Leander und die Stille der Koje. Thomas Breuer

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Leander und die Stille der Koje - Thomas Breuer

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Leben Verpflichtungen gab, dann nur solche, für die er sich freiwillig entschied. Verantwortung für seine Kinder – okay. Selbstaufgabe – niemals wieder!

      Leander erhob sich von seiner Bank, rieb sich den schmerzenden Hintern und schlenderte auf dem schmalen Plattenweg einmal um den Teich herum. Die Seerosen, die ihre Köpfe durch den Spiegel steckten, und die Schmetterlinge auf den Blüten der am Rand wachsenden Stauden hatten mit einem Mal viel grellere Farben – oder kam ihm das nur so vor? Er würde Lena fragen. Genau. Lena hatte einen Blick für das Leben. Er würde sie anrufen, sobald er nach Hause kam. Und dann würde er zur Kurverwaltung gehen und Karten für das Stanfour-Konzert kaufen.

      Kriminaloberkommissar Dernau stand im Rahmen der Tür des Kojenwärterhäuschens und tobte. Dabei ließ er keine Beleidigung aus, kein Angriff war ihm zu scharf. Polizeioberkommissar Hinrichs blickte Hilfe suchend auf Dernaus Vorgesetzten Kriminalhauptkommissar Bennings, aber der stand betont teilnahmslos daneben und ließ das Geschehen an sich vorbeirauschen.

      Bennings und Dernau waren ein eingespieltes Team, die klassische Kombination guter Bulle / böser Bulle sozusagen, aber das allein war es nicht. In Dernau brodelte es un­unter­brochen, der Kessel stand ständig unter Dampf, und irgendwann musste der Druck nun mal raus. Davon abgesehen war Dernau genau die Art von Kollege, die man sich an seiner Seite nur wünschen konnte: erstklassig ausgebildet, intelligent, durchtrainiert, draufgängerisch und reaktionsschnell. In Gefahrensituationen konnte eine solche Persönlichkeitsstruktur beiden das Leben retten.

      Zudem hatte Dernau ja recht: Da hatte dieses Inselei die Leiche abtransportieren lassen, bevor die Spurensicherung sich ein Bild hatte machen können. Wenn der schlicht und einfach das getan hätte, was die Kommissare aus Flensburg für die Hauptbeschäftigung der Inselpolizei hielten, nämlich gar nichts, dann wäre der Fall vielleicht schnell gelöst gewesen. So aber waren wichtige Spuren verwischt worden, erste Eindrücke unmöglich gemacht und nicht mehr rekonstruierbar. Da änderten auch die Fotos nicht viel, von denen Hinrichs jetzt faselte. Allein das Argument, die Leiche wäre heute ohnehin nicht mehr in dem Zustand der letzten Nacht gewesen, weil es hier Dachse, Marder, Ratten und dergleichen gebe, zeigte, mit was für einem geistigen Niveau die Fachkräfte aus Flensburg auf so einer Insel konfrontiert wurden.

      »Dann stellt man Wachtposten auf«, wetterte Dernau, »lässt das Licht an, bewaffnet sich mit Knüppeln, wenn man schon zu blöde ist, zu merken, dass man eine Pistole trägt. Mann, das darf doch alles nicht wahr sein!«

      »Wachtposten?«, beharrte Hinrichs. »Woher soll ich denn die Leute …«

      »Dann stellen Sie sich halt selber eine Nacht lang hier hin!«, brüllte Dernau jetzt. »Schließlich hatten Sie letzte Nacht Dienst, Sie Wachtmeister! Und jetzt raus hier, bevor Sie noch mehr Schaden anrichten!«

      »Ich habe die ganze Nacht lang den Tatverdächtigen verhört«, begehrte Hinrichs noch einmal auf.

      »Raus!«, brüllte Dernau, anstatt auf den Einwand einzugehen.

      Bennings machte wortlos einen Schritt zur Seite und ließ den niedergeknüppelten Leiter der Inselpolizei an sich vorbeischleichen. Als der außer Hörweite war, wandte er sich an Dernau. »Jetzt ist es gut, Klaus. Wir brauchen ihn noch für die Laufarbeit. Außerdem denke ich, dass er seine Lektion begriffen hat.«

      »Zu Befehl, Chef«, antwortete Dernau und grinste wie jemand, der gerade seinen Spaß gehabt hatte.

      Im grünen Tunnel vor der Hütte tauchte Hinrichs dienstbeflissen wieder auf und meldete, dass sich Fahrzeuge näherten.

      »Das ist die Spurensicherung«, antwortete Bennings und nickte ihm zu. »Zeigen Sie den Kollegen den Weg, Herr Hinrichs.«

      Hinrichs verschwand wieder und kam wenige Minuten später mit einem ganzen Trupp von Männern zurück, die alle in weißer Schutzkleidung steckten und schwere Alukoffer schleppten.

