Ausgänge des Konservatismus. Stefan Breuer
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Auf die Denkschriften und die damit im Zusammenhang stehenden Initiativen Wageners wird noch zurückzukommen sein. Hier hat das Augenmerk seinem erstmals 1869 angekündigten Vorhaben zu gelten, »eine neue konservative Partei […] zu bilden«, stand doch für ihn inzwischen fest, daß sich die alte konservative Partei »in Folge der Ereignisse des Jahres 66 zersetzen mußte« und in der alten Form nicht wiederherstellbar war. Für eine solche Neubildung habe die Regierung bislang zu wenig getan. Sie habe vielmehr durch ihre Handels- und Industriepolitik »den hierin wurzelnden liberalen Parteien einen neuen Aufschwung verliehen, ohne doch dieselben für sich zu gewinnen«. Da sich dies auch in absehbarer Zukunft nicht ändern werde, sei die »Neubildung einer konservativen und Regierungspartei« unerläßlich, die sich der vernachlässigten Interessen des Grundbesitzes und der arbeitenden Klassen anzunehmen habe.106 Die bestehenden konservativen Verbände seien dazu nicht in der Lage. Die Altkonservativen nicht, weil sie nur mehr an Rückzug dächten und politisch abgedankt hätten; die vor kurzem gegründete, in vielem an das Preußische Wochenblatt anknüpfende Freikonservative Partei nicht, weil sie mit ihrer Mutterpartei »nur noch mechanisch durch den Gebrauch von einigen Stichworten verbunden« sei und insbesondere »die sociale Arbeit, welche sonst die Partei auszeichnete, vollständig liegen« lasse.107 Näher besehen habe man es bei ihr mit nichts anderem zu tun als mit »in der Verpuppung zum Geldsack begriffenen grösseren Aristokraten-Raupen«, deren konservatives Wesen sich »auf einen gewissen Instinkt für Ordnung und Autorität« und deren Freiheit sich auf einen »romantischen Wunsch« beschränke.108 Die Abneigung war gegenseitig, wie ein Brief des freikonservativen Reichstagsabgeordneten Carl von Stumm-Halberg belegt: »Übrigens wäre es mir ganz lieb, wenn Wagener bei dieser Gelegenheit beseitigt würde. Denn der Mann spielt auf sozialem Gebiet eine ganz gefährliche Rolle und ist durch seine jetzige Stellung doch sehr einflußreich.«109
Der Brief stammt aus dem turbulenten Jahr 1872, das in Preußen vom Kulturkampf und von den Auseinandersetzungen um die Kreisordnung und die Schulaufsicht erfüllt war.110 In diesem Jahr unternahm Wagener noch einmal einen Vorstoß, das im Widerstreit zwischen gouvernementalen und antigouvernementalen Tendenzen auseinanderdriftende konservative Lager zu einen. Ausgehend von dem Befund, wonach die Regierung sich nicht länger auf die Konservativen in beiden Häusern des Landtags stützen könne, sprach er sich dafür aus, »die Partei auf anderen Grundlagen und mit einem neuen Programm zu rekonstruiren.« Die dafür angebotene Programmatik, für die Wageners Famulus Rudolf Meyer das Etikett »social-conservativ« erfunden zu haben beanspruchte111, enthielt in sozialer Hinsicht nicht mehr als die Forderung nach Durchführung einer Enquete zur Lage der arbeitenden Klassen112, doch war selbst dies der konservativen Reichstagsfraktion noch zu viel. In einer Kundgebung am 14. 5. 1872 strich man aus dem von Wagener intonierten Dreiklang ›monarchisch, national, sozial‹ die dritte Note aus der Überschrift und erklärte sich lediglich zur »Monarchisch-nationalen Partei des Reichstags«. Nur in einem Unterpunkt war von staatlicher Fürsorge für jene Einrichtungen und korporativen Bildungen die Rede, welche geeignet seien, »die materielle und geistige Lage des Arbeiterstandes zu sichern und zu fördern«.113 Wie stark gesunken Wageners Einfluß inzwischen in diesem Kreis war, belegt ein nur zehn Tage nach der Kundgebung geschriebener Brief von Rodbertus an Rudolf Meyer:
»Aber täuschen Sie sich nicht! Ich höre hier oft von den conservativsten Gutsbesitzern auf W. schimpfen und hörte das auch noch in Berlin. Auch hier glaube ich, sind nur Risse verkleistert. Es mischt sich in die Abneigung gegen W. ein widriger Zug ein. Man ist ihm nicht blos gram wegen seines Schulaufsichtsgesetzes, das Zwerggeschlecht wird missgünstig auf seinen Ruhm. Man hört! ›er ist zu groß geworden!‹ – und würde schadenfroh sein wenn er stürzte. Ein ehrlicher Hass ist lange nicht so gefährlich.«114
