Grimmelshausen. Dieter Breuer

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Grimmelshausen - Dieter Breuer

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      Für Erasmus folgte aus der Willensfreiheit des Menschen zugleich die Freiheit, ungeachtet trüber historischer Erfahrungen einen neuen Anfang zum Frieden zu machen. Grimmelshausen beurteilt die menschliche Willensfreiheit skeptischer. Gleichwohl sieht er nicht in der quietistischen Weltflucht, in der Resignation gegenüber der für ihn im Grunde unverbesserlichen verkehrten Welt die zwingende Konsequenz, sondern in der besonderen Verantwortung des einzelnen Christen, gerade auch des Schriftstellers, für den Frieden. Daher ist es nicht verwunderlich, daß man auch in den auf den Simplicissimus folgenden Schriften erasmianische Argumentationen findet. So kritisiert er im Rathstübel Plutonis (1672) scharf die kriegstreiberische Besitz- und Profitgier des Fürstenstandes, dessen Vertreter, Secundatus, fälschlicherweise den Krieg als Mittel zur Bereicherung ansieht. Im WunderbarIichen Vogelnest (2. Teil, 1675) illustriert er die Motivation zum Krieg andererseits am Verhalten eines Kaufmanns, der als solcher eigentlich alles daran setzen müßte, den Krieg zu verhindern, und der dennoch, durch Geldgier und Ruhmsucht disponiert, der Kriegspsychose erliegt und als Freiwilliger in den Krieg zieht155. Am weitesten wagt Grimmelshausen sich in der satirischen Höllenwanderung Die verkehrte Welt vor, einer Ständesatire anhand der jeweiligen Höllenstrafen. Analog zu ihren irdischen Schandtaten müssen hier auch die Soldaten büßen. Die Strafe für den Werber besteht z.B. darin, daß er statt der verlogenen Werberede nun eine Rede über die wahre, d.h. schlimme Situation der Soldaten halten muß, eine Rede gegen den Krieg, und anschließend von den Geworbenen, die für ihre irdischen Untaten gleichfalls büßen müssen, zu kleinen Spänen zerhauen wird156. Über die Topoi der erasmianischen Kriegskritik hinaus führt der satirische Bericht des simplicianischen Erzählers über „der Christen Einigkeit/ihrer Treu/ihres Gottseligen Seelen=Eifers/und in Summa einer so seltenen in der Welt niemahls erhoerten Harmonia“, die sich bei der Kolonialisierung und gewaltsamen Christianisierung der außereuropäischen Völker inzwischen glänzend bewährt habe157. Die verwunderte Nachfrage, wie die in den vorausgegangenen Kriegen ruinierten christlichen Staaten die Kosten für „so grosse Armaturen zu Wasser und zu Land“ aufgebracht hätten, wird damit beantwortet, daß „sich nunmehr ihre Kriege wider die Unglaubige nicht allein selbst führten und ernaehrten/sondern auch Europam aus den auslaendischen Schätzen von Gold und Silber dermassen bereicherten/als vor Jahren Salomon durch den Frieden und seine grosse Weisheit zu Jerusalem immer gethan“158. Des Erasmus Aufruf an die christlichen Staaten, gegen die „Feinde des christlichen Namens“ einig zusammenzustehen und nicht untereinander Kriege zu führen, ein Gedanke, den noch 1671/72 Leibniz seinem „Consilium Aegyptiacum“ für den kriegslüsternen König Ludwig XIV. zugrundelegte, ist, das zeigt Grimmelshausen mit bitterem Sarkasmus, von der Realität längst eingeholt und zur Verbrämung eines widerchristlichen Imperialismus größten Stils pervertiert worden.

      Neben solcher Aufklärung über scheinheilige Rechtfertigungen von Krieg und Eroberungspolitik im allgemeinen hat Grimmelshausen, offenbar auch durch sein Amt als Schultheiß von Renchen, nach wie vor Anlaß, der Versuchung der jungen, unerfahrenen „Schnautzhahnen“ zum Söldnerdienst entgegenzuwirken. In seiner Flugschrift „Stoltzer Melcher“ (1672) versammelt er noch einmal alle Argumente gegen den Krieg, kritisiert seine theologische Rechtfertigung, kommt jedoch zu einer differenzierten Darstellung des Problems der Verteidigung der eigenen Heimat159. Daß schon ein Jahr später der Krieg die Ortenau und Renchen überrollte, daß er selbst 1676 in den Kriegswirren starb, widerlegt seine unbeirrbare schriftstellerische Arbeit gegen den Krieg und die Versuchung zum Kriege nicht. Mit der Verkehrtheit der Welt hatte er immer gerechnet.160

