Grimmelshausen. Dieter Breuer
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Die politische Argumentation der Joseph-Histori korrigierend, macht Grimmelshausen auf das Dilemma aufmerksam, in das Joseph, der scheinbar so erfolgreiche Vertreter des frühabsolutistischen Machtstaates, ebenso übrigens wie die frühabsolutistischen Staatslehrer Lipsius und Contzen, ungewollt geraten sind. Wie diese Theoretiker die Vermehrung des fürstlichen Aerariums gefordert hatten, um (über die Finanzierung einer Heeresreform) die seinerzeit von innen und außen bedrohte Sicherheit des neuen, am Gemeinwohl orientierten Staates garantieren zu können, – und Maximilian I. von Bayern hatte, ihnen folgend, als erster deutscher Fürst eine solche Politik betrieben, – so rechtfertigt auch Joseph seine Schatzbildungspolitik mit der Abwendung einer staatsbedrohenden Hungerkatastrophe:
du wollest aber auch bedencken/daß anfänglich bey Eintritt der wolfeilen sieben Jahr meine Meynung nicht gewesen/das Volck ins künfftig auszusaugen und unter ein solches beschwerlichs Joch zu bringen; sondern solches in den folgenden 7. Theuren Jahren vor dem Hunger zu bewahren […]. (165f.)
Joseph sieht insofern auch keinen Ausweg, als alle wirtschaftlich vernünftigen Investitionen den Staatsschatz nur vergrössern würden. Nur mit Widerstreben läßt er sich auf den Vorschlag Musais ein, die aufgehäuften Schätze in ein monumentales Bauprogramm zu investieren, um auf diese Weise das stillgelegte Geld in Umlauf zu bringen, den Wohlstand im Lande zu heben und künftige kriegerische Abenteuer zu verhindern. Doch erweist er sich auch darin als ein Vertreter der älteren kameralistischen Lehre, daß ihm das Denken in den Kategorien einer dynamischen, auf möglichst schnelle Geldzirkulation zielenden Wirtschaftspolitik schwerfällt; er hält Musais Monumentalbauten für „eitele Thorheit und unnütze Verschwendung“ (167). Er kann offenbar die Anforderungen der neuen Situation, eine Politik der öffentlichen luxuria zu betreiben, mit seiner religiös fundierten politischen Moral nicht recht in Einklang bringen. Er sieht das moralische Dilemma, in das die absolutistische Staatsauffassung mit Notwendigkeit führen muß, und paßt sich widerstrebend an, während Musai in den Fürstenstand aufsteigt.
III
Damit ist die Fragestellung angedeutet, an der sich Grimmelshausen in den auf die Joseph-Histori folgenden Schriften immer wieder abmüht. Wachsende Skepsis gegenüber der Moralität der absolutistischen Staatsordnung führt ihn zu der nun viel grundsätzlicheren Frage: Gibt es überhaupt eine Ordnungsform des menschlichen Zusammenlebens, die zu ihrer „Selbsterhaltung“ (ratio status) nicht in Konflikt mit vorrangigen moralischen Prinzipien gerät? Sowohl der Simplicissimus Teutsch als auch die späte Histori Proximus und Lympida bieten hierzu differenzierte Lösungsversuche an, die, wie die Joseph-Histori, ein erstaunlich hohes Maß an politikwissenschaftlicher Einsicht aufweisen. Ich kann in diesem Rahmen nur einige vorläufige Textbeobachtungen wiedergeben, die das Thema keineswegs erschöpfen.
Die politische Fragestellung ist im Simplicissimus zwar nicht die vorherrschende, doch enthält, auffällig genug, jedes der fünf Bücher einen Beitrag zum Problem einer gerechten, vor göttlichem und natürlichem Recht verantwortbaren Sozialordnung, und zwar in der für Grimmelshausen typischen Form des Diskurses. Diese Diskurse strukturieren nun ihrerseits die ganze Histori und ergeben, wie mir scheint, eine zusammenhängende politische Argumentation. Die besondere Erzählperspektive (aus der Sicht des Untertanen) ermöglicht ihm dabei, anders als in der Joseph-Histori, eine grundsätzlich an den konkreten Auswirkungen orientierte Kritik vorfindlicher und vorstellbarer Sozialordnungen.
Der politische Diskurs des ersten Buches ist als „Traum vom Ständebaum“ bekannt. Mit Blick auf die zeitgenössische Staatstheorie gelesen, erweist sich dieser Diskurs als Ausgangsbasis für die dann folgenden Ordnungsüberlegungen: Er führt die menschliche Sozietät in ihrem Naturzustand vor. Der Traum veranschaulicht den vernunftwidrigen, weil affektgetriebenen Zustand des homo homini lupus, des Krieges aller gegen alle. Wie die frühabsolutistischen Staatstheoretiker, etwa Contzen oder Hobbes, geht auch Grimmelshausen von einem vernunftwidrigen gesellschaftlichen Zustand des Menschen aus. Er verschärft diese Position des homo homini lupus (Hobbes), des homo animal morosum, mutabile, versutum, tectum, pervicax (Contzen) jedoch noch dadurch, daß er die vorgefundene ständische Gliederung, d.h. die vorgefundene geburtsmäßige Ungleichheit, Adel und Nobilistensucht, unter die Vernunftwidrigkeiten rechnet.
