Otternbiss. Regine Kölpin

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Otternbiss - Regine Kölpin

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riss die Reisetasche vom Schrank. Ein Nebel aus Staub umhüllte sie. Maria musste husten. Sie hatte die Tasche seit ihrer langen Reise nicht benutzt. Maria wischte sie notdürftig sauber, warf eine Jeans, ein paar Socken, Pullis und Shirts hinein. Sie achtete nicht darauf, ob es farblich zusammenpasste, geschweige denn, wie sie darin aussehen würde. Als sie den Reißverschluss zuzog, glaubte sie, hinter sich ein Geräusch zu hören. Sie schnellte herum. Im Türrahmen stand Onkel Karl. Das Sonnenlicht brach sich in seinem angegrauten langen Haar, das sich ohne Übergang mit einem dichten Rauschebart vermischte. Der überdimensionale Bauch versteckte sich unter seinem karierten Hemd, über dem er stets eine beigefarbene Fellweste trug. Die Arme lagen jetzt verschränkt vor seiner Brust.

      »Was hast du vor?«, fragte er mit seiner leisen Stimme, die zwar jederzeit zu Maria fand, ihn aber außerhalb des Hauses ebenso abgrenzte wie sie selbst. Onkel Karl wurde nur dort ernst genommen, wo man ihn kannte. Wo er schon hatte beweisen können, was sich hinter der Maske aus Bart und Stimme verbarg. Für die Insulaner war er ein solcher Mann. Obwohl er längst in Rente war, hatten es sich die Bewohner von Wangerooge noch nicht abgewöhnt, ihn, wie seit jeher, für alle möglichen Reparaturarbeiten anzurufen. Ruhig, wie er war, genoss er dort die uneingeschränkte Akzeptanz, die ihm auf dem Festland versagt blieb. Auch wenn er keiner von ihnen war. Aber er entsprach dem Bild des wortkargen Friesen in so einem Ausmaß, dass sie es augenscheinlich einfach vergaßen.

      Für andere war er einfach ein Niemand. Vielleicht klebten Maria und er aus diesem Grund so aneinander. Ihre Symbiose hatte beinah pathologische Züge, war von einer gewissen Abhängigkeit geprägt. Maria und Karl redeten nicht darüber. Sie wussten beide darum, fanden es aber nicht der Rede wert. Wichtig war ihnen nur, dass sie selbst damit umgehen konnten.

      »Was hast du nun vor?«, fragte Karl ein zweites Mal, nachdem Maria ihm die Antwort schuldig geblieben war.

      »Ich fahre nach Wangerooge«, sagte sie und wunderte sich, wie selbstverständlich ihr die Auskunft über die Lippen kam.

      »Nach Wangerooge«, wiederholte Karl.

      Maria sah, dass er es nicht glauben wollte.

      »Du warst seit zehn Jahren nicht mehr drüben. – Warum jetzt?«

      Sie deutete mit einer Handbewegung in die Küche. Karl trat in den Flur, blickte zum Küchentisch, auf dem die Zeitung noch aufgeschlagen lag. Maria folgte ihm. Der braune See hatte sich auf dem geblümten Wachstischtuch ausgebreitet und trocknete an den Rändern bereits an. Die Teetasse lag seitlich gekippt, der Kluntje darin hatte sich noch nicht vollends aufgelöst. Die Zeitung war vom Tisch gefallen, ihre Seiten hatten sich auf dem Boden schon mit dem ausgelaufenen Tee vollgesogen.

      Karl begriff wie immer sofort. Er hob das Tageblatt auf. Seine Augen klebten an dem Bild des toten Jungen. Wortlos legte er die Zeitung zurück. Maria stand ebenfalls stumm daneben. Karl nahm ein Tuch, wischte den Tisch sauber, stellte die Tasse wieder hin. Er rückte den Stuhl zurecht.

      »Es ist keine gute Idee«, sagte er schließlich. »Es wird dir nicht guttun.«

      »Warum hast du nichts gesagt?«, flüsterte Maria »Du musst doch gestern etwas mitbekommen haben, als du drüben warst.«

      Karl sog die Luft scharf ein. »Ich dachte, es sei besser, du weißt es nicht.« Er wollte ihr über das Haar streichen, verharrte aber ein paar Zentimeter darüber. Karl mochte keine Berührungen. »Die Sache«, er räusperte sich, »muss doch mal zur Ruhe kommen.«

      Maria drehte sich um und holte die gepackte Tasche. »Ich nehme das nächste Schiff. Ich kann bei Tant’ Mimi schlafen.«

      Mimi war die Cousine von Karl, bei der er stets Unterschlupf fand, wenn er die Insel aufsuchte. Karl zuckte mit den Schultern. Er war noch nicht so recht überzeugt, das sah Maria.

