„… dass die Welt zwischen den Liebenden verbrannt ist“. Richard A. Huthmacher

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„… dass die Welt zwischen den Liebenden verbrannt ist“ - Richard A. Huthmacher

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inultum remanebit. Nichts kann vor der Strafe flüchten.“

      „Verstarb“ ist eine euphemistische Formulierung; man ließ seine Frau schlichtweg verrecken. Auch, indem man ihr nach einiger Zeit die kostenintensive Behandlung der Schäden, die man selbst verursacht hatte, verweigerte. Denn selbstverständlich unterliegen Krankenhäuser, unterliegt auch das sog. Gesundheits-, besser, genauer: Krankheits(verwaltungs)-Wesen der Kosten-Nutzen-Relation, die in unserer gesamten Gesellschaft gilt: „Es ist doch besser, wenn Sie sterben“, hatte ihr ein junger, nassforscher Oberarzt gesagt, „ihr Leben hat doch keinen Wert mehr“.

      Wert hat offensichtliche nur, was sich in Mark und Pfennig, in Euro und Cent belegen, rechnen lässt.

      So stand Reinhard nun am Totenbett seiner über alles geliebten Frau. Und ihm fiel das Brechtsche Gedicht „An die Nachgeborenen“ ein: „In Zeiten [„und diese Zeiten sind seit Anbeginn unserer Zivilisation und Kultur“, dachte Reinhard], wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt“, kann Kunst niemals l’art pour l’art sein. So dachte er. Vielmehr muss sie, die Kunst, Hoffnungen und Wünsche, Sehnsüchte und Ängste ausdrücken, muss sie mit der Kettensäge die Verzweiflung des Geistes, mit dem Pinselstrich die Narben der Seele zum Ausdruck bringen. Wie also könnte der Künstler sein, der nie wirklich Zweifel und Verzweiflung gespürt hat? Wie kann Kunst entstehen ohne Leid? Wie viel Leid indes kann der Künstler, kann der Mensch schlechthin ertragen?

      Fragen über Fragen.

      WER IST VER-RÜCKT?

      sich finden ein versprechen für

      immer glück mit den schatten

      des lebens wachsend blasses

      abbild eines traums

      und doch ein

      geschenk

      Die Wände des Zimmers kamen näher und näher, bebend, schwankend, taumelnd. In der Ferne ertönte Musik, Maria konnte nur einzelne Fetzen erkennen und glaubte, eine Sequenz aus Mozarts Requiem zu hören: „Dies irae, dies illa … solvet saeclum in favilla.“ Fratzen, grell und bunt, mit grotesk verzerrten Zügen, die sie gleichwohl an Prof. Neunmalklug und Frau Prof. Tausendschön erinnerten, drangen aus allen Richtungen auf sie ein und verschwanden ebenso schnell, wie sie gekommen waren. Grellbunte Kreise und neonfarbene Spiralen tauchten die Zimmerwände in ein gespenstisches Licht. Über ihre Arme krabbelte Ungeziefer und verbiss sich in ihrer Haut. Ihr Kopf war leer, ihre Gedanken waren aus Watte und ihre Arme und Beine aus Gummi; sie konnte sich weder bewegen noch einen halbwegs klaren Gedanken fassen, war eingeschlossen, weggesperrt in sich selbst. Schreien wollte sie, brüllen oder auch nur jaulen oder winseln, jedoch erstickte jeder Ton in ihrer Kehle. Immer größer wurde die Angst, die in ihr hoch kroch, sich mehr und mehr ausbreitete, die sich wie ein Reif um ihre Brust legte, die sie hinderte zu atmen und sie nachgerade erstickte. Ihre Panik wuchs ins Unermessliche. Plötzlich entrang sich doch ein Schrei ihrer Kehle: laut, durchdringend, aus Verzweiflung bebend.

      Maria wachte auf. Und nahm mit Bestürzung wahr, dass sie in einem fremden Bett und in einem fremden Zimmer lag. An Armen und Beine gefesselt, einen Schlauch im Hals und eine Kanüle in der Luftröhre. Langsam dämmerte die Erinnerung an das, was in den letzten Tagen geschehen war:

       Sie saßen am Kaffeetisch, es war ein schöner Tag im Juni. Marias Mutter war zu Besuch, sie freute sich, dass ihre Tochter wieder wohlauf und von ihrer Krebserkrankung weitgehend genesen war. Auch Reinhard schaute glücklich drein. Plötzlich hämmerte es gegen die Haustür. Maria staunte, umso mehr, als sie sehr zurückgezogen lebten und kaum Besuch empfingen. Und schon gar keinen, der sich auf solch unangemessene Art bemerkbar machte. Unwirsch erhob sich Reinhard und ging zur Tür.

