„So lasset uns ... den Staub von den Schuhen schütteln und sagen: Wir sind unschludig an Eurem Blut“. Richard A. Huthmacher

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„So lasset uns ... den Staub von den Schuhen schütteln und sagen: Wir sind unschludig an Eurem Blut“ - Richard A. Huthmacher

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´Propheten´ verbreiteten, die Sakramente seien sinnlos, vor allem die Kindertaufe sofort nach der Geburt und das Priestertum überhaupt entsprächen nicht dem Willen Gottes und seien unbegründet. Vielmehr gelte es, dem urchristlichen Ideal wieder zu folgen. Jeder Mensch trage ein ´inneres Licht´ im Herzen. Die Zeit der Gottlosigkeit und Verirrung gehe jedoch zu Ende, und das Reich des Friedens, von dem die Propheten aller Zeiten gesprochen hatten, stehe bevor …

      Luther … setzte sein ganzes Gewicht ein, um die Zwickauer Bewegung zur Raison zu bringen [in wessen Sinne und zu wessen Nutzen erlaube ich mir fragend anzumerken]. Immer wieder predigte er, allerdings vom Balkon des Rathauses aus [ist sicherer, erlaube ich mir, Liebster, anzumerken, als sich unter des Pöbels Masse zu begeben], und ging die Urchristen und ihre Propheten an. Nicht ohne Erfolg. Die Bewegung geriet in einen Richtungsstreit und fiel auseinander. [Zweifelsohne war Luther ein großer Spalter vor Gott dem Herrn: Divide et impera ist bekanntlich ein überaus probates Mittel zur Erhaltung der Macht.] Was aus Storch geworden ist, ist nicht bekannt. Etliche aus seinen Kreisen haben sich vermutlich den Bauernprotesten angeschlossen, die mit der Schlacht bei Frankenhausen 1525 dramatisch und tragisch endeten.“

      Im Nachhinein könnte man die Verfolgung der „Zwickauer Propheten“ als den Auftakt der Hatz auf alle Anders-(als-Luther-)Denkende, auf diejenigen, die mit der neuen Lehre nicht konform gingen, bezeichnen; nach den Ereignissen des Jahres 1522 (also gerade einmal 5 Jahre nach „Proklamation“ der so genannten Reformation) lässt sich jedenfalls festhalten: „Sein [Luthers] Ansehen und seine Macht sind nicht mehr anzutasten.“

      Zu denen, die unter Berufung auf die Bibel eine Neuordnung der Eigentumsverhältnisse und die Gütergemeinschaft aller forderten, gehörte auch der Kreis um Felix Manz, Konrad Grebel und Wilhelm Reublin, letzterer ebenfalls führende Gestalt der Schweizer Täuferbewegung und der erste eidgenössische Priester, der öffentlich den Zölibat brach.

      In Tirol versuchte Michael Gaismair, jedoch ohne Erfolg, eine neue Eigentumsordnung zu etablieren.

      Mehr Erfolg war Jakob Hutter beschieden: Seine Bruderhöfe, 1533 in Tirol als agrarische Wohnsiedlungen mit eigenen Schulen gegründet, dann aufgrund ihrer Verfolgung nach Mähren, später nach Ungarn, schließlich (im 19. Jhd.) auch in die USA verlagert, resp. die daraus entstandene Bewegung der Hutterer (die nach Vorbild der Jerusalemer Urgemeinde seit ihren Anfängen in Gütergemeinschaft leben und heute weltweit knapp 50.000 Angehörige zählen) existiert bis heute.

      Mit Ausnahme der Täufer (zu denen die Hutterer und die Mennoniten zählen) hat neben der lutherischen und neben der calvinistischen Bekenntnisform keine einzige der religiös-ideologisch gesellschaftlich-politischen Bewegungen, welche die Reformation hervorbrachte, überlebt – zu schwer lastete das Gewicht von Luther (und Calvin) resp. das ihrer, letzterer, Hintermänner und Drahtzieher auf jedem Versuch einer gesellschaftlichen Veränderung, zu tödlich – im wahrsten Sinne des Wortes – war das Verdikt „staatsfeindlicher Umtriebe“: Calvin trägt – jedenfalls politisch, mit größter Wahrscheinlichkeit aber sehr konkret und praktisch – die Verantwortung für die Hinrichtung von 38 „Hexen“, die als Andersgläubige zwischen 1542 und 1546 in Genf exekutiert wurden. Wobei Calvin auch persönliche Animositäten auf diesem Wege zu lösen wusste.

