Ausgänge des Konservatismus. Stefan Breuer

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Ausgänge des Konservatismus - Stefan Breuer

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bis heute unentbehrlichen Studie über die Berliner Revue aufgefaßt hat: als Absage an den Großgrundbesitz und als Votum für eine Förderung des Mittel- und Kleinbesitzes, bis das ganze Land von einem dichten Netz kleiner Eigentumsstellen überzogen sei.25 Diese Deutung ist jedoch von einem Bias geprägt, der sich dem Bemühen verdanken mag, es bestimmten Strömungen in der NSDAP recht zu machen, die entweder direkt feindlich gegen den Großgrundbesitz eingestellt waren oder doch wenigstens auf eine Nivellierung der ständischen Differenzen drängten.26 Meyer indessen hatte zu diesem Zeitpunkt noch keineswegs die Absicht, das agrarische Milieu in eine nivellierte Mittelstandsgesellschaft zu verwandeln. Zwar brachte er zusammen mit Schumacher-Zarchlin auf der Konferenz ländlicher Arbeitgeber im Mai 1872 einen Antrag durch, mit dem die Regierungen von Preußen und den beiden mecklenburgischen Großherzogtümern aufgefordert wurden, »die geeigneten Schritte [zu] thun, welche den ländlichen Arbeitern die Erwerbung eines kleinen Grundeigenthums ermöglichen und thunlichst erleichtern« sollten, und wiederholte diese Forderung auch in der Folgezeit mehrmals27, 1874 sogar bis zur Zuspitzung eines »Bauern-socialistischen Reform-Conservatismus«, der auf eine »Umwandlung der besitzlosen ländlichen Arbeiter in kleine Grundbesitzer« nach dem Beispiel Frankreichs ziele.28

      Diese Aussagen dürfen jedoch nicht zum Nominalwert genommen werden. Schon ein Jahr nach der erwähnten Konferenz forderte er die ländlichen Arbeitgeber zu einer Adresse an die Regierung auf, sich nicht mit der ländlichen oder städtischen Arbeiterfrage allein zu befassen, sondern an die »ganze wirthschaftliche Gesetzgebung die bessernde Hand an[zu]legen«.29 Wie er sich dies vorstellte, führte er in einer kurz danach erschienenen Broschüre aus. Gewiß sei es kurz- und mittelfristig eine sinnvolle Strategie, nach Abhilfen für den Arbeitskräftemangel auf dem Land zu suchen; und gewiß auch gehörten dazu Mittel wie »eine neue staatliche Fixirung des Lohnes für das Normalwerk«, strenge Wuchergesetze und Schutzmaßregeln für die Arbeit sowie vor allem: die Eröffnung der Möglichkeit, »ein kleines Eigentum für Arbeiterfamilien« zu schaffen.30 Das alles aber seien Notbehelfe, die die schon jetzt zu registrierende Entwicklungstendenz in der Landwirtschaft nicht aufzuheben vermöchten. Diese sei bestimmt durch die rasch fortschreitende Mechanisierung in Gestalt von Mäh-, Dresch- und Säemaschinen und bald auch des Dampfpfluges, deren Einsatz nur auf großen Gütern sinnvoll sei, dort aber auch zu einer Steigerung der Produktivität führe, mit der kleine und mittlere Betriebe nicht mithalten könnten. Die »Tage des kleinen Betriebes der Landwirthschaft«, so Meyer, achtzehn Jahre vor dem Erfurter Programm der SPD, seien gezählt; »der kleine Grundbesitz wird verschwinden, wie das Handwerk es thut. Ein Fehler also wäre es, ihn künstlich schaffen zu wollen.«31 Dem Ansinnen mancher seiner Freunde im konservativen Lager, »im Osten wieder einen Mittelstand, einen Bauernstand [zu] schaffen«, widersprach Meyer deshalb entschieden. »Dies ist meiner Ansicht nach unmöglich. Der Großbetrieb ist auch in der Landwirthschaft das einzig Mögliche für die Zukunft.«32

      Diese Ansicht vertrat Meyer auch noch neun Jahre später, in der zweiten Auflage des Emanzipationskampfes. In expliziter Abgrenzung von der ›Kreuzzeitung‹ und der von ihr favorisierten »Zunftreaction« und unter ebenso expliziter Berufung auf Lassalle, demzufolge die große Industrie durch nichts anderes besiegt werden könne »als durch die – noch grössere, durch die grösseste Industrie«, wies Meyer alle Bestrebungen zurück, sich dem Gang der Entwicklung entgegenzustellen.33 Wie im städtischindustriellen Gewerbe werde auch in der Landwirtschaft »der Grossbetrieb zweifellos in nicht allzulanger Zeit mehr und mehr Platz greifen« und »eine mit ›Actiencapital‹ betriebene Latifundienwirthschaft« hervorbringen, welche allein noch rentabel zu produzieren imstande sein werde. Da jedoch auch eine hochmechanisierte Landwirtschaft noch der Arbeitskräfte bedürfe, wenn auch nicht mehr im gleichen Umfang; da ferner der Staat aus wehrwirtschaftlichen Gründen ein Interesse an einer hinreichend großen Landbevölkerung habe, sei es wünschenswert, »neben diesem Grossbetriebe grundbesitzende Landarbeiter« zu haben, »die doch in ihren Gärten nur für den Bedarf des eigenen Heerdes produciren.«34