Im zweiten Buch nimmt der Autor in der Form des Narrendiskurses das Ständeproblem noch einmal auf und dehnt es auch auf den Regentenstand aus: „Von dem müheseeligen und gefährlichen Stand eines Regenten“ (93).98 Am Beispiel des Hanauer Regenten wird der Regentenstand insofern als vernunftwidrig hingestellt, als er blind, ohne Selbsterkenntnis, auf eigennützigen Machtgenuß und auf Machtsicherung gegenüber Konkurrenten aus ist:
dein gantzes Leben [ist] nichts anders als ein immerwährende Sorg und Schlaffbrechens/dann du must Freund und Feind förchten/die dich ohn Zweiffel/wie du auch andern zu thun gedenckest/entweder umb dein Leben/oder umb dein Geld/oder umb deine Reputation, […] oder umb sonsten etwas zu bringen nachsinnen […]. Ich geschweige hier/wie dich täglich deine brennende Begierden quälen/und hin und wider treiben/wenn du gedenckest/wie du dir einen noch grössern Nahmen und Ruhm zu machen/höher in Kriegs-Aemptern zu steigen/grössern Reichthum zu samlen/dem Feind einen Tuck zu beweisen/ein oder ander Ort zu überrumpeln/und in Summa fast alles zu thun/was andere Leut geheyet/und deiner Seelen schädlich/der Göttlichen Majestät aber mißfällig ist! […] wann alles wol mit dir abgehet/so hastu auffs wenigste sonst nichts/das du davon bringest/als ein böß Gewissen; Wirstu aber dein Gewissen in acht nemmen wollen/so wirstu als ein Untüchtiger bey Zeiten von deinem Commando verstossen werden […]. (125ff.)
Im natürlichen Zustand des Krieges aller gegen alle zur Befriedigung der eigenen Interessen und zur Gewährleistung der eigenen Selbsterhaltung ist moralisches Verhalten unmöglich; dieser Zustand wird als ausweglos dargestellt. Moralität des politischen Verhaltens ist im Sinne der frühabsolutistischen Staatslehre erst dann möglich, wenn überindividuelle bzw. überständische Ziele das politische Handeln leiten, wenn das Wohl der gesamten Sozietät, dessen Maßstab das Wohl des „gemeinen Mannes“ ist, den Vorrang hat vor den Partikularinteressen einzelner Stände.99
Einen solchen Staat entwirft Grimmelshausen diskursiv im dritten Buch in der sogenannten Jupiterepisode (Cap. 3–6). Es ist das Bild eines absolutistisch-zentralistisch regierten Machtstaates, der auch hier die Beseitigung der ständischen Herrschaft, also die Beseitigung von Privilegien und Ungleichheit zur Voraussetzung hat, von einem absoluten Herrscher mit Hilfe seiner von ihm eingesetzten Verwaltung – einer Auswahl aus den „klügsten und gelehrtesten Männern“ (212) – regiert wird, das Konfessionsproblem, das ein friedliches Zusammenleben stört, im Sinne einer „geläuterten“ irenischen Staatsreligion löst und durch ein umfassendes Bündnissystem den Frieden in Europa sichert. Auf Einzelheiten kann ich hier nicht eingehen, möchte nur anmerken, daß der gesamte Diskurs große Ähnlichkeit mit dem „Grand Dessin“ des entmachteten Beraters des ersten Bourbonenherrschers Heinrich IV., des Herzogs von Sully aufweist, dabei jedoch die europäische Vormachtstellung Frankreichs in eine solche der „Teutschen Nation“ transponiert.100 Freilich: dieser Entwurf einer monarchischen Staatsordnung auf der Basis von iustitia und aequitas wird als eine Utopie, als ein Narrendiskurs ausgewiesen. Eine Instanz, die diesen Plan realisieren könnte, ist im Rahmen der Histori nicht zu finden; der „natürliche“ Krieg aller gegen alle geht weiter.
Die politischen Diskurse des vierten Buches bieten als Alternativen nur das Parasitenleben der Merodebrüder (Cap. 13) oder das des Räubers (Cap. 15–17), der, um zu überleben, „deß andern Todt“ sucht (335f.) und seine ratio status wie Olivier mit Berufung auf Machiavelli als die durchgängig praktizierte und praktizierbare rechtfertigt:
mein dapfferer Simplici, ich versichere dich/daß die Rauberey das aller-Adelichste Exercitium ist/das man dieser Zeit auff der Welt haben könnte! Sag