Einäugige Killer: 5 klassische Krimis. Cedric Balmore
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Читать онлайн книгу Einäugige Killer: 5 klassische Krimis - Cedric Balmore страница 12
»Was sagte er?«
»Ich war so erschrocken, daß ich seine ersten Worte gar nicht richtig verstand. Ich glaubte allen Ernstes, daß mein letztes Stündlein gekommen sei.«
»Bewahren Sie Geld im Büro auf?«
»Wechselgeld, im Safe«, nickte sie. Sie hielt meinem Blick während der Unterhaltung stand, aber das geschah auf eine forcierte, beinahe verkrampfte Weise. Ich kam nicht davon los, daß sie mir ein Märchen erzählte. Aber warum hätte sie das tun sollen?
Ich blickte auf die Uhr. »Die Polizei läßt auf sich warten«, sagte ich irritiert.
»Ich habe Betty verboten, die Polizei zu alarmieren«, meinte Miß Hastings. »Warum denn das?«
»Es ist ja nichts passiert«, sagte sie. »Na, hören Sie mal! Ich denke, der Bursche wollte Ihr , Geld? Es war ein versuchter Raubüberfall! Er hat Sie geschlagen! Ihnen muß doch daran gelegen sein, daß der Mann gefaßt und abgeurteilt wird.«
Miß Hastings betastete mit ihren Fingerspitzen die aufgeplatzte Lippe. »Das geht rasch vorüber«, murmelte sie. »Nein, ich möchte keine Anzeige erstatten. Protokolle, Presseberichte… Davon halte ich nichts.«
»Das müssen Sie wissen«, sagte ich. »Wie lange sind die Price-Schwestern schon Ihre Kundinnen?«
Ich hatte das Gefühl, daß sich Miß Hastings kaum merklich straffte, fast so, als gälte es, sich gegen eine besondere Gefahr zu wappnen.
»Ich kenne die Prices nicht«, sagte sie.
»Lala und Corinna Price. Sie wohnen in der West End Avenue«, erklärte ich.
»Es kann sein, daß sie' gelegentlich hier waren und sogar etwas kauften… Aber sie stehen nicht in meiner Kundenkartei«, meinte Miß Hastings. Sie schob mir einen mit Karteikarten gefüllten Holzkasten zu, der auf einer Ecke des Schreibtisches stand. »Bitte, überzeugen Sie sich.«
Der Kasten interessierte mich, aber ich verzichtete darauf, den Buchstaben P durchzublättern. Ich interessierte mich für einen anderen Namen. Ich fand ihn sofort.
»Wie ich sehe, kauft auch Lester Norwich bei Ihnen«, stellte ich fest.
Eine leichte Röte legte sich auf Miß Hastings’ Wangen. »Das hätte ich Ihnen sagen können, wenn Sie mich danach gefragt hätten.«
»Hier sind ein paar Rechnungsbeträge genannt«, sagte ich. »Er ist ein guter Kunde, nicht wahr?«
»O ja.«
»Für wen kauft er die Sachen?«
»Darüber darf ich nicht sprechen, Sir. Sie können von mir keine Indiskretion erwarten. Mr. Norwich hat Anspruch auf meine Verschwiegenheit.«
»Warum lügen Sie mich an?« fragte ich sie.
Miß Hastings erstarrte förmlich. »Wie können Sie es wagen…«, begann sie murmelnd.
