Ausgänge des Konservatismus. Stefan Breuer

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Ausgänge des Konservatismus - Stefan Breuer

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der »Spezial-Gesetzgebung« überantwortete, welche man sich entlang der Vorgaben des Gesetzes vom 23. 7. 1847 dachte, das die Juden von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen hatte.78 Selbst diese Version, die recht genau zusammenfaßte, was die Juden zu dieser Zeit und noch auf längere Sicht von der konservativen Partei zu gewärtigen hatten79, kam jedoch aufgrund einer Intervention des mit Wagener seit 1848 verfeindeten Grafen von Schwerin nicht zum Zuge, der den Antrag auf Übergang zur Tagesordnung stellte.80 Obwohl die Konservativen über eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus verfügten, kam die Kammer dem Antrag nach, wohl nicht zuletzt auch deshalb, weil die Regierung deutlich signalisierte, an der konkurrierenden Gültigkeit der Gesetze neben der Verfassungsurkunde festhalten und »eine zu weit greifende, den christlichen Charakter des Staates verletzende Anwendung des fraglichen Satzes des Artikels 12 nicht Platz greifen lassen« zu wollen.81

      Das Thema war damit freilich für Wagener und seinen Anhang nicht vom Tisch. Ein Jahr später gab er die Schrift eines ungenannt bleibenden Verfassers über Das Judentum und der Staat heraus, die den Juden zwar »die Bürgerschaft mit ihren civilen Rechten« zugestand, ihnen »das auf die religiös-nationale Einheit gegründete Staatsbürgerthum mit seinen politischen Rechten« indessen kategorisch absprach.82 Im März 1859 unternahm sein Parteifreund Moritz von Blanckenburg einen neuerlichen Vorstoß im Abgeordnetenhaus, um den Bestrebungen entgegenzuwirken, die auf eine Anwendung der Artikel 4 und 12 der Verfassung gegen die im Gesetz vom 23. 7. 1847 festgelegten Restriktionen zielten, unter dem Beifall der Brüder Gerlach, die Blanckenburg bescheinigten, er habe »in der Judensache als trefflicher Feldherr gekämpft, den Feind vorgelockt und gezwungen, die Waffen zu strecken.«83 Noch Jahre später erklärte Wagener, er wolle nicht, daß ihm in einem christlichen Staate ein Eid abgenommen werde von Jemandem, »der das Kruzifix als einen Spott und als einen Hohn ansehen muß.« Sehr wohl aber sei das Umgekehrte möglich, »weil die christliche Religion die höhere Form des Judenthums ist«.84

      Seine Interventionen haben Wagener den Vorwurf eingetragen, nicht nur Antisemit, sondern auch Rassist gewesen zu sein und eine Entwicklung eingeleitet zu haben, an deren Ende der Holocaust stand.85 Richtig ist, erstens: Wagener hat als Herausgeber des Staats- und Gesellschafts-Lexikons einen krassen Antisemiten wie Bruno Bauer zum leitenden Redakteur berufen und ihn einen Artikel schreiben lassen, in dem die Juden als auf der Stufe des »Thiergeistes« stehengebliebene »Naturwesen« charakterisiert werden, als »eine fremde und geistlich-feindliche Race«, als »Parasit[en]« und »bodenlose[n] Zigeuner-Aristokratie«, die in Preußen seit Anfang des 19. Jahrhunderts »fast zu einer herrschenden Klasse« geworden sei.86 Richtig ist, zweitens: Wagener hat als Eigentümer der Berliner Revue zahllose Artikel gegen das Judentum zu verantworten, die weit über einen rein religiös begründeten Antijudaismus hinausgehen.87 Ob diese Artikel alle, wie man vermutet hat88, aus der Feder Bruno Bauers stammen, ist nicht gesichert, allerdings zumindest für einen Teil derselben auch nicht auszuschließen. Und richtig ist, drittens: er hat die Redaktion des vom Preußischen Volksverein herausgegebenen Kalenders ausgerechnet Hermann Goedsche anvertraut, der unter dem Pseudonym »Sir John Retcliffe« seit Mitte der 50er Jahre mit höchst erfolgreichen zeitgeschichtlichen Sensationsromanen hervortrat – Werken, die nicht nur antisemitische Ressentiments und (nach den Maßstäben der Zeit) pornographische Interessen bedienten, sondern darüber hinaus die Blaupause für die »Protokolle der Weisen von Zion« lieferten, bis heute ein zentraler Referenztext für das Phantasma einer jüdischen Weltverschwörung.89

