Ausgänge des Konservatismus. Stefan Breuer

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Ausgänge des Konservatismus - Stefan Breuer страница 24

Ausgänge des Konservatismus - Stefan Breuer

Скачать книгу

diese erst um die Jahrhundertwende von den Christlich-Sozialen Luegers eingenommene Position mit den Prinzipien Vogelsangs war, der im Vaterland den Ton angab, blieb in den ersten Jahren von Meyers Exil noch verdeckt. Es trat jedoch deutlicher hervor nach der Rückkehr von seiner Amerikareise, die ihn 1881 ein Jahr lang von Washington über die Südstaaten nach Kalifornien und dann über Chicago ins östliche Kanada geführt hatte. Von dort brachte er einen großen Respekt für eine Landwirtschaft mit, die im Gegensatz zur europäischen »auf der möglichst umfangreichen Anwendung der Maschinerie beruht«, außerdem die Hoffnung auf eine mögliche Überwindung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse im Wege einer Humanisierung der Arbeit:

      »Der Traum des Aristoteles, dass die Maschine, das sich selbst bewegende Weberschifflein, dem Weber die Arbeit erleichtern solle, ist in der amerikanischen Maschinenlandwirthschaft annähernd Wahrheit geworden und wenn sich dies auch in Europa verbreitet, so wird die Maschine auch hier ein Segen für die Arbeiter werden, während sie bis jetzt meist ein Fluch für sie ist. Darum haben niemals amerikanische Landarbeiter landwirthschaftliche Maschinen zerstört, Industriearbeiter oft solche Maschinen, die sie ausser Brod setzten. Der Reitpflug versöhnt den Arbeiter mit den Fortschritten der Mechanik, der mechanische Webstuhl thut das nicht, er unterjocht den Arbeiter und macht ihn zum Stück an sich selbst. Er raubt ihm alle Individualität, die an der Industriemaschine stattfindende Theilung der Arbeit lässt den Arbeiter kein Ganzes, an dem er seine Freude hätte, mehr schaffen. Die amerikanische Maschinenlandwirthschaft ist sehr productiv, aber sie ist auch menschlich. Sie schont die Kraft des Arbeiters, gewährt ihm bei der Arbeit Musse. Sie rein capitalistisch, nur vom Standpunkt des ›Reingewinnes‹ auffassen, verräth den rohen, europäischen, unmenschlichen Standpunkt, auf dem wir uns leider meist schon befinden.«99

      Unter der langen Liste von Errungenschaften, die ihn in Amerika begeisterten100, war nicht die kleinste eine Gesetzgebung, die »die Macht des Geldcapitals über den Grundbesitz« einschränkte. Der Sieg der Nordstaaten im Sezessionskrieg habe zur »Vernichtung des im Süden geltenden Principes des Grossgrundbesitzes durch jenes des freien Kleinbesitzes« geführt, zur Zerschlagung der Plantagen in Parzellen, die in den meisten Staaten durch Homestead-Gesetze vor Überschuldung und Depossedierung geschützt seien.101 Der im industriellen Sektor wirksame Konzentrationsprozeß sei in der Landwirtschaft außer Kraft gesetzt, mache doch hier die Mechanisierung die kleineren und mittleren Betriebe konkurrenzfähig und halte die Latifundienbildung hintan.102 Nehme man hinzu, daß in Amerika ein mittelloser Landarbeiter in zehn bis zwölf Jahren zum wohlhabenden Bauern werden könne, so habe man es mit einer Konstellation zu tun, der die alte Welt nichts Vergleichbares entgegenzusetzen habe. Die Zeit für den Bauernstand, dies jedenfalls zeigten die nordwestlichen Staaten der Union, sei noch nicht verloren. Vielmehr lehrten sie, wie hier aus den Trümmern des europäischen Bauern- und Landarbeiterstandes ein neuer Bauernstand entstehe, »während ihn in Europa Staatsmänner ruiniren, deren Politik das grosse Capital und das Börsenspiel begünstigten.«103 Das war eine deutlich andere Perspektive, als sie Meyer noch kurz zuvor, in der zweiten Auflage seines Werkes über den Emanzipationskampf, bekräftigt hatte.

      Im Vaterland konnten solche Ideen zunächst mit der Zustimmung Vogelsangs rechnen, der ebenfalls für eine Befreiung des Bauernstandes von der »Herrschaft der Plutokratie« eintrat.104 Allerdings wollte Vogelsang diese Befreiung auf alle Grundbesitzer ausgedehnt wissen, also auch eben jenen Großgrundbesitz, dem nach Meyer schon nicht mehr die Zukunft gehörte. Darüber hinaus erschien ihm die Einschätzung der amerikanischen Landwirtschaft und der von ihr ausgehenden Bedrohung für Europa übertrieben. Nach einer ersten noch zurückhaltenden Distanzierung von Meyers Reiseberichten, die seit April 1881 im Vaterland erschienen105, schlug er sich auf die Seite der Skeptiker, die die Überlegenheit der amerikanischen Konkurrenz für ein temporäres, auf Raubbau beruhendes Phänomen erklärten, das sich ähnlich rasch auflösen werde wie der Gründungsschwindel der 70er Jahre.106 Besonderes Mißfallen erregten Meyers »Schwärmerei für den nächtlichen Dampfpflug« und sein »forcierter Amerikanismus«, der ihm die hiesigen Verhältnisse in allzu ungünstigem Licht erscheinen lasse.107 Durch seine Berichte nehme das Vaterland mehr und mehr den Charakter eines »Auswanderungsorgan[s] für die nordamerikanische Republik« an. Die Leserschaft werde deshalb allmählich »amerikamüde«: »Von allen Seiten beschwert man sich über die Anpreisungen des Wirtschaftslebens jener in Wahrheit bis auf die Knochen verfaulten Republik. Die ganze Literatur ist angefüllt mit den Skandalen der dortigen Wirtschaft – nur Dr. Meyer will nichts davon wissen und anerkennt nur das, was man ihm von der korrumpierten Verwaltung in die Hand gesteckt hat. Das ›Vaterland‹ fing schon an lächerlich zu werden.«108

