Ausgänge des Konservatismus. Stefan Breuer

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Ausgänge des Konservatismus - Stefan Breuer

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das Bankwesen vorläufig« der Privatindustrie entziehen. Um der sozialen Polarisierung entgegenzuwirken und die »aufsteigende Klassenbewegung« zu fördern, seien darüber hinaus durch gesetzlichen Zwang Arbeitgeber und Arbeiter zu sich selbst verwaltenden »Gewerkvereinen« mit eigenen, aus gleichen Beiträgen zu finanzierenden »Gewerkskassen« zusammenzufassen, denen obligatorisch die Sorge in allen Fällen von Krankheit, Invalidität und Armut zu übertragen sei.50 Das waren Vorschläge, die zwar nicht mehr ganz neu waren, bei Liberalen wie »Altkonservativen« jedoch gleichermaßen Protest hervorriefen und selbst bei den Arbeitern wenig Anklang fanden. Als Bismarck knapp zehn Jahre später einiges davon in freilich stark abgewandelter Form in seine Sozialgesetzgebung aufnahm, stieß er damit ausgerechnet bei der Sozialdemokratie auf vehemente Ablehnung, teils, weil man die vorgesehenen sachlichen Leistungen für unzureichend hielt, teils weil man die dahinter stehende Gesinnung verdächtigte.51

      Im gleichen Maße, in dem Meyer einsehen mußte, daß seine Vorschläge in den Wind gesprochen waren, vergrößerte sich seine Distanz zu dem Milieu, dem er sich bis dahin zugehörig gefühlt hatte. Glaubte er noch im Frühjahr 1872, die ›altconservative Schule‹ in eine ›neuconservative‹ überführen zu können, die sich dadurch auszeichnen sollte, daß sie sich nicht mit der Befestigung des Großgrundbesitzes begnügte, sondern den Grundbesitz möglichst verallgemeinerte52, so war davon gut ein Jahr später nicht mehr die Rede. In einem dezidiert als »Grabschrift« ausgewiesenen Artikel konstatierte er den »Verfall der conservativen Partei«, der ihm nicht zuletzt durch das Versagen der konservativen Presse, allen voran die ›Kreuzzeitung‹, verursacht zu sein schien, aber auch durch die mangelnde Bereitschaft der Partei, auf die von Wagener und Rodbertus entwickelten Ideen einzugehen.53 Eine weitere Artikelfolge zum Thema »Was ist conservativ?« kam zu dem betrübenden Ergebnis, »daß ein großer Theil der Conservativen bei uns ein ebenso verhängnißvolles Bündniß mit der liberalen Bourgeoisie eingehen will, wie es sich in Frankreich vollzogen hat.«54

      Wie tief der Graben inzwischen war, der den Kreis um Wagener und Meyer von den sich konservativ nennenden Parteien trennte, zeigen die Worte, mit denen der Redakteur der Berliner Revue im Januar 1874 von seinen Lesern Abschied nahm.55 Keine dieser Parteien, so sein Fazit, habe die neuen Aufgaben begriffen, die sich ihr gestellt hätten – die nationale so wenig wie die kirchlich-religiöse, um von der sozialen zu schweigen, für die man nur die Antwort der Repression gefunden habe. Man habe sich deshalb von ihnen trennen müssen, um die »Gründung einer deutschen conservativen Reformpartei« in die Wege zu leiten, einer, wie es in anderem Zusammenhang hieß, »neuen Regierungspartei«, die daran gehen werde, die gegensätzlichen Interessen durch »Erweiterung des Kreises der Besitzenden« zu versöhnen.56

      Die Regierung freilich, auf deren Unterstützung man zunächst noch hoffte, hielt sich zurück. So begann Meyer, der sie bis dahin in allen Belangen verteidigt hatte, in der Frage der Schulaufsicht sogar gegen die Konservativen57, auch diesen potentiellen Alliierten mit Kritik zu überziehen. Der Kanzler habe sich, so der Vorwurf, in immer stärkere Abhängigkeit vom großen Bankkapital, insbesondere des »Disconto-Bleichröder-Ringes« begeben, dessen Ziel es sei, »die Bankiers und ihre Helfershelfer auf Kosten der Grundbesitzer zu bereichern und diese unter deren Herrschaft zu bringen, den Grundbesitz schliesslich zu Gunsten einer Finanzclique zu expropriiren, wie die Juden des Foncier dies beabsichtigten«58 – eine Anspielung auf die Wirtschaftspolitik Napoleons III. und das von ihr geschaffene System des Crédit Foncier bzw. Mobilier, über das Meyers Urteil eigentümlich zwiespältig ausfiel. In seinem ursprünglichen Zuschnitt eine durchaus großartige, die Keime eines »cäsaristische[n] Socialismus auf St. Simonistischer Grundlage« enthaltende Konzeption, mit deren Hilfe Napoleon Frankreichs Aufstieg enorm gefördert habe, sei dieses System doch schon in Frankreich selbst gescheitert, weil es sich zu eng mit dem Finanzkapital eingelassen habe.59 Das gleiche Schicksal erlebten gegenwärtig Napoleons Nachahmer, zu denen auch Bismarck zu rechnen sei, der »den Bankiers zu einer Macht in Deutschland« verholfen habe, »der sich jetzt fast Alles und Alle beugen müssen, wenn sie nicht vernichtet werden wollen«60: »Anstatt die Erhaltung der Familien im Besitz und die Ansiedelung der Landarbeiter durch das Rentensystem zu fördern und den Grundbesitz von der Finanzherrschaft frei zu machen«, wie Wagener und Rodbertus ihm geraten hätten, habe Bismarck »das Entstehen von Capitalistenbanken begünstigt, die den Grundbesitzern den Hals abschneiden und – die schliesslich selbst zum grossen Teil pleite gehen werden.«61