      Das alles war zweifellos Wasser auf die Mühlen des sich seit den 60er Jahren immer aufdringlicher artikulierenden Antisemitismus, und dies nicht nur tropfen-, sondern kübelweise. Nicht leicht zu beantworten ist hingegen die Frage, ob Wagener sich all dies auch subjektiv zu eigen gemacht oder nicht vielmehr nur strategisch eingesetzt hat. Spezifisch rassistische Begründungen seiner Judenfeindschaft lassen sich in dem von ihm als Herausgeber gezeichneten Text von 1857 nicht ausmachen90, es sei denn, man dehnt den Rassismusbegriff in der heute beliebten Weise so weit aus, daß er ein Synonym für ›gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit‹ ist, was dem Begriff jede Unterscheidungskraft nimmt. Selbst dort jedoch, wo das Judentum expressis verbis »nicht allein als Religion und Kirche, sondern ganz vorzüglich als der Ausdruck einer Raceneigenthümlichkeit« thematisiert wird91, ist Rasse deckungsgleich mit »Nationalität«, die wiederum ihren Hauptinhalt durch die Religion erhält. Die Vorstellung, daß zu einem »Volksgeist« auch eine »Volksseele« und ein »Volkskörper« gehören, bleibt im Rahmen der idealistischen Begrifflichkeit des frühen 19. Jahrhunderts und ist deshalb nicht mit dem biologisch begründeten Rassismus zu verwechseln, der erst in der Endphase des Jahrhunderts aufkommt.92

      Mehr scheint dagegen für die Vermutung zu sprechen, Wagener habe im Judentum eine Fusion von Religion und Politik, eine Art Staatskirchentum gesehen, das in Konkurrenz zu dem analog konzipierten christlichen Staat stand. Tatsächlich schreibt der Emanzipationsartikel im Staats- und Gesellschafts-Lexikon dem Judentum den »Charakter einer Staatskirche« zu und lehnt die Emanzipation vor allem deshalb ab, weil ihr kein Staatsvertrag vorausgegangen sei.93 Die Verweigerung gleicher staatsbürgerlicher Rechte für die Juden wäre von hier aus gesehen eine Folgerung aus der Eigenart ständischer Differenzierung, für die Herrschaftsausübung und Religion nicht zu trennen sind.94 Das kommt der Wahrheit zwar näher als moralisierende Anklagen im Stil Sartres, für die der Antisemitismus »von keinem äußeren Faktor herstammen kann«, vielmehr »eine selbstgewählte Haltung der ganzen Persönlichkeit« ausdrückt.95 Doch geht auch diese Deutung noch an einem wichtigen Punkt vorbei. Mit seinem Änderungsvorschlag für Artikel 12 wollte Wagener gewiß die Christlichkeit des preußischen Staates festschreiben, doch zeigen die näheren Ausführungen in Das Judenthum und der Staat, daß ihm dabei eine sehr spezifische Ausprägung dieser Christlichkeit vorschwebte. Denn der christliche Staat sollte zwar wie die jüdische ›Staatskirche‹ auf einer religiösen Grundlage beruhen und deshalb auch »nur Christen als wahrhaft befähigt zur Theilnahme an seinem öffentlichen Leben anerkennen dürfen.«96 Er sollte sich jedoch zugleich von ihr unterscheiden, indem er eine religiös-politisch indifferente Sphäre des bürgerlichen Verkehrs freigab und damit eine Differenzierung »zwischen Bürgern und Staatsbürgern, zwischen civilen und politischen Rechten« ermöglichte.97 In dieser Sphäre seien Juden zu gleichen Rechten zuzulassen wie alle anderen. »Sie sollen leben und wohnen, erwerben und besitzen, handeln und wandeln wie irgend Jemand. Keine Einschränkung soll ihnen mehr das Leben verbittern, ihren Verkehr und ihre Ehre beschädigen.«98 Vom Staatsbürgertum dagegen, in dem sich »die sittlich religiöse und die sittlich nationale Voraussetzung des Staates« erfülle99, seien sie fernzuhalten – ein fernes Echo jener Lutherschen Lehre von den zwei Reichen, deren eines – das »Reich Christi« – eine allein aus der Offenbarung zu verstehende Ordnung der göttlichen Liebe sei, deren anderes – das der Sünde preisgegebene »Reich der Welt« – seine eigenen Gesetze habe, denen sich Christen wie Nichtchristen gleichermaßen zu unterwerfen hätten.100 Wageners Version der Lehre vom christlichen Staat setzte zwar insofern einen anderen Akzent, als sie Staatlich-Politisches auch in das Reich Christi hinüberzog, doch steht die Herauslösung einer religiös indifferenten Sphäre unverkennbar in jener mit dem Protestantismus einsetzenden Reihe fortschreitender Neutralisierungen, in der Carl Schmitt ein zentrales Merkmal des neuzeitlichen Rationalisierungsprozesses ausgemacht hat.101 In bezug auf die Juden dagegen steht sie am Anfang einer Reihe von Strategien der Exklusion, für die die Bezeichnung »radikaler Antisemitismus« angemessen ist.102

      III.

      Um die oft beschworene Meinungsführerschaft Wageners im konservativen Lager war es nach 1866 nicht mehr gut bestellt. Als Mitarbeiter Bismarcks war er den Altkonservativen suspekt, nicht nur dem Kreis um Gerlach, für den die gegen Österreich gerichtete Politik ein Sakrileg war, sondern auch jenem Teil der Partei, der sich am Umgang mit den annektierten Gebieten stieß.103 Seine Parteinahme für die Regierung andererseits war nicht unerheblichen Belastungsproben ausgesetzt, schwenkte deren Leiter doch nach der Beilegung des Verfassungskonflikts im September 1866 auf ein Bündnis mit dem nationalen

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