Swallow, mein wackerer Mustang. Erich Loest
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Читать онлайн книгу Swallow, mein wackerer Mustang - Erich Loest страница 11
Da schiebt sich ein Mann in die Tür, er atmet rasch vom schnellen Gehen. May wischt im Aufstehen die Handflächen an der Hose ab.
»So, lassen Sie sich anschauen! Bißchen mager noch?« Münchmeyer probiert ein Cheflachen und bittet in sein Zimmer. Die Damen tragen Teetassen nach, Münchmeyer bietet Platz an und schiebt sich hinter seinen Schreibtisch. Augenpaare suchen einander; als sie sich gefunden haben, zwinkert Münchmeyer, das soll heißen: Hast allerhand hinter dir, Junge, Schwamm drüber, was sollen wir viele Worte machen. »Haben Sie etwas mitgebracht?«
Löffel klirren in den Teetassen, Münchmeyer überfliegt ein paar Zeilen. May schaut sich um: Regale mit Zeitschriftenbündeln, Stehpult, ein Stich der Hofkirche, ein Stich der Festung Königstein.
»Nicht allzu übel.« Münchmeyer weiß, daß von dieser ersten Begegnung allerlei abhängt. May ist eine Potenz, keine Frage, man muß ihm die Zusammenarbeit schmackhaft machen, aber er darf nicht den Eindruck gewinnen, er sei unersetzlich. Aufhelfen muß man ihm, aber nicht so, daß er übermütig wird. Von einem verschmähten Liebhaber, der seine Braut ermorden will, liest Münchmeyer flüchtig. »Wir werden’s schon irgendwie verwenden. Wieder eingelebt in Ernstthal?«
Er könne bei den Eltern wohnen, berichtet May, er müsse sogar. Der Ortspolizist mache Sperenzien.
Polizeiaufsicht? Münchmeyer hebt die Brauen – das höre sich wenig freundlich an. Da sei es gut, wenn man erst einmal nicht auffiele. Immer schön brav, die Obrigkeit einschläfern, nach einem halben Jahr könne er sich schon ein bißchen was leisten. Und was wolle Herr May schreiben?
»Geschichten aus meiner Gegend. Hab in Waldheim allerlei entworfen. Erzgebirgische Dorfgeschichten.«
»Und eine hübsche Moral am Schluß, so wollen das die Leute!«
May hat die Hände zwischen die Knie geklemmt, er sitzt vorgeneigt wie jemand, der nur den Schemel kennt und sich erst wieder an den Stuhl gewöhnen muß. Münchmeyer denkt: Ein Dorfschulmeisterlein, halb verhungert wie seine Kinder. »Bloß nicht zuviel Armut reinpacken.« Münchmeyer erinnert sich, mit seiner Frau auf diesen dürren Hecht eine Flasche Champagner getrunken zu haben. Vielleicht war’s voreilig, und Vorschuß hat er nun erst mal genug gekriegt. »Ranklotzen, hilft alles nichts. Dicke hat’s heute keiner. Die erste Nacht in Dresden werden Sie in ’ner Herberge unterkriechen müssen; wenn Sie öfter kommen, finden wir vielleicht ’ne Schlafstelle.«
»Verbindlichsten Dank, Herr Münchmeyer.«
Münchmeyer läßt eine Glocke scheppern, Fräulein Ey steckt den Kopf durch die Tür. »Nimm Herrn May unter deine Fittiche. Daß er was zu essen kriegt!«
Sie zeigt den Weg zu einer Herberge und verspricht, sich fürs nächste Mal nach einem Zimmer umzusehen, warnt aber gleich: Der Herr möge sich keine übertriebenen Hoffnungen machen, es sei schwierig, etwas zu finden.
In der Nacht schrickt er auf; Münchmeyers Lachen gellt durch seinen Traum: Ausgebrochen? May, so einer wie du bricht doch nicht aus! Fräulein Ey knickst: Eine Tasse Tee, Herr May? Keine Frau ist so, wie er sie sich in Zuchthausnächten erträumt hat, schon gar nicht Fräulein Ey.