      Zum Dissens in der Sache kamen bald persönliche Animositäten hinzu. Anstatt die Probleme zu lösen, steigerten mehrere Gespräche nur das wechselseitige Unverständnis und die Erbitterung, bis Vogelsang schließlich gegenüber den Geldgebern seine Tätigkeit für das Vaterland zur Disposition stellte. Da er seine »sozialdemokratisch tangierten Ansichten« nicht habe durchsetzen können, habe Meyer sich »immer mehr zu einem bösen Element in der Redaktion ausgebildet«, er habe die Mitarbeiter gegen ihn, Vogelsang, aufgewiegelt und verfolge ihn geradezu mit »unauslöschlichem tödlichen Haß«.109 Graf Thun versuchte eine Zeitlang, in diesem Konflikt zu vermitteln, wußte er Meyers Expertise doch durchaus zu schätzen. Schließlich stellte er sich jedoch auf die Seite Vogelsangs, so daß Meyer keine Wahl sah, als das Vaterland Ende 1882 zu verlassen. Das folgende Jahr verbrachte er damit, die Erfahrungen seiner Amerikareise zu zwei umfangreichen Büchern auszuarbeiten.110 1884 lieh er sich Geld von Freunden und erwarb in Kanada einen Bauernhof von 64 ha, den er durch weitere Ankäufe nach und nach zu einem Latifundium von 2000 ha erweiterte. 1889 mußte er aus gesundheitlichen Gründen das Anwesen verkaufen und nach Europa zurückkehren.111

      III.

      Rudolf Meyers letztes Lebensjahrzehnt war von einer Diabeteserkrankung überschattet, die häufige Kuraufenthalte, meist in Karlsbad, nötig machte. Obwohl durch den Erlös aus dem Verkauf seiner Farm finanziell einigermaßen gesichert, war seine Einkommenslage doch nicht gut genug, um nicht hin und wieder der Aufbesserung zu bedürfen. So nahm er nach seiner Rückkehr für längere Zeit die Gastfreundschaft des Grafen Silva-Tarouca in Anspruch und beriet anschließend den Fürsten zu Salm-Reifferscheidt-Raitz in landwirtschaftlichen Fragen.112 Der Tod seines alten Widersachers Vogelsang am 8. 11. 1890 öffnete ihm auch wieder das Vaterland, dessen Oberleitung seit dem Rückzug Graf Thuns bei Egbert Graf Belcredi lag, zu dem Meyer seit den Tagen ihrer Zusammenarbeit an der Gewerbereform ein gutes Verhältnis besaß.113 Ab wann sein erneutes Engagement beim Vaterland begann und wie lange es dauerte, ist allerdings nicht zweifelsfrei festzustellen, da Meyer seine alte Sigle nicht wieder aufnahm und sich nur unklar über seine neue äußerte. Gegenüber Kautsky gab er sich als Verfasser der mit einem Vollmond gezeichneten Artikel zu erkennen und ordnete sich außerdem die Sigle »-y« zu, unter der er im Volkswirtschaftlichen Teil publiziert habe. In diesem Teil finden sich jedoch meist nur kurze, überwiegend unmarkierte Meldungen und nur selten Texte mit der erwähnten Sigle.114 Dagegen enthält der Hauptteil seit Januar 1891 zahlreiche Artikel, die mit »-y-« gezeichnet sind und sich hauptsächlich auf Frankreich und Belgien beziehen – ein Gegenstand, den Meyer zwar in den späten 70er Jahren bearbeitet hat, der nun aber außerhalb seines Itinerars lag. Mit einem Vollmond markierte Texte finden sich erst zwei Jahre später.115

      Angesichts dieser Unsicherheiten hält man sich am besten an solche Texte, die Meyer mit vollem Namen andernorts publiziert hat. Das betrifft neben den Historisch-politischen Blättern, der Gegenwart und Maximilian Hardens Zukunft vor allem ein Medium, wie es mit Blick auf Meyers politische Biographie überraschender nicht sein könnte: Die Neue Zeit, das Theorieorgan der deutschen Sozialdemokratie. Zwischen Dezember 1892 und Juni 1895, also zwischen den Parteitagen von Berlin (November 1892) und Breslau (Oktober 1895), veröffentlichte Meyer dort sechzehn (!) Aufsätze, darunter zwei, die aufgrund ihrer Länge in zwei bzw. vier Folgen erschienen, ein Volumen, das sonst nur wenigen Autoren zugebilligt wurde.116 Wie ist es zu dieser ungewöhnlichen Verbindung

Скачать книгу