„… dass die Welt zwischen den Liebenden verbrannt ist“. Richard A. Huthmacher
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу „… dass die Welt zwischen den Liebenden verbrannt ist“ - Richard A. Huthmacher страница 7
Reinhard balgte sich mit den Polizisten, hatte gegen die Übermacht indes keine Chance; sie drängten ihn immer wieder ab, wenn er seiner Frau zur Hilfe eilen wollte. Diese hatten sie zwischenzeitlich ins Schlafzimmer geschleift und aufs Bett geworfen, wo sie mit Gewalt festgehalten wurde; ihre Mutter saß schreckensstarr in einer Ecke, stumm vor Angst, nachdem man sie mit roher Gewalt von ihrer Tochter losgerissen und ihr, die gerade einmal 35 kg wog, einen derart rüden Stoß versetzt hatte, dass sie, durchs Zimmer taumelnd, mit dem Rücken an der gegenüberliegenden Wand, in dessen Ecke sie nun saß, gelandet war.
Reinhard gelang es, ein Fenster aufzureißen und nach Leibeskräften um Hilfe zu rufen. Doch selbst wenn man ihn hörte, abgelegen, wie sie wohnten – wer hätte Hilfe gegen wen holen sollen. Die Polizei alarmieren, dass sie gegen die Polizei einschreitet?
Maria lag mittlerweile keuchend und strampelnd auf dem Bett, wehrte sich mit hochrotem Kopf und Tränen in den Augen gegen die rohe Gewalt, mit der man sie festhielt. „Gleich werden Sie schlafen, dann geht’s es Ihnen besser“, versuchte, dümmlich grinsend, der milchbärtige Notarzt mit dem Doppelnamen Verbrecher-Hasenfuß sie zu beruhigen. „Mein Gott, welche Waschlappen man aus Menschen machen kann“, schoss es Reinhard durch den Kopf. „Und welch Unheil diese Hasenfüße anrichten.“
„Hilfe, Hilfe, sie bringen mich um“, schrie Maria mit nach und nach erstickender Stimme; Verbrecher-Hasenfuß hatte ihr eine Spritze gesetzt, die sie zum Verstummen brachte.
Dann ging alles schnell. Man legte Maria auf eine Tragbahre, fixierte sie an Händen und Füßen – d.h., man fesselte sie wie eine Schwerkriminelle – und verfrachtete sie in den bereitstehenden Rettungswagen, der sich, eskortiert von Einsatzfahrzeugen der Polizei, alsdann mit Blaulicht und Martinshorn in Bewegung setzte.
Welch´ gelungene Inszenierung, was für ein Spektakulum für die Schaulustigen, die sich zwischenzeitlich, trotz der abseitigen Lage des Anwesens, eingefunden hatten. Reinhard erinnere sich an die Verhaftung eines Terroristen, die er in den Siebziger-Jahren während seiner Studienzeit in Berlin erlebt hatte; der Aufwand heute war dem von damals durchaus vergleichbar.
Noch hielt Reinhard die Ereignisse für eine weitere Nacht- und Nebelaktion der Polizei; dass Arzt-Kollegen – Prof. Neunmalklug, Frau Prof. Tausendschön und Dr. Großkotz – in das Geschehen verstrickt, mehr noch, dessen Initiatoren sowie Inszenierung und Ablauf des weiteren Vorgehens bereits minutiös geplant waren, ahnte er nicht.
Mithin glaubte er, mit Arztkollegen im Krankenhaus reden und sie vom Unrecht der Vorkommnisse überzeugen zu können, wenn er die Klinik nicht allzu lange nach dem gespenstischen Tross erreichen würde, der mittlerweile durch die Nacht preschte wie weiland der Reiter in Goethes Erlkönig. Schier wahnsinnig vor Angst um seine Frau jagte er deshalb hinter dem Konvoi her, überfuhr rote Ampeln, kümmerte sich nicht um Einbahnstraßen, übersah die Lichthupen der Autos, die ihm entgegenkamen, rumpelte über Bordsteinkanten, dass fast die Achsen brachen, schleudert auf dem nassen Asphalt und behielt nur mit Müh und Not die Kontrolle über seinen Wagen.
An der Klinik angekommen, hetzte er zur Notaufnahme. Schon von weitem hörte er die Hilferufe von Maria, die offensichtlich wieder aufgewacht war. „Hilfe. Hilfe, warum hilft mir denn keiner. Reinhard, bist Du da, wo bist Du. Hilf mir doch.“
Zwei Wachleute, die bereits auf Reinhard warteten, wollten ihm den Zugang zur Notaufnahme versperren; es misslang. „Ich komme, ich helfe Dir“ schrie Reinhard, und sah, wie Maria von Pflegern und Ärzten in wehenden weißen Kitteln in weiter hinten gelegene Räume verbracht wurde.