      „Aufmachen! Polizei!“, schrie es von draußen. Völlig irritiert öffnete er die Tür. Und erhielt unversehens einen Schlag gegen die Brust, so dass er rückwärts taumelte. Grün-Uniformierte, an der Aufschrift auf ihren Jacken als Polizei erkennbar, damit man sie nicht mit einem Rollkommando verwechsele, stürmten ins Haus, ihnen folgte ein Milchbart, dessen Wichtigkeit daran zu erkennen war, dass er die Aufschrift „Notarzt“ trug, zwei kräftige Bauernburschen, dem Anschein nach nicht bösartig, eher einfältig und ebenso dreinblickend, folgten ihm; sie waren als Sanitäter zu identifizieren.

      „Was ist hier los? Was geht hier vor?“ presste Reinhard heraus, weil ihm der Stoß gegen die Brust noch immer den Atem nahm. „Wir bringen Ihre Frau in die Klinik“, kam kurz und knapp die Antwort. „Das muss ein Irrtum sein. Meine Frau will nicht in die Klinik. Warum auch. Sie ist nicht, jedenfalls nicht mehr krank. Außerdem bin ich selbst Arzt.“ „Wir haben den Auftrag, Ihre Frau in die Klinik zu bringen.“ „Wer hat sie beauftragt? Mit welchen Recht?“ „Dazu sagen wir nichts.“ „Haben Sie irgendeinen richterlichen Beschluss?“ „Brauchen wir nicht.“ „Wieso nicht?“ „Gefahr im Verzug.“ „Welche Gefahr? Welcher Verzug?“ „Halten Sie endlich die Fresse.“

      Es war nicht zum ersten Mal, dass sich die Hüter von Recht und Ordnung gewaltsam bei Reinhard Einlass verschafften. Einige Jahre zuvor hatten das Bundeskriminalamt und mehrere Landeskriminalämter zwei Hundertschaften losgeschickt, um seine Klinik, die Zentralen seiner Firmen und private Wohnsitze auf den Kopf zu stellen. Wegen vermeintlichen Abrechnungsbetrugs, wegen angeblicher Rezeptfälschungen, wegen geradezu irrwitzig behaupteter Drogenschiebereien.

      Wie die Vandalen waren die Hüter staatlicher Gewalt eingefallen – der Vergleich sei gestattet, ohne die Vandalen beleidigen zu wollen. Keinen Stein hatten sie auf dem anderen gelassen, mit Transportern hatten sie die beschlagnahmten Unterlagen weggeschafft. Nur wenige Stunden später wurden Reinhards angebliche Missetaten im Radio publik gemacht; entsprechende Informationen waren den Medien offensichtlich durch Polizei und Staatsanwaltschaft zugespielt worden. Kein Hund hätte in der Kleinstadt, in der Reinhard damals lebte, anschließend noch ein Stück Brot von ihm genommen.

      Anlass des martialischen Großeinsatzes waren falsche eidesstattliche Versichrungen von Dr. G. Großkotz, zuvor Geschäftspartner von Reinhard, dann, aufgrund geschäftlicher und privater Zerwürfnisse, dessen, Reinhards, Todfeind.

      Ursache des Haberfeldtreibens gegen Reinhard waren jedoch dessen Auseinandersetzungen mit der Kassenärztlichen Vereinigung und mit der Ärztekammer.

      Auseinandersetzungen deshalb, weil Reinhard bedürftige Patienten, auch aus dem angrenzenden Ausland, umsonst behandelte. Auseinandersetzungen, weil Reinhard in seiner Klinik Organisationsstrukturen geschaffen hatte, die deutlich werden ließen, wie viel Geld im Gesundheitswesen zum Fenster hinausgeworfen wird. Auseinandersetzungen, weil Reinhard seine Patienten besser und gleichzeitig kostengünstiger behandelte als seine Kollegen. Was indessen nicht deren Anerkennung, vielmehr ihren Neid und ihre Missgunst zur Folge hatte.

      Fast überflüssig zu erwähnen, dass die mehr als zehn Strafverfahren, die gegen Reinhard dann eingeleitet worden waren, nach fast zehn Jahren eingestellt wurden.

      Zu Lasten der Staatskasse. Nachdem die fleißigen Ermittler fast fünfzigtausend Seiten Ermittlungsergebnisse zusammengetragen hatten. Nachdem Verfahren eingestellt und wieder eröffnet, nachdem Hauptverhandlungstermine anberaumt und wieder aufgehoben worden waren. Nachdem Reinhard ein halbes Dutzend Anwälte beauftragt und wieder entlassen hatte. Weil deren vornehmliche Tugend darin bestand, für ein horrendes Honorar möglichst wenig zu leisten. Nachdem die Banken all seine Kredite gekündigt und ihn in den Ruin getrieben hatten. Und zwar aufgrund weiterer eidesstattlicher Versicherungen seiner Todfeindes Dr. Großkotz. Eidesstattlicher Versicherungen, die sich im Nachhinein als erwiesenermaßen falsch herausstellten.

      Weshalb

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