Otternbiss. Regine Kölpin

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Otternbiss - Regine Kölpin

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verstaute derweil ihre Tasche im Zimmer.

      »Hast auch eine eigene Dusche«, hörte sie Tant’ Mimi.

      Es war Maria egal, sie hätte sich das Bad auch mit anderen geteilt. Schließlich wollte sie sich hier nicht erholen.

      »Warum bist denn du überhaupt auf der Insel?« Tant’ Mimis Stimme klang angestrengt, als recke sie sich gerade, um etwas vom Schrank zu holen. Über Marias Gesicht glitt ein flüchtiges Grinsen. Tant’ Mimi holte den Kandis von dort oben. Mimi war kein Mensch, der in seiner kleinen Welt gern etwas veränderte.

      Maria antwortete nicht, stand mit hängenden Armen vor ihrem Bett. Karl hatte es Tant’ Mimi doch am Telefon lang und breit erklärt, und auch aus ihrem Mund würde seine Cousine es nicht verstehen. Die hatte ihre eigene Sichtweise auf die Dinge. Was vorbei war, war vorbei. Wer gestorben war, war gestorben und konnte nicht wieder zum Leben erweckt werden. Besser, man verdrängte alle Erinnerungen. Sie lebte nach der Vogel-Strauß-Methode. Kopf in den Sand und abtauchen. Da war sie wie Karl.

      Achim war nun schon lange verschollen. Wenn er tot war, würde von ihm nicht mehr viel übrig sein. Wahrscheinlich gar nichts. Nicht ein Haar, vielleicht ein paar Knochen. Maria kannte sich damit nicht aus. Das Meer hatte bestimmt entsprechend dazu beigetragen.

      Gleich wollte Maria noch zum Osten raus radeln. Es war wie eine Schocktherapie und sie wusste auch nicht, ob es eine gute Idee war. Ob nicht zu viele Erinnerungen ausgegraben werden würden.

      »Tee ist jetzt fertig, mien Deern. Setz dich zu mir.«

      Maria seufzte und schlich in die Küche. Auf dem runden Eckregal tanzten noch immer zwei Porzellanfeen um eine halbnackte grüne Meerjungfrau und kleine gehäkelte Blumen schmückten die Fensterbänke. Nichts sah auch nur ansatzweise anders aus als vor zehn Jahren. Sogar das schlammfarbige Tischtuch zierte den dreibeinigen Beistelltisch noch wie damals.

      Trotz der Furcht vor der eigenen Courage fühlte Maria an diesem Ort so etwas wie ein Nachhausekommen. Sie hatte schreckliche Angst vor dem, was sie hier finden könnte. Am meisten fürchtete sie sich davor, zu viel von sich selbst zu entdecken, ihren Erinnerungen nicht gewachsen zu sein.

      Tant’ Mimi bemerkte davon nichts. Redete ununterbrochen über den zu kalten Frühling, über den Garten ihrer Nachbarin und ob die Insel in drei Wochen von den Badegästen förmlich überflutet werden würde. Sie hoffte auf eine große Ausbeute. »Immerhin habe ich viel renoviert im letzten Winter.«

      Maria blickte erstaunt zu Tant’ Mimi. Die Küche war von den Neuerungen definitiv nicht betroffen.

      Tant’ Mimi realisierte Marias fragenden Blick sofort. »In den Gästezimmern. Das muss sich jetzt auszahlen.« Sie wiegte den Kopf. Allein die Toilette habe sie ein Vermögen gekostet. Keiner müsse noch an der Strippe ziehen. Zwei runde Scheiben an der Wand waren für alles zuständig. Eine zum Wassersparen. Man käme nicht umhin, an den Aufwand zu denken, mit dem das Wasser vom Festland hierher gebracht werden würde. Die Wasserlinse unter der Insel reiche schließlich nicht, dazu sei Wangerooge viel zu sehr geschrumpft. Man munkele jetzt sogar, die Insel sei mittlerweile kleiner als Baltrum. Aber davon wollten weder die Wangerooger noch die Baltrumer etwas wissen.

      Tant’ Mimi war nicht zu stoppen. Auch die Stelle des Inselarztes sei vakant. Eine Vertretung wäre jetzt da.

      Maria trank ihren Tee, sagte aber nichts dazu. Das wusste sie noch von früher: Tant’ Mimi widersprach man besser nicht und eine Unterbrechung des Redeflusses wurde mit einem noch ausschweifenderen geahndet.

