verrähter alß die ärgste Schelmen seyn müssen.
Der Fürst versucht diese bittere Anklage durch Ironie abzutun und wird auch dadurch immer mehr zur eigentlichen Zielscheibe der satirischen Kritik dieser Schrift; er muß schließlich so viel zugeben, daß die vom Juden gegebenen Regeln des Finanzgebarens, auf Regierungsebene praktiziert, sehr nützlich für den ganzen Staat wären. Offenbar spielt der Autor hier auf den Aufstieg der jüdischen Hoffaktoren an, läßt aber auch keinen Zweifel daran, daß nicht die rationalen Finanzprinzipien Aarons, sondern die falsch verstandene unverantwortliche Reputations- und Repräsentationssucht des Fürsten selbst sowie seine „unnöhtigen und unrechtmessigen“ Kriege Mißwirtschaft und Ruin des Landes bewirken.215 Das abschließende Gastmahl auf Kosten des Fürsten gibt dann Gelegenheit, auch auf ein ganz konkretes Hindernis des Zusammenlebens, die jüdischen Speisevorschriften, hinzuweisen, dieses Hindernis zu überbrücken und zu reflektieren. Die Meuder spendiert dem Juden „auß Mitleyden“ ein paar Eier, „damit der arm Schelm so nicht mit uns speysen wolle/kein Hunger leyden dörfte“.216
Die Geste der Meuder zeigt, daß Toleranz sich im konkreten Fall zu bewähren hat. Das aber setzt die Fähigkeit voraus, Vorurteile als solche zu erkennen und hintanzustellen. Immer wieder führt der Erzähler Grimmelshausen seine Gestalten in Situationen, in denen ihnen die Betrüglichkeit ihrer Urteile bewußt werden:217
Ich grübelte der Ursach nach warumb doch die Menschliche Urtheil gemeiniglich so betrüglich wären? Und hielte darvor/daß weil die blinde Urtheil oder der Menschen Wahn/nach der Beschaffenheit deß innerlichen Gemüths passionirten Affecten geschöpfft würden/daß sie deßwegen selten eintreffen könnten.
Der Held des ersten Vogelnest-Romans (1672), der aufgrund praktischer Erfahrung zu dieser skeptizistischen Sicht menschlicher Urteile kommt, kann sie gleichwohl noch nicht auf seine Einstellung zu den Juden anwenden; nach ersten Skrupeln wegen seines Diebslebens nimmt er sich vor, sich künftig nicht mehr an Christen, sondern an Juden schadlos zu halten:218
Ich schlug mich auff die rechte Hand gegen der Polnischen Gräntze der Meinung einem reichen Juden desselbigen Königreichs so viel Ducaten außzuwischen/als ich würde tragen können/dann ich fieng an so Gewissenhafftig zu werden/daß ich durchauß keinen Christen bestehlen wolle/er hätte dann ärger als ein Jud seyn müssen/dergleichen ich mir aber nirgends zu finden getraute/und solte ich gleich alle Winckel der Welt außlauffen.
Erst sein Bekehrungserlebnis eröffnet ihm die Einsicht auch in diesen Selbstbetrug: „ich hatte […] keinen Willen mehr zu sündigen/viel weniger den Juden oder sonst jemand sein Geld zu stehlen“,219 zeigt aber auch die Skepsis des Autors gegenüber Hoffnungen auf rasche Veränderung der Einstellungen und Gesinnungen. Mehr noch: im zweiten Vogelnest-Roman führt Grimmelshausen vor, daß selbst ein so grundsätzlicher Gesinnungswandel wie ein Bekehrungserlebnis die Vorurteile gegenüber den Juden nicht tangieren muß.220
In diesem seinem letzten Erzählwerk (1675) hat Grimmelshausen, die Klage seines Juden Aaron aufnehmend, einen christlichen Fernhandelsherrn vom Oberrhein zum Gegenstand der satirischen Kritik gemacht. Dieser Kaufmann, der in der Ich-Form seine Bekehrungsgeschichte erzählt, vereinigt, ohne es selbst zu merken, alle bösen Eigenschaften, die Christen traditionellerweise den Juden nachsagen und die wir noch bei Zedler aufgereiht fanden: Geldgier und sexuelle Gier, Rachsucht, Grausamkeit, kaltes Nützlichkeitsdenken, Verschlagenheit, Betrügerei, bigotte Religiosität, Aberglauben und Teufelsbündnerei.221 Der Autor versetzt ihn nach Amsterdam, in die Welt der reichen, aber dennoch frommen vornehmen sephardischen Juden. Er idealisiert diese nicht, sondern zeigt satirisch auch deren Schwäche auf, ihre Leichtgläubigkeit in Erwartung des Messias, der sie in der Realität (Auftreten Sabbatai Zwis 1665, zehn Jahre vor Erscheinen des Romans) und im Roman zum Opfer fallen. Hierzu greift Grimmelshausen auf den Schwank Von der Jüden Messias (1485/86) des Hans Folz zurück, des geistigen Wegbereiters der Nürnberger Judenverfolgung von 1495.222 Aber er macht aus dem Kaufmann in der Rolle des Folzschen Studenten einen betrogenen Betrüger. Der christliche Kaufmann, nicht der Jude Eliezer, ist am Ende der Geprellte, der in „wütender Melancholey“ und in „äusserster Verzweifelung“ in den Krieg geht, dem er eigentlich hatte ausweichen wollen.223 Die Ich-Erzählung des Kaufmanns, der Perspektivismus seiner überaus informativen, aber gehässigen Darstellung der