      Grimmelshausens Darstellung der Vorurteile gegenüber den Juden

      Jede Geschichte, die in Deutschland handelt, so schreibt Günter Grass in seiner Gelnhausen-Erzählung, fing vor mehr als dreihundert Jahren an.161 Die Geschichte der Vorurteile gegenüber den Juden ist zwar erheblich älter, aber die heutige Einsicht, daß es sich bei diesen Urteilen um Vorurteile, betrüglichen Wahn handelt, hat in der Tat eine dreihundertjährige Vorgeschichte. An ihrem vorsichtigen Anfang steht neben wenigen anderen auch Johann Jakob Christoffel von Grimmelshausen. Wie jeder Romanschriftsteller hatte er freilich nur begrenzte Möglichkeiten, das Denken, die Einstellungen, das Handeln seiner Zeitgenossen zu beeinflussen. Selbst ein Lessing, hundert Jahre später, hat es ja nicht vermocht, der Diffamierung der Juden und der Mordlust gegenüber dieser Minderheit auf Dauer in den Köpfen die Grundlage zu entziehen. Dem Rückfall der Deutschen des zuendegehenden 19. und des 20. Jahrhunderts in die Barbarei standen vorurteilsfreie Schriftsteller hilflos gegenüber. Und wenn ich heute in diesem Zusammenhang die Stimme des aufrechten Gelnhäusers zu Gehör bringe, dann auch deshalb, damit die dreihundertjährige Überzeugungsarbeit, eine Sisyphusarbeit, nicht abbreche, sondern weitergehe,

      Ist uns aber die frühe Neuzeit und der Schriftsteller Grimmelshausen wirklich so nah, wie Günter Grass unterstellt? Ich werde zunächst klären, inwieweit man mit unseren heutigen Begriffen „Antisemitismus“ und „Toleranz“ die Situation der Juden in der frühen Neuzeit beschreiben kann. Ich werde dann die Leidensgeschichte der Juden im frühneuzeitlichen Europa skizzieren und in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung der Druckmedien für die Festigung der viel älteren Vorurteile verweisen. Vor diesem historischen Hintergrund will ich dann zeigen, wie der Erzähler Grimmelshausen mit seinen bescheidenen Mitteln den herrschenden Vorurteilen über die Juden den Boden zu entziehen versucht.

      I

      Begriffe wie „Antisemitismus“ und „Toleranz“ auf die Sozialgeschichte und Literaturgeschichte der frühen Neuzeit zu übertragen, erscheint auf den ersten Blick gewagt, ja verfehlt. „Antisemitismus“ im Sinne von Rassenhaß, Diskriminierung der jüdischen Minderheit aus rassistischen Beweggründen ist in der definitiven Form des 19. und 20. Jahrhunderts in der frühen Neuzeit nicht zu finden. Um die bis zum Ende des 18. Jahrhunderts vorherrschenden religiösen Beweggründe hervorzuheben, hat man daher den Begriff „Antijudaismus“ bevorzugt.162 Doch hat die frühneuzeitliche Feindseligkeit gegenüber den Juden nicht nur religiöse Gründe; es werden stets auch ethnische, konstitutionelle, physiognomische und ähnliche Gründe geltend gemacht. Die Polemik etwa des Humanisten Johann Reuchlin und seiner Freunde gegen den getauften Juden Joseph Pfefferkorn seit 1516 zeigt dies deutlich. Beiden Seiten ging es um das zu ihrer Zeit für Christen legitime Ziel der Missionierung der Juden, sie unterschieden sich in den Methoden. Während der jüdische Konvertit Pfefferkorn die ältere, harte Methode verfocht: Wucherverbot, Pflicht zur Teilnahme an christlichen Predigten, Verbot der jüdischen Bücher, insbesondere des Talmud, trat der Humanist Reuchlin für eine sanfte, geduldige Form der Missionierung und insbesondere für die Respektierung der jüdischen Bücher, auch des Talmud, ein. Höchst ehrenwert war auch sein Versuch, den Rechtsstatus der Juden zu verbessern, das damals moderne römische Recht auch auf die Juden anzuwenden, d.h. ihnen als concives Imperii Romani Untertanenstatus zuzusprechen und sie dem mittelalterlichen Sklavenstatus der servi camerae zu entziehen.163 Aber: in der Polemik gegen Pfefferkorn war Reuchlin und den Humanisten um ihn jedes Mittel recht, um diesen Neuchristen gerade als Juden und Undeutschen zu verunglimpfen. Ähnliches finden wir, sehr viel breitenwirksamer, an alle niederen Instinkte und Vorurteile appellierend und im 20. Jahrhundert ohne Schwierigkeiten aktualisierbar, in den Schriften des alten Luther gegen die Juden.164 Es besteht also kein Anlaß auf die angeblich ganz andersartigen Verhältnisse vor dem 19. Jahrhundert zu verweisen und sich mit dem vordergründig allenthalben anzutreffenden religiösen Antijudaismus als Verhaltensmotiv des frühneuzeitlichen Menschen zu beruhigen. Der Begriff Antisemitismus bleibt zwar unscharf und scheint nur zu einer ersten Verständigung geeignet, aber er erweist andererseits auch schon vor der Ära des Rassismus heuristischen Wert: irgendwie ist alles schon immer da, nur die Argumentation verändert sich, religiöse Argumente treten später zurück hinter solchen, die „wissenschaftlicher“ klingen, jedenfalls die größere Evidenz zeigen.

      Als ähnlich unscharf erweist sich der Begriff „Toleranz“ gegenüber den Juden.165 Im Sinne von wohlwollender, gesprächsbereiter Hinnahme, ja Anerkennung von Andersgläubigkeit und Andersartigkeit oder im Sinne

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