      »Ich muss dorthin, Karl.« Sie senkte die Augen. Eine Träne bahnte sich ihren Weg.

      »Aber was soll das bringen? Achim ist doch nicht umgebracht worden. Was willst du erreichen?« Karl schüttelte den Kopf.

      Maria zuckte mit den Schultern, war aber schon auf dem Weg zur Tür. »Ich glaube, es wird mir helfen. Da war jemand an dem Morgen. Ich bin mir ganz sicher. Achim ist nicht vom Nebel verschluckt worden, Karl. Achim und dieser Junge: Sie verbindet etwas. Ich spüre das ganz genau.«

      Sie sah, dass Karls Hand zitterte, als er ihr hinterher winkte.

      Seelenpfad 3

      Und gehen

      … und sehen

      sehen o Wunder …

      Heinz-Albert-Heindrichs (* 1930)

      Maria hatte gleich das nächste Schiff genommen. Tant’ Mimi wohnte in der Siedlerstraße, hatte sich eines der grauen Häuser zurechtgemacht und vermietete Zimmer an die Feriengäste. Nur eines hielt sie immer frei. Für Karl. Manchmal dachte Maria, dass Onkel Karl womöglich eine Liebesbeziehung zu Mimi hatte. Aber sie konnte sich ihn nur schwer als Liebhaber vorstellen.

      Er war nicht nur äußerlich, sondern auch vom Wesen her sehr speziell. Ein prima Kumpel, ein Mann, auf den man sich in jeder Lebenslage verlassen konnte. Für so manche Frau mochte das reichen. Doch Maria fiel es schwer, sich das einzugestehen: Onkel Karl glich er einem abgeliebten Teddybären. Sein Rauschebart ließ kaum einen Blick auf die Gesichtszüge zu. Ein Rest rot geäderter Wangenhaut blinzelte unterhalb des Auges hervor, zeugte von häufigem Aufenthalt an der frischen Luft. Viel Mimik war bei ihm ebenfalls nicht zu erkennen. Einzig seine Lippen bewegten sich ununterbrochen, wie bei einem Fisch, der an Land nach Luft schnappte. Seine Augen wirkten so, als würden sie immer lächeln. An den meisten Tagen trug er eine Latzhose, die er nur hin und wieder gegen eine dunkelbraune, verwaschene Cordhose tauschte.

      Nein, Maria konnte es drehen, wie sie wollte: Onkel Karl war alles andere als attraktiv. Wobei Tant’ Mimi mit ihrer übergewichtigen Dominanz auch nicht auf den Laufstegen dieser Welt zu Hause war. Von daher waren ihre Ansprüche vielleicht nicht so hoch.

      Karl hatte bei Mimi angerufen und Marias Kommen angekündigt. Noch während des Telefonats hatten seine Hände dermaßen vibriert, dass Maria kaum hinsehen mochte. Immer wieder schüttelte Karl den Kopf, während er Tant’ Mimi die Situation klar machte.

      Maria hatte zu Hause die Tasche noch gegen Karls Trolley eingetauscht. Es machte einen Höllenkrach, als sie damit über das unebene Pflaster lief. Auch nicht besser als Autolärm, dachte sie und stellte sich vor, wie es klingen musste, wenn sich ganze Gruppen auf den Weg in das Oldenburger Heim oder zur Villa Kunterbunt, dem Mutter-Kind-Heim, machten.

      Tant’ Mimi wartete schon im Vorgarten. Sie zupfte an ein paar Blütenstängeln herum, die noch vom Vorjahr karg ins Licht schauten. Außer den vereinzelten Krokussen war noch kein Farbtupfer im Garten zu erkennen. Es war zu lange viel zu kalt gewesen. Schwerfällig stemmte Mimi ihren Oberkörper in die Höhe. Sie blinzelte in die Sonne, als Maria vor ihr stand.

      »Da bist du ja, mien Deern.« Sie strich ihr mit der erdigen Hand über die Wange. Es kratzte, als dabei ein paar Krümel zur Erde fielen. »Warst so lange nicht mehr hier. Hätte dich kaum erkannt.« Sie schürzte die Lippen. »Zehn Jahre sind das wohl.«

      Maria nickte. Im Sommer waren es zehn Jahre.

      Tant’ Mimi bugsierte sie ins Haus, in dem es etwas abgestanden und leicht schimmelig roch. Marias feine Nase hatte den typischen Geruch sofort eingefangen.

      »Tee?«,

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