      Nach drei Tassen mochte Maria nicht mehr. Tant’ Mimi kochte den Tee so stark, dass sie bei zu großer Menge Magenschmerzen davon bekam. »Ich will los, Tant’ Mimi. Noch ist es hell.«

      »Komm ja vor Sonnenuntergang zurück!« Sie kniff die Lippen zusammen, nickte beflissen mit dem Kopf. »Hier treibt sich ein Mörder herum.«

      Maria nahm sich Tant’ Mimis Fahrrad, das sie vorher bereitgestellt hatte. Die Straße war arg uneben und die Reifen holperten über die Siedlerstraße in Richtung Osten. Der Flughafen lag sehr ruhig da, noch schlief die Insel ihren Winterschlaf. Doch schon bald würden die Maschinen in Schwärmen aufsteigen und landen.

      Je weiter Maria aus dem Dorf herausfuhr, desto freier fühlte sie sich. Sie hätte dieses Gefühl selbst nicht für möglich gehalten, aber die große Furcht, die sie eben noch in Tant’ Mimis Haus befallen hatte, war wie weggeblasen.

      Schon am ersten Dünenübergang stellte sie das Rad ab. Es zog sie an den Strand und die steilen Dünenhänge. Sie wollte die Schaumkronen vom Meer sehen, wenn die Wellen sich brachen. Egal, wie das hier ausging. Sie war über sich selbst hinausgewachsen, indem sie den Mut gefasst hatte, nach Wangerooge zu reisen. Auf dem Dünenkamm stellte sie sich auf und schaffte es zum ersten Mal nach zehn Jahren, sich gerade hinzustellen, den Rücken aufzurichten.

      Das Schicksal des kleinen Jungen hatte sie hierher geführt, damit sie das vollenden konnte, was sie musste, um endlich leben zu können.

      Unten am Weg stand ein Pfahl mit einer Tafel darauf. Maria fühlte sich magisch angezogen. Und gehen hieß das Gedicht. Sie würde gehen. Sie würde sehen, atmen und am Ende hören, was das Leben ihr zu sagen hatte. Sie ging los, ihren neuen Weg entlang.

      *

      Daniel hatte Maria vorhin fortgehen sehen. Mit dem Trolley in der Hand. Er konnte das nicht zulassen. Sie war seine Braut, auch wenn sie das noch nicht wusste. Was hatte er nicht schon für sie getan. Und er wollte es noch weiter tun. Liebe kannte keine Grenzen. Ihm war klar, wohin sie unterwegs war und er würde ihr nach Wangerooge folgen. Nicht einen Schritt durfte sie ohne ihn machen. Er musste auf sie aufpassen. Das hatte er sein Leben lang so gehalten. Auch als die Sache mit dem Jungen damals passiert war, war er da gewesen.

      Sie hatten sich zusammen für die Betreuung der Kinder angemeldet. Das heißt, sie hatte sich angemeldet und er hatte es ihr gleichgetan. Nur in ihrer Nähe wollte er sein. Es war für ihn so wichtig wie essen und trinken. Auch wenn sie seine Sehnsucht nicht erwiderte, nicht begriff, welche Anziehungskraft sie auf ihn hatte. Er liebte ihren warmen Blick, der in den letzten Jahren von so unglaublicher Traurigkeit geprägt war. Er liebte ihren recht kräftigen Po, der für ihn nicht dick, sondern einfach wahnsinnig weiblich war. Er liebte den vollen Mund, der sich viel zu selten zu einem Lachen verzog, obwohl Marias Schönheit erst durch ein Lächeln richtig zur Geltung kam. Er liebte sogar ihre kleine Speckfalte oberhalb des Hosenbundes, die sich auch mit geschickter Kleidung nur schwer verbergen ließ. Sie gehörte zu Maria, genau wie ihre Wortkargheit, die sie nur durchbrach, wenn sie wirklich etwas zu sagen hatte. Maria war keine Frau, die wahllos drauflosplapperte. Sie redete nur, wenn sie es für unabdingbar hielt.

      Daniel kniff die Augen zu. Warum nur wollte sie nun nach Wangerooge? Er selbst segelte ab und zu rüber, versuchte aber, die Kindermassen nicht zu beachten, die das ganze Jahr über aus den Schullandheimen über die Insel schwärmten.

      Er dachte an den liebevollen Blick, mit dem Maria dieses hässliche sommersprossige Kind damals immer angesehen hatte. Das, was aussah wie einer der Simp­sons. Oder wie ein aus dem Nest gefallener Vogel. Er fand keinen passenden Vergleich, weil es für diese Ausgeburt an Hässlichkeit keinen gab. Er war schlaksig und eigenwillig gewesen. In Daniels Augen auch viel zu besitzergreifend. Wenn er nur an dieses blöde Lied dachte, das der Kleine ständig beim Anziehen gesungen hatte: »Erst die Schuhe, dann die Jacke, dann die Mütze, dann der Schal.«

      Dabei hatte er gekichert. Weil Sommer war und er weder Mütze noch Schal brauchte. Wenn er die Handschuhe dazu kreierte, hatte er sich schließlich vor Lachen auf dem Fußboden gekugelt.

      Dass

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