      »Das ist ja der Arsch der Welt, hier möchte ich nicht tot über dem Zaun hängen«, begrüßte Paul Woyke, der Leiter der Spurensicherung, die beiden Kommissare.

      »Na ja, der Arsch der Welt ist wohl übertrieben, aber zumindest kann man ihn von hier aus schon ganz gut sehen«, antwortete Bennings und schüttelte Woyke die Hand.

      Drei weitere Männer in weißen Overalls und mit Alukoffern in den Händen drückten sich nickend an ihnen vorbei und machten sich wortlos an die Arbeit. Draußen sperrte ein Mann den Tatort weiträumig mit Trassierband ab, dann wandte sich jeder seiner festen Aufgabe zu.

      »Was ist das denn für ein Teil?«, erkundigte sich Dernau, den die Kriminaltechnik faszinierte. Er deutete auf einen Kasten, der aussah wie ein Messgerät und den einer der Männer mit einem Gurt über der Schulter trug. Oben ragte wie eine Antenne ein Stab heraus, auf den eine Art Taschenlampe gesteckt war. Ein Kabel verband Lampe und Kasten.

      »Das ist eine Lumatec Superlite 400«, antwortete der Mann, machte aber keinerlei Anstalten, das Gerät näher zu erklären.

      »Aha«, höhnte Dernau. »Damit dir ein Licht aufgeht, oder was?«

      »Kann man so sagen«, entgegnete der Mann und ließ Dernau auflaufen, indem er ohne weitere Erklärungen das Gerät einschaltete und mit der Arbeit begann.

      »Das ist unsere neue Wunderwaffe«, schaltete sich Woyke nun ein. »Eine Multispektrallampe, mit der wir mittels Fluoreszenzprüfung nach Spuren wie Blut und dergleichen suchen können.«

      »Hattet ihr sowas nicht schon immer?«, zeigte sich Dernau enttäuscht.

      »Genau, Kollege, und jetzt mach dich dünn, du stehst im Weg«, rüpelte der Spurensicherer mit der Lampe zurück.

      Paul Woyke lachte und schob die beiden Kommissare aus der Hütte ins Freie. »Bis vor Kurzem hatten wir einfach nur eine blaue Lampe, mit der wir eine bestimmte Farbtemperatur abdecken konnten. Das Besondere an der Superlite 400 ist, dass sie auf alle Farbtemperaturen umstellbar ist. Außerdem lässt sie sich mit Farbfiltern bestücken, und dann finden wir einfach alles – von Blut angefangen über Fingerabdrücke, Speichel, Hautschuppen, Fußabdrücke auf glatten Flächen, Faserspuren und so weiter. Kommt, Freunde, lasst uns unsere Arbeit machen. Ich melde mich später in der Polizeistation und berichte euch über unsere ersten Funde.«

      »In Ordnung, für uns war es das hier ohnehin erst mal«, antwortete Bennings und tippte Hinrichs auf die Schulter, der fasziniert zusah, wie ein Kriminaltechniker den Boden der Hütte mit blauem Licht ausleuchtete und so Blutspuren sichtbar machte, und das auch an den Stellen, an denen die Leiche nicht gelegen hatte. »Wir fahren zur Wache, und Sie führen uns den Mann vor, der die Leiche aufgefunden hat.«

      Hinrichs wollte etwas erwidern, aber Dernau fuhr ihn an: »Abmarsch!«

      Hinrichs zuckte zusammen und trollte sich zu seinem Dienstfahrzeug. So musste man sich in einer Strafkolonie fühlen. Die nächsten Wochen konnten ja heiter werden! Aber das würde er sich nicht mehr lange gefallen lassen. Der Mann hatte gar kein Recht, ihn so herumzukommandieren. Schließlich war die Schutzpolizei eine vollständig unabhängige Truppe und der Kripo nicht unterstellt. Diesem Dernau würde er noch zeigen, wo der Hammer hängt!

      Heinz Baginski war völlig durch den Wind. Kaum hatte er ein paar unruhige Stunden geschlafen, hatte Hinrichs ihn schon wieder aus der Zelle zum Verhör geholt und an zwei Kriminalbeamte übergeben. Konnte man ihn nicht einfach in Ruhe lassen? Schließlich war er zur Erholung hier auf der Insel und nicht, um von zwei unfreundlichen Polizisten in Zivil wie ein Schwerverbrecher behandelt zu werden. Der Ältere von den beiden, dieser Bennings, ging ja noch. Immerhin brachte er hin und wieder ein freundliches

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