Ausgänge des Konservatismus. Stefan Breuer

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Ausgänge des Konservatismus - Stefan Breuer

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Königgrätz, kam es zwischen dem preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck und seinem einstigen Ziehvater Ernst Ludwig von Gerlach, dem bis 1858 unumstrittenen Führer der Konservativen Partei und nach wie vor einflußreichen ›Rundschauer‹ der ›Kreuzzeitung‹, zum endgültigen Bruch, war doch für den großdeutsch orientierten Gerlach »ein von Preußen provozierter Krieg gegen den deutschen Bruderstaat Österreich ein absolutes Horrendum«, sehr im Gegensatz nicht allein zu Bismarck, sondern auch zu vielen anderen Repräsentanten der Konservativen Partei, die Gerlach deshalb nur wenige Tage später für »gesprengt« erklärte.1 Bismarck selbst galt ihm fortan als »Verbrecher«.2

      Knapp vier Monate danach beendete das preußische Abgeordnetenhaus mit der Verabschiedung des Indemnitätsgesetzes den Verfassungskonflikt und ebnete so den Weg für die Verständigung zwischen der Regierung und der liberalen Opposition. 1869 bestätigte Gerlachs langjähriger Briefpartner Heinrich Leo, was Gerlach schon drei Jahre zuvor festgestellt hatte: »daß es mit der conservativen Partei bei uns zu Ende sei«.3 Die ›Kreuzzeitung‹ erklärte es gar für einen Irrtum, »wenn man meint, dass es in Preussen überhaupt eine conservative Partei gebe. In der Wirklichkeit steht vielmehr die Sache so, dass die conservative Partei zersetzt, daher machtlos ist […] die Principien sind verwischt, die Haltung und die Organisation fehlen.«4 Auch wenn sich diese Einschätzung als voreilig erwies, indiziert sie doch eine tiefe Verunsicherung über Wesen, Gehalt und Zukunft des Konservatismus, wie sie kurz zuvor auch das neben der ›Kreuzzeitung‹ wichtigste Organ der preußischen Konservativen, das von Philipp von Nathusius herausgegebene Volksblatt für Stadt und Land, zum Ausdruck gebracht hatte: »Welches sind die positiven Principien, die wir dem Liberalismus entgegenzuwerfen haben? Wo ist der practisch mögliche, lebensfähige und lebenerzeugende Boden, auf den wir kraft der Wahrheit unsere Gegner, unser Volk herüberzuzwingen haben? Wisst ihr Conservativen das?«5

      Zu den wenigen, die eine Antwort auf diese Fragen parat hatten, zählte zu diesem Zeitpunkt einer der engeren Mitarbeiter Wageners, der bereits mehrfach erwähnte Rudolf Meyer. Dieser stilisierte sich später zwar gern als »letzten konservativen Schriftsteller«6, als Endglied einer Kette, die mit Rodbertus begonnen und über Hermann Wagener, Schumacher-Zarchlin und Adolph Wagner bis zum ihm, Rudolf Meyer, geführt habe.7 Zugleich rechnete er sich jedoch zu den »Socialconservativen« und verstand sich als ›Prediger‹ eines »conservativen Socialismus«, bisweilen auch »des Socialismus von Gottes Gnaden«, dem die Zukunft gehören werde.8 Die Wertschätzung, die ihm dabei nicht nur von den genannten Autoren, sondern auch von so ganz anders gearteten Köpfen wie Friedrich Engels und Karl Kautsky entgegengebracht wurde, sollte Grund genug sein, ihm mehr Aufmerksamkeit zu widmen, als ihm bislang zuteil geworden ist.

      I.

      Rudolf Meyer wurde 1839 in der Neumark als Sohn eines Rittergutspächters geboren.9 Er besuchte verschiedene Schulen in Pommern, zuletzt eine Art Handelsschule in Stettin, deren Abschlußzeugnis die Aufnahme eines Universitätsstudiums ermöglichte.10 An der Berliner Universität belegte er zunächst naturwissenschaftliche Fächer, wandte sich dann aber der Geschichte, der Philosophie und schließlich auch der Nationalökonomie zu, der Disziplin, in der er nach einigen Unterbrechungen 1874 in Jena bei Bruno Hildebrand promovierte, mit einer Doktorarbeit über den Sozialismus in Dänemark, die ein Jahr später als Buch erschien.11