Arztkollegen, die er ansprach, zuckten zurück und stieben von dannen, als habe er Pest und Cholera gleichzeitig. Plötzlich begriff Reinhard, dass Marias Verschleppung generalstabsmäßig geplant worden war. Schon tauchten Grünuniformierte auf, welche die überrumpelten Wachleute zu Hilfe gerufen hatte; sie schleiften Reinhard, nicht gerade zimperlich, nach draußen.
VERSCHLEPPT – MITTEN IN DEUTSCHLAND
Als Maria ihre Briefe aus dem Psychiatrie-Knast, in den man sie verschleppt und eingesperrt hatte, schrieb, als sie diese Briefe in aller Eile kritzelte, weil sie unter ständiger Beobachtung stand und weil man schon wiederholt ihre Briefe konfisziert hatte, als Maria ihre Zeilen geradezu hinschmierte, weil ihre Mutter sich angemeldet hatte und den Brief für Reinhard, dem man nicht gestattete, sie zu besuchen, aus der geschlossenen Anstalt schmuggeln wollte, lag schon ein Martyrium hinter ihr. Und noch größere Pein vor ihr.
Nach ihrer gewaltsamen Klinikeinlieferung war sie sofort in den OP verbracht und dort gegen ihren Willen operiert worden. Weshalb war ihr unklar. Man hätte die Entzündung ihrer Beine, die mit ihrer – weitestgehend ausgeheilten – Krebserkrankung nichts, aber auch nicht das Geringste zu tun hatte, ohne weiteres konservativ, also nicht operativ behandeln können. Wie dies bei Kindern grundsätzlich so gehandhabt wird.
Zweifelsohne wäre eine solche Behandlung auch zu Hause möglich gewesen. Zumal Reinhard ja Arzt war. Dass sie also gegen ihren Willen hierher verbracht wurde, war nur ein Vorwand, um sie „aus dem Verkehr“ zu ziehen. Indem man ihr eine psychische Erkrankung unterstellte, sie für unzurechnungsfähig erklärte, weil sie sich einer angeblich notwendigen Operation entzog.
Der sich zu entziehen, selbst wenn die Operation tatsächlich notwendig gewesen wäre, was indes nicht zutraf, selbstverständlich einzig und allein ihre eigene Entscheidung war; niemand kann gezwungen werden, sich eine bestimmten Behandlung angedeihen zu lassen. Selbst wenn sich jemand für eine andere als die übliche Behandlung entscheidet, kann daraus nicht geschlussfolgert werden, er sei psychisch krank. Dies ist auch juristisch unumstritten.
Nach der Operation war Maria nicht auf Intensivstation oder in der chirurgischen Abteilung aufgewacht. Zunächst mit ungläubigem Staunen, dann mit wachsendem Entsetzen nahm sie zur Kenntnis, dass sie sich in der psychiatrischen Abteilung der Klinik befand. Was hatte man nun mit ihr vor? Hatte man sie noch nicht genug gequält?
Ihr blieb kaum Zeit, Ordnung in ihre Gedanken zu bringen, denn schon näherte sich ein Pfleger, groß, dunkelhaarig, nicht unsympathisch wirkend, der wohl darauf gewartet hatte, dass sie aus der Narkose erwacht. In gebrochenem Deutsch sagte er zu ihr: „Ich geben jetzt Spritze gegen Schmerzen.“ Irmgard hatte keine Schmerzen, sie wollte keine Spritze und ahnte instinktiv Schlimmes. Dann schwand auch schon ihr Bewusstsein.
Aus Akten und Zeugenaussagen lässt sich das weitere Geschehen wie folgt rekonstruieren:
Jeder, der zwangsweise in der Psychiatrie untergebracht wird, muss bis zum Ablauf des auf die Einweisung folgenden Tages einem Richter vorgestellt werden, damit dieser darüber entscheiden kann, ob die zwangsweise Unterbringung rechtens und ggf. aufgrund des Gesundheitszustands des Betroffenen fortzusetzen oder nicht rechtens und zu beenden ist. Gegen den Willen des Betroffenen kann dieser nur bei akuter Selbst- und/oder Fremdgefährdung zwangsweise untergebracht werden; das Bayerische Unterbringungsgesetz ermöglicht eine zwangsweise Unterbringung auch, wenn im „erheblichem Maß die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet“ ist, was auch immer dies bedeutet. Eine Unterbringung kann ferner erforderlich sein, um eine Person, die nicht im psychiatrischen Sinne erkrankt ist, vor einer Gefahr für Leib oder Leben zu schützen, weil sie sich in einem Zustand befindet, der ihre freie Willensbildung ausschließt.
Maria indes gefährdete weder sich selbst noch andere; man konnte sie somit nur in der Psychiatrie eingesperrt halten, wenn man sie in diesen zuvor benannten, eine freie Willensbildung ausschließenden Zustand versetzte.
Deshalb wurde sie „abgeschossen“. Reinhard kannte diesen zynischen Begriff aus seiner früheren ärztlichen Tätigkeit in der Psychiatrie – so verfuhr man gegebenenfalls