Die hier angedeuteten Spannungen verschärften sich schon im folgenden Sommer und Herbst in den Auseinandersetzungen über die Kreisordnungsvorlage der Regierung, die die Aufhebung der patrimonialen Polizei- und Erbschulzengewalt vorsah.115 Während das preußische Abgeordnetenhaus mit seiner Mehrheit aus Freikonservativen, Nationalliberalen und Fortschrittspartei die Vorlage annahm, scheiterte sie im Oktober 1872 im Herrenhaus. Das Gesetz konnte zwar einen Monat später mithilfe eines Pairsschubes verabschiedet werden, doch spaltete sich die konservative Fraktion darüber in eine antigouvernementale ›altkonservative‹ Gruppe, die sich über den Verlust der ständischen Privilegien nicht zu beruhigen vermochte, und eine ›neukonservative‹ Richtung, die den Kurs Bismarcks unterstützte.116 In einem Memorandum an R. Meyer machte Wagener wohl heftig Front gegen die Altkonservativen, doch mußte er schon bald darauf erfahren, daß ihm diese Haltung bei den Neukonservativen kein Entgegenkommen in sozialpolitischen Fragen einbrachte.117
An den Vorgängen, die bald darauf tatsächlich zu seinem Sturz führten, hatte er dann gleich doppelten Anteil: zum einen, weil er sich allzu leichtsinnig auf ein Gründergeschäft im Zusammenhang mit der Pommerschen Zentralbahn eingelassen hatte; und zum andern, weil er während der Debatte über die Kreisordnung im Herrenhaus »ein längeres, sehr wenig schmeichelhaftes Schreiben über die politische Thätigkeit des Ministers des Inneren, Grafen Eulenburg I., an Bismarck gerichtet« hatte. Möglicherweise in der Absicht, sich damit eines allmählich unbequem werdenden Mitarbeiters zu entledigen, brachte Bismarck dieses Schreiben Eulenburg zur Kenntnis, der im Gegenzug über Mittelsmänner dem liberalen Abgeordneten Eduard Lasker belastendes Material über Wagener zuspielte.118 Der machte es Anfang 1873 öffentlich und nötigte Wagener damit zum Rückzug von seinen Ämtern. In seinen 1884 veröffentlichten Erinnerungen verschwieg er die Rolle Bismarcks, auf dessen Unterstützung er wohl weiterhin hoffte, und schob statt dessen den schwarzen Peter seinen »früheren [!] Parteigenossen« zu, die ihm schon seit längerem hinter seinem Rücken vorgeworfen hätten, nicht mehr mit Entschiedenheit die konservativen Prinzipien zu vertreten. Während des Gründerskandals habe man ihn als Bauernopfer vorgeschoben, um ihm danach aus dem Wege zu gehen, als ob er an einer ansteckenden Krankheit litte.119
Seiner Loyalitätsverpflichtungen ledig, machte Wagener sich daran, die programmatischen Andeutungen von 1872 zu konkretisieren, galt es doch, zu verhindern, daß »der vielgerühmte Conservativismus zu einem Ausdrucke der Rath- und Hilflosigkeit den Bewegungen der Neuzeit gegenüber zusammenschrumpft«.120 Schon bald nach seinem Rücktritt vom Amt des Vortragenden Rats (Juni 1873) überreichte er Bismarck eine sozialpolitische Denkschrift, die gegenüber seinen früheren Interventionen einen neuen Akzent setzte. War es ihm in den 60er Jahren noch vor allem darum gegangen, einen Keil in die liberale Opposition zu treiben und ihr ihren Anhang im Handwerk und in der Arbeiterschaft abspenstig zu machen, so war der nunmehr leitende Gesichtspunkt: »Um jeden Preis zu verhindern, dass die arbeitende Bevölkerung nicht zu einer grossen, compacten, oppositionellen Masse sich zusammenschliesst«.121
Mit dieser, durch die doppelte Negation allerdings leicht mißverständlichen Parole rückte erstmals neben der städtischen auch die ländliche Arbeiterschaft in den Blickpunkt, eine Schicht, deren Zahl noch 1882 bei rund 2,7 Millionen lag, immerhin mehr als ein Zehntel der Bevölkerung Preußens.122 Da gerade diese Schicht seit den 40er Jahren den größten Anteil sowohl an der Binnenmigration als auch an der Auswanderung nach Übersee stellte und dadurch die Funktionsfähigkeit der Landwirtschaft bedrohte, sah Wagener unmittelbaren Handlungsbedarf. Gefordert sei, aus ökonomischen