      Für die Unterbrechung seiner Studien war vor allem der Umstand verantwortlich, daß Meyer seit 1867 an der Berliner Revue mitarbeitete, des seit 1855 neben der ›Kreuzzeitung‹ wichtigsten konservativen Organs in Preußen.12 Die in ihn gesetzten Erwartungen enttäuschte er nicht. Er erwies sich nicht nur als ein ungemein produktiver Journalist – die von ihm redigierten letzten vier Jahrgänge der Revue, immerhin sechzehn voluminöse Quartalsbände, stammten zu einem erheblichen Teil von ihm selbst – , er nahm vor allem den Ende der 60er Jahre aufkommenden Ruf nach einer energischeren Interessenvertretung des Grundbesitzes auf, der sich durch die Steuerreform von 1861 benachteiligt sah, außerdem unter wachsender Verschuldung und Abwanderung der ländlichen Arbeitskräfte litt.13 Als sich Anfang 1870 die verschiedenen Anläufe zur Organisierung verdichteten und zur Verabschiedung des »Breslauer Programms« durch eine Versammlung von Land- und Forstwirten führten14, begrüßte Meyer dies, kritisierte aber zugleich die liberalen Einschläge, die sich dort fanden, insbesondere die Ablehnung staatlicher Bevormundung im Kredit- und Versicherungswesen, die sich zum Nachteil der ländlichen Bevölkerung auswirke.15 Alternativ dazu empfahl Meyer, das landwirtschaftliche Kreditwesen zu verbessern, die Einkommen aus Kapital stärker zu besteuern und den Staat auf verkehrspolitischem Gebiet zu aktivieren – Punkte, die wörtlich aus einer Vorlage von Rodbertus übernommen waren, mit dem Meyer seit 1870 im brieflichen und persönlichen Austausch stand.16 Das alles zielte auf die Bildung einer »Grundbesitzerpartei«, die den bereits bestehenden Vertretungen der »Capitalisten« und der »Proletarier« Paroli bieten sollte, und zwar expressis verbis »in den Parlamenten«.17 »Ein leistungsfähiger, selbstbewußter Grundbesitzerstand«, hieß es im Sommer 1871 in der Berliner Revue, »ist der feste Wall, welchen die nach Privilegien ringenden Bestrebungen der Capitalisten und der Ansturm der Proletarierbataillone nicht stürzen dürfen, soll nicht Reich und Staat zu Grunde gehen – wie in Frankreich im grauenhaften Würgerkrieg [sic] der rothen und der blauen Republikaner.«18

      In einer Epoche, die durch die Tendenz zur Demokratisierung des Wahlrechts und zur Herrschaft des Majoritätsprinzips gekennzeichnet war, mußte eine Grundbesitzerpartei allerdings in der Lage sein, die Zustimmung größerer Wählergruppen zu gewinnen, als sie allein der Besitz gewähren konnte. Die Chancen dafür erschienen Meyer auf dem Land gegeben zu sein, wo in Preußen 1870 noch zwei Drittel der Bevölkerung lebten. Um zu verhindern, daß diese den sozialistischen oder klerikalen Agitatoren in die Hände fielen, riet Meyer den Grundbesitzern, »sich ihrer und der ländlichen Arbeiter gemeinschaftlichen Interessen bewußt zu werden« und insbesondere Sorge zu tragen, »daß sich der Klassengegensatz zwischen Grundbesitzern und ländlichen Arbeitern, wo er schon besteht, verwischt, wo er nicht besteht, auch nicht zur Geltung gelangt«.19

      Auch hierfür griff Meyer auf Anregungen von Rodbertus zurück. So empfahl er den Grundbesitzern »die Einführung der Rodbertus’schen Rentenidee in die Gesetzgebung«20, wonach »eine Hypothek nur auf den bodenbedingten landwirtschaftlichen Ertrag aufgenommen werden können sollte, jedoch nicht auf den Boden als nach Kapitalmarktvorgaben und veränderlichem Zins bewertetes Gut«.21 Einige Monate später folgte, nach eingehenden Beratungen mit Rodbertus und Hermann Wagener, eine weitere Intervention zu der Frage, wie sich auf dem Land eine »Solidarität der Interessen zwischen Grundbesitzer und Arbeiter« herstellen lasse, welche »beide zu gemeinschaftlicher Arbeit in Bezug auf Betheiligung am staatlichen Leben« ermuntern würde.22 Hatte Rodbertus das »Haupthinderniss des landwirthschaftlichen Fortschritts« in der massenhaften Abwanderung der ländlichen Arbeiterklassen gesehen und diese wiederum auf deren »Eigenthumslosigkeit« zurückgeführt, der allein durch die Schaffung »freieigenthümlicher Hofstellen« zu begegnen sei23, so griff Meyer diesen Vorschlag auf und präzisierte ihn mit Blick auf die sogenannten »herrschaftlichen Tagelöhner«. Diese sollten durch die Einrichtung kleiner Büdnerstellen zu »Grundbesitzern zweiter Klasse« werden, die als Gegenleistung für das ihnen überlassene Land zu bestimmten, zeitlich begrenzten Dienstleistungen für den Grundbesitzer verpflichtet sein sollten. Damit sei den Interessen beider Klassen gedient. Die Grundherren würden Land, das sie ohnehin nicht bestellen könnten, gegen die dringend benötigten Arbeitskräfte eintauschen, die Arbeiter umgekehrt ihre Arbeitskraft gegen die Möglichkeit des sozialen und wirtschaftlichen Aufstiegs. Der Arbeiter, so Meyer, höre »zwar nicht auf, Arbeiter zu sein, – ja nicht einmal ganz, für Lohn zu arbeiten, – aber er ist doch auch in die Reihe der Eigenthümer, Grundbesitzer getreten, und mit jedem Jahre wird er weniger (Lohn-)Arbeiter und mehr Grundbesitzer.« Hiermit sei nicht nur »die glücklichste Vermittelung zwischen diesen beiden Ständen geschaffen«, sondern mehr: ein Ausgleich zwischen Herren und Arbeitern in Richtung eines einzigen »Grundbesitzerstandes«, dessen politisches

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