      Die Gütergemeinschaft, so Luther, sei keineswegs als verbindlich aus der Bibel abzuleiten, vielmehr höchst freiwillig: „Direkt hat das Evangelium mit der Sozialordnung nichts zu tun. Es ´nimmt sich weltlicher Sachen gar nichts an´, sondern ist der Schlüssel zum Himmelreich und der Weg zur Seligkeit … Und scharf argumentiert Luther von daher gegen die Berufung der Bauern auf das Evangelium. Wenn die Bauern unter Hinweis auf die christliche Freiheit die Leibeigenschaft aufgehoben haben wollen, so heißt das für Luther[,] die christliche Freiheit ´ganz fleischlich´ machen … Die christliche Freiheit … ist unabhängig davon, ob ich frei oder leibeigen … bin.“

      So also sollen die gesellschaftlichen Verhältnisse bleiben wie sie sind resp. so, wie die Oberen sie – nach ihrem Gutdünken und zu ihrem höchst eigenen Wohle – gestalten; der einfache Mann finde Trost und Zuflucht im Glauben. Und sei gegenüber der Obrigkeit willfährig, auch dermaleinst im Himmel. Welch menschenverachtende Herrschafts-Ideologie, als Religion getarnt: „Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes“, so bekanntlich Marx.

      Ergo: Irgendwie hängt alles mit allem zusammen. Und wenn man den Lauf der Geschichte in den letzten 500 Jahren verstehen will, muss man sich mit jenen Ereignissen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts auseinandersetzen, die man heute „die Reformation“ nennt.

      Wie alle geschichtlichen Vorkommnisse kam diese nicht von ungefähr, spiegelt vielmehr die gesellschaftlich-politischen wie ideengeschichtliche Verwerfungen am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit wieder und zeigt zum andern, wie einzelne Personen, trotz aller Vorbestimmtheit durch konkrete (Macht- und Herrschafts-)Strukturen, dem historischen Verlauf ihren prägenden Stempel aufzudrücken vermögen.

      Auch hier gab es nicht die Guten und die Bösen, die Protagonisten der Reformation lassen sich nicht (nur) als schwarz oder weiß rubrizieren; zudem tat – über die Jahrhunderte hinweg – die (ideengeschichtlich und gesellschaftlich-politisch eben so gewollte wie gleichermaßen bewusst gestaltete) Rezeption der jeweiligen Vorkämpfer und Leitfiguren ein Übriges, um deren Wahrnehmung zu verwischen, zu verzerren oder ins Gegenteil zu verkehren.

      Ganz gewiss jedoch lässt sich behaupten, dass Luther (s. zuvor und hernach) alles andere als ein Freund der Menschen, allenfalls ein Getreuer der Herrschenden, jedenfalls ein selbst abgrundtief Verzweifelter war, der diese seine Verzweiflung durch seinen (institutionalisierten) Glauben an andere weitergab und letztlich ein zutiefst pessimistisches Bild des Menschen, dem er nicht einmal einen freien Willen zugestand, vermittelte.

      Die in höchstem Maße fatalistische Sicht Luthers, die den Menschen nicht nur zum Spielball Gottes (sola gratia!), sondern auch zum willenlosen Objekt seiner Oberen degradiert, war (und ist) weltweit der Steigbügelhalter repressiver Herrschafts-Ideologien und in der Praxis bestens zur Fundierung kapitalistischer (heutzutage neoliberaler) Herrschaftsstrukturen geeignet.

      ZUR GESELLSCHAFTLICHEN, SOZIALEN UND POLITISCHEN SITUATION ANFANG DES 16. JHD. ZUR ROLLE DER STÄDTE WÄHREND DER REFORMATION

      Liebste,

      lass mich wie folgt festhalten: „´The reformation was an urban event.´ Ein Grund dafür ist das Prinzip sola scriptura: Die Lehre wird von der Predigt getragen und als gedrucktes Wort durch Flugblätter, Bibelübersetzungen und das Gemeindelied verbreitet; dies kommt dem vielfach lesefähigen Stadtbürgertum entgegen. Ein weiterer Grund liegt in der Neigung der Städte, ´sich als Corpus Christianum im Kleinen zu verstehen´ … Schon in seinem Gutachten von 1523 für die sächsische Kleinstadt Leisnig betont Luther, dass die Kirchengemeinde selbst über ihre Ordnung zu bestimmen habe. Und die Kirchengemeinde ist im Selbstverständnis des Stadtbürgertums identisch mit der Bürgergemeinde …

      Zwischen 1520 und 1540 bekennen sich fast alle Reichs- und Hansestädte zur Reformation, nur Köln entzieht sich der Bewegung. Der religiöse Aufbruch verbindet sich mit der Rückkehr zu den genossenschaftlichen Verfassungstraditionen. Darin zeigt sich die Zielrichtung der reformatio.“

      Insofern war die Re-formation in den Städten tatsächlich der Versuch, alte soziale Strukturen wiederherzustellen. Wohingegen das Aufbegehren der Bauern und der Landbevölkerung als Re-volution (re-volvere: um-drehen, auf den Kopf stellen), als Versuch, strukturelle Gewalt zu überwinden und gesellschaftliche Fesseln abzustreifen, zu werten ist.

      Gleichwohl:

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