»Der unbekannte Eindringling wollte kein Geld von Ihnen«, erklärte ich. »Er kam her, um Sie einzuschüchtern. Er sagte Ihnen klipp und klar, wie Sie sich zu verhalten haben, falls das FBI oder die Polizei auftauchen sollten. Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, bedachte er Sie mit ein, paar Schlägen. Jetzt haben Sie keinen Mut mehr, den Mund aufzumachen. Sie haben Angst vor einem zweiten Überfall, Angst vor allem davor, daß der Gangster seine Drohungen wahr machen könnte. Deshalb schweigen Sie, und deshalb füttern Sie mich mit Halb- und Unwahrheiten. Sie kennen Lala Price. Sie kennen auch Corinna. Ich kann es beweisen.«
Miß Hastings hob mit einem Ruck ihr Kinn. Ihr Blick ging an mir vorbei ins Leere. Ihre Wangenmuskeln traten deutlich hervor. »Es ist mir egal, wie und was Sie darüber denken«, meinte sie leise. »Ich kann Ihnen nichts anderes sagen als das, was Sie bereits von mir hörten.«
»Es geht um die Aufklärung mehrerer Morde«, machte ich ihr eindringlich klar. »Wollen Sie sich an der Vertuschung dieser-, Verbrechen mitschuldig machen? Können Sie es verantworten, diese Mörder zu decken?«
Miß Hastings griff nach ihrem Glas. Ihre Hand zitterte dabei sehr stark. »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich jetzt allein ließen«, sagte sie.
Ich erhob mich. »Hoffentlich bereuen Sie diese Haltung nicht«, sagte ich und ging hinaus. Ich marschierte die 5. Avenue zu meinem Wagen hinab. Als ich noch zehn Yard vom Eingang zu Norwich’ Office Building entfernt war, trat ein Mann aus dem Haus.
Er trug einen hellen, offenstehenden Trenchcoat und war barhäuptig. Er fiel mir sofort auf, ohne daß ich auf Anhieb sagen konnte, warum.
Vielleicht lag es daran, daß er pfeifend zum Himmel hochblickte und eine heitere Gelöstheit demonstrierte, die nicht zu der Eile passen wollte, die die übrigen Passanten zeigten. Weshalb kam mir sein Gesicht so bekannt vor?
Er hatte beide Hände tief in die Manteltaschen geschoben, drehte sich auf den Absätzen herum und ging auf einen vorschriftswidrig in der Haltezone parkenden Dodge zu. Er stieg hinein und fuhr los, ohne sich urr den Strafzettel zu kümmern, der unter dem Scheibenwischer klemmte.
Ich kletterte in meinen Jaguar und schloß zu dem Dodge auf, ließ aber einen Wagen zwischen ihm und mir rollen. Ich gab mir Mühe, das Gesicht des Mannes aus meiner Erinnerung zu lösen, in der es irgendwo verschüttet lag, hatte damit aber keinen Erfolg.
Der Jagdinstinkt, der in meinem Beruf so wichtig ist wie die Akribie der Detailarbeit, ließ mich am Ball bleiben. Ich folgte dem Dodge den Broadway aufwärts. Wir durchquerten den Theaterdistrikt, passierten die Riverside Church und überquerten in Höhe der 14. Straße den Harlem River. Ehe wir die Bronx erreichten, leuchtete das Signallämpchen ari meinem Funktelefon auf. Ich griff nach dem Handmikrofon und meldete mich.
Mr. McKee war am Apparat. »Hallo, Jesse«, sagte er. »Haben Sie bereits mit Lester Norwich gesprochen?«
»Ja«, antwortete ich. »Es war keine sehr ergiebige Unterhaltung, aber sie hat mich in die Lage versetzt…«
Mr. McKee fiel mir ins Wort. Das war sonst nicht seine Art. Es gehörte zu seinen Prinzipien, jeden Gesprächspartner geduldig anzuhören.
»Es ist gut, daß Sie das bereits hinter sich gebracht haben«, meinte er. »Jetzt könnte Norwich Ihre Fragen nicht mehr beantworten. Auf ihn wurde ein Attentat verübt.«
»Ist er tot?«
»Nein, aber die Ärzte geben ihm nur eine geringe Uberlebenschance.«
»Wann ist es passiert?«
»Ungefähr vor zehn Minuten«, sagte Mr. McKee.
»Wie ist es möglich, daß schon ein Kommentar mehrerer Ärzte vorliegt?« wunderte ich mich.
»Sie wohnen im gleichen Haus und waren nach der Tat als erste zur Stelle. Auf Norwich wurden drei Schüsse abgegeben, aus einer Waffe mit Geräuschdämpfer. Wo sind Sie jetzt, Jesse? Was tun Sie im Augenblick?«
Ich holte tief