      Eine solche »Sesshaftmachung der Arbeiter« habe »ohne Beraubung der Grundbesitzer« zu geschehen und in einer Weise zu erfolgen, die sicherstelle, daß nicht aus unzufriedenen Arbeitern noch unzufriedenere Grundbesitzer würden – ein Ziel, das sich am besten mit dem von einigen Liberalen (!) vorgeschlagenen Verfahren erreichen lasse, den Abschluß von Pachtverträgen zu erleichtern.35 Auf diese Weise würden den erfolgreich wirtschaftenden Arbeitern Aufstiegschancen in den Stand der Rentengutsbesitzer eröffnet und die Irrwege abgeschnitten, die sie sonst veranlassen könnten, Landarbeitergewerkschaften zu gründen oder gar für eine »Revolutionirung unserer ländlichen Verhältnisse« einzutreten.36 Auch werde eine Entwicklung in Richtung des Parzellensystems abgeschnitten, das sich in Frankreich als überaus verderblich, weil nur zur Überschuldung führend, erwiesen habe. »Wir paar deutschen Social-Conservativen wussten wohl, weshalb wir grundbesitzende Arbeiter schaffen wollten. Arbeiter, nicht kleine Ackerbauer, wie v. d. Goltz will, weil wir den Grossbetrieb als volkswirthschaftlich allein richtig anerkennen und erhalten wollen. Grundbesitzende Arbeiter, weil wir principielle Vertheidiger des Grundbesitzes schaffen wollen.«37

      Meyer beließ es indes nicht bei publizistischen Interventionen. Vielmehr warb er, in Abstimmung mit Wagener und Rodbertus (wenn auch mit beiden nicht immer d’accord)38, auf verschiedenen Foren um politische Unterstützung für seine Forderungen. So besuchte er im Februar 1872 den Kongreß deutscher Landwirte in Berlin und setzte sich gemeinsam mit Rodbertus und Schumacher für eine Enquête zur Lage der ländlichen Arbeiter ein, die insbesondere die Reallohnentwicklung über einen längeren Zeitraum ermitteln sollte.39 Es folgte der bereits erwähnte Auftritt auf der Konferenz ländlicher Arbeitgeber im Mai 1872, bei der er neben der Möglichkeit des Eigentumserwerbs auch für den gesetzlichen Normalarbeitstag und Maßnahmen der sozialen Sicherung warb.40 Ein Artikel von 1873 verlangte »Maßregeln, die den Landarbeitern steigenden Lohn mit steigender Productivität sichern« sollte.41 Ein gemeinsam mit Rodbertus und Adolph Wagner 1875 auf dem Kongreß der Landwirte eingebrachter Antrag auf Einrichtung einer staatlichen Untersuchungskommission über die wirtschaftliche Lage der arbeitenden Klassen auf dem Lande wurde zwar angenommen, blieb aber folgenlos.42 Ebenso leer liefen seine Bemühungen, den 1872 gegründeten Verein für Sozialpolitik für seine Ideen zu gewinnen.43 Es half auch nichts, daß Hermann Wagener sie sich zu eigen machte und bei Bismarck für eine »Vermehrung der kleinen ländlichen Besitzungen« eintrat, um dadurch »der Staatsgewalt gegenüber der fluctuirenden industriellen Arbeiterbevölkerung in einem sesshaften ländlichen Grundbesitze und Arbeiterstande einen materiellen Rückhalt zu schaffen und zugleich […] dieser Bevölkerung die Fundamental-Institutionen des Staates als auch für ihr Privatinteresse wirksam und wohlthätig erscheinen zu lassen«.44

      Die Chancen für eine Umsetzung dieser Programmatik verringerten sich vollends ab 1873, als Wagener in den Strudel des oben erwähnten Gründerskandals geriet und dadurch nicht nur sein Amt als Erster Vortragender Rat verlor, sondern wegen einer Verurteilung zu hohen Schadensersatzzahlungen auch die Berliner Revue nicht mehr halten konnte.45 Nach neuzehn Jahren mußte sie sich im Januar 1874 von ihren Lesern verabschieden.46 Während Wagener sich mit öffentlichen Stellungnahmen zurückhielt, versuchte Meyer, ihn durch Gegenangriffe zu entlasten, die insbesondere darauf zielten, einen Keil zwischen Bismarck und die Nationalliberalen zu treiben. In einer Serie von Social-politischen Flugblättern und verschiedenen Artikeln in der Deutschen Eisenbahn-Zeitung forderte er 1874 den Reichskanzler auf, den Liberalen nicht länger freie Hand zu lassen und sozialpolitisch aktiv zu werden.47 Das Kaisertum solle die »Emancipation des vierten Standes vom Joche des Capitalismus« zu seiner Sache machen, indem es den Normalarbeitstag durchsetze, Kinder- und Sonntagsarbeit verbiete und von Ausnahmegesetzen gegen die Sozialdemokratie absehe.48

      Noch im selben Jahr publizierte Meyer den ersten Band seines opus magnum über den Emanzipationskampf des vierten Standes, der gleichzeitig in einer stark gekürzten Volksausgabe erschien. Darin trat er für ein umfassendes Reformprogramm ein, das eine gleichmäßigere Verteilung des Reichtums durch Steuerreformen, Mindestlöhne und ein Maximum für Zinsen

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