2
Einen Monat später fährt er wieder nach Dresden und übernachtet in einem engen, halbdunklen Zimmer, das Minna Ey für ihn gefunden hat, es ist bestückt mit Bett, Tisch und Stuhl. Am nächsten Morgen legt er vor, was er den Beginn einer Novelle nennt: »Wanda, das Polenkind.« Der Verleger überfliegt: In einem Städtchen nahe Chemnitz hat sich eine polnische Adlige mit ihrer schönen Tochter niedergelassen, Wanda von Chlowicki heißt das heißblütige Geschöpf. Verspielt ist sie, von den Männern verwöhnt. »Die Sonne des Lebens hatte ihr stets nur kaltes winterliches Licht gegeben und nur selten einen freundlich erwärmenden Strahl zugesandt. Die Quelle eines tiefen, reinen Gemüts war von einer falschen, auf wankenden Grundsätzen fußenden Erziehung zurückgedrängt und mit steinernem Riegelwerk verschlossen, der Reichtum ihres Geistes brachgelegt und ihr Wollen und Handeln von den rechten Bahnen seitwärts gelenkt worden.« Na schön, denkt Münchmeyer, besser schreiben meine anderen Autoren auch nicht. Weiter: Ein Ball findet statt, auf dem die Ballkönigin ersteigert werden soll, natürlich ist Wanda die Favoritin. Ihr Verlobter, Baron Säumen, bietet am meisten, da bricht im Nachbardorf ein Brand aus, beherzte Männer stürzen fort, darunter Schornsteinfegermeister Winter. Drei Menschen rettet er, rußgeschwärzt kehrt er zurück und steigert mit um Wanda: Fünfzig Taler setzt er ein, Säumen zögert.
Wieder ein Brand, mäkelt Münchmeyer, brannte es nicht schon in Mays erster Geschichte? »Schreiben Sie immerhin weiter. Ob wir’s diesmal unter Ihrem Namen bringen?«
May schießt das Blut ins Gesicht.
Jetzt bleibt er öfter einmal über Nacht in Dresden, Doßt drückt beide Augen zu. Das Seitengebäude, in dem er nächtigt, ist vor erst einem Jahr fertig geworden, er erreicht es über den Hof. Die Familie, bei der er untergekommen ist, zog vor zwei Jahren aus Böhmen zu, der Mann war Maschinist in einem Schacht, jetzt steht er an der Stanze in einer Nähmaschinenfabrik. Wenigstens hat May ein Zimmer für sich, ein Schlafbursche logiert außer ihm in der Wohnung auf einer Pritsche in der Küche. Einmal schlägt ihm der Wirt vor, er möge sein Zimmer mit einem jungen Arbeiter teilen, der aus Schlesien zugewandert sei und seit Wochen im Asyl kampiere. Matratze auf den Fußboden, natürlich geringere Miete, na? May lehnt ab. Er muß abends schreiben! Achselzucken. Morgens, wenn er sich in der Küche wäscht, sitzen oder liegen vier, sechs Menschen hinter ihm. Abends werden auf dem Herd Rüben zu Sirup zerkocht wie daheim auch.
Der Verleger drängt: Ist die Novelle nicht bald fertig? Er schimpft auf die Konkurrenz, auf Papierpreise und Lohnforderungen der Drucker. Spärlich sind seine Vorschüsse, er ringt die Hände: Die Auflage des »Beobachters an der Elbe« gehe zurück!
Am Abend steht May vor der Oper, Kutschen fahren vor, Diener öffnen den Schlag, halten Schirm und Laterne. Ein Frauenlächeln, das könnte Wanda von Chlowicki sein. Federbusch auf einem Hut, Schleier, ein offener Mantel. May dreht sich zu einer anderen Kutsche, da prallt sein Blick auf einen Polizisten, der ein paar Meter entfernt steht, Stiefelspitzen wippen über der Bordkante, Augenpaare begegnen sich. Stiefel trägt Doßt, Stiefel können auf dem Zuchthauskorridor knallen, Stiefel können auf ihn zu knallen, eine Stimme kann fragen: Was haben Sie hier verloren? Ihre Papiere? Vorbestraft, so, unter Polizeiaufsicht, und was treiben Sie sich in Dresden herum? May wendet sich ab und geht auf die Elbbrücke zu, sein Nacken versteift sich, als fürchte er einen Schlag. Aufs Brückengeländer gestützt, krümmt er sich zusammen.
Eine Erzählung von drei Seiten druckt Münchmeyer, eine von sechs, die mißratene Skizze eines anderen Schreibers läßt er von May auffrisieren. »Ist Ihre ›Wanda‹ nicht bald fertig?«
Bei einem Krämer in der Neustadt kauft er Brot, billige Wurst und Zigarren. »Zwei Dutzend ›Hansastolz‹. Ich begleich’s nächste Woche.«
»Da muß ich Vater fragen.« Das Mädchen wendet sich ab, Zöpfe schwingen, ein überlanger Fünfziger mit spärlichem Haar und dünner grauer Haut bückt sich aus dem Comptoir heraus, hüstelnd hinter vorgehaltener Hand. May sagt abermals sein Sprüchlein auf, sein Blick huscht über die Schuppen auf dem Kragen des Händlers. Ein beherztes, ehrfurchtgebietendes Auftreten wünscht er sich. Daß dieser da zusammenzucke, erstarre, staunend