      Das berührte sich, auch und gerade in der Identifikation von Bankkapital und Judentum, mit der in Frankreich schon vor 1848 einsetzenden antisemitischen Agitation, die in Deutschland seit den 1860er Jahren ein Echo fand und im Zuge des Gründerkrachs eskalierte.62 Schon in seiner Kritik der »Central-Boden-Credit-Actien-Gesellschaft« scheute sich Meyer nicht, diese als »kosmopolitisch-jüdisch« zu denunzieren und sie damit gleichsam zu expatriieren.63 Die Macht der liberalen Parteien schien ihm dadurch erklärbar zu sein, »daß die Leiter der Presse, die Redacteure, im intimsten Verkehr mit den Führern im Parlament und mit den Capitalisten und Börsenkönigen lebten«, einem Verkehr, der »vornehmlich durch die gemeinsame, canaanitische Abstammung vieler der Vorzüglichsten« jener Parteien erleichtert werde.64 Im zweiten Band des Emanzipationskampfes referierte er über zehn Seiten kommentarlos die Invektiven des Fourieristen Alphonse Toussenel und verkündete im Kapitel über Österreich seine feste Überzeugung, »dass die Juden, beschnittene und unbeschnittene, welche heute thatsächlich in Wien herrschen, hier wie überall die Zersetzung eminent fördern«.65 In Belgien sei ein großer Teil der Industrie in jüdischen Händen, in Frankreich habe nach der Niederlage im Krieg gegen Deutschland eine liberale Clique die Macht ergriffen und eine »Judenwirthschaft« installiert. Selbst beim Sieger müßten Parlament und Regierung längst sich den Juden beugen. Deutschland stehe unter der »Herrschaft einer capitalistischen, semitischen Clique«, der Westen insgesamt sei »durch die goldene Internationale, das Geldjudenthum in den oberen Kreisen, entsittlicht«.66 Ähnliche Vorwürfe wurden zur gleichen Zeit in der Gartenlaube, in der Deutschen Landeszeitung oder der Staatsbürgerzeitung erhoben, unter anderem von Otto Glagau und Ottomar Beta, welch letzterem Meyer auch die Berliner Revue geöffnet hatte.67 Mit Bruno Bauer, der nach Meyers Auskunft während seiner Redaktionsführung die politische Wochenschau des Blattes betreute, war darüber hinaus ein weiterer »Klassiker« des Antisemitismus an Bord.68 Bismarck, so der Tenor, führe Deutschland in den Staatsbankrott, er liefere das Volk einem »System der Aussaugung und Ausraubung […] durch Blutsauger« aus und sei auf dem besten Wege, »das Ende der christlichen Civilisation« einzuleiten.69 Hinsichtlich der Juden gab es deshalb nur eine Lösung: die Rücknahme der Emanzipation.70 Aber damit war es nicht getan:

      »Wir wissen, dass, wenn die Regierung des Landes anderen Händen seit 1871 anvertraut gewesen wäre, wenn einfache schlichte Männer in des Königs Rath gesessen hätten, keine Einzige der entsetzlichen Gründungen, welche den Courszettel der Berliner Börse schänden, existiren würde. Wir wissen, dass der ›Culturkampf‹ die deutsche Nation nicht zerklüften, die Noth nicht in Palästen und Hütten wohnen würde. Solange der Fürst Bismarck das allein mächtige Idol bleibt, wird die deutsche Nation dem Reich, das Reich dem Kanzler geopfert werden, und der Kanzler – gehört den Juden und Gründern. Daher giebt es für unsere Politik nur eine gebundene Marschroute: Beseitigung des jetzigen Systems und seines Trägers.«71

      Den Vorwurf, »plötzlich zum jüdischen St. Simonismus gekommen« zu sein72, wollte Bismarck nicht auf sich sitzen lassen. Er ließ Meyer durch seine Anwälte wegen Beleidigung anklagen und erwirkte im Februar 1877 seine Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe, der sich Meyer durch Flucht in das benachbarte Ausland entzog.73 Ein Versuch Wageners, Bismarck zum Einlenken gegenüber Meyer zu bewegen, scheiterte, und bald darauf brach Bismarck auch die Beziehungen zu Wagener ab.74

      II.

      Mit seiner Flucht vollendete Meyer auch räumlich, was sich in der Sache schon länger angekündigt hatte: eine Distanzierung, wenn nicht vom Konservatismus

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