Dr. Daniel Staffel 9 – Arztroman. Marie Francoise
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Nikola sah, daß er lachte.
»Ich heiße Ivo Kersten«, bedeutete er ihr. »Darf ich jetzt auch Ihren Namen erfahren?«
»Nikola Forster.« Sie legte den Kopf ein wenig schräg und betrachtete ihn eingehend. »Kersten ist ein deutscher Name, Ivo nicht. Was sind Sie denn nun?«
Der junge Mann lachte erneut. »Deutscher – durch und durch. Im übrigen muß ich Sie korrigieren. Der Name Ivo stammt aus dem Althochdeutschen und bedeutet soviel wie Eibe.«
Wieder betrachtete Nikola ihn, dann nickte sie. »Dieser Name paßt gut zu Ihnen. Sie sind anscheinend stark wie ein Baum.« Dabei ging ihr unwillkürlich durch den Kopf, wie glücklich seine Freundin sein mußte, einen solchen Mann an ihrer Seite zu haben. Auch das war neu für Nikola. Derartige Gedanken hatte sie noch nie gestreift, seit sie mit Kai zusammen war schon gar nicht.
Sie liebte Kai und konnte sich ohne ihn nicht mehr vorstellen, doch jetzt, während dieses unbeschwerten Zusammenseins mit Ivo, merkte Nikola, was ihr in der Beziehung mit Kai fehlte: Heiterkeit, Lachen… sicher, sie konnte es nicht hören, aber wenn Ivo lachte, dann blitzten seine Augen… sein ganzes Gesicht war Fröhlichkeit, und erst jetzt erkannte Nikola, wie ernst Kai immer war. Sie konnte sich gar nicht erinnern, ihn in den drei Jahren, seit sie sich kannten, jemals lachen gesehen zu haben, und Nikola wurde schmerzlich bewußt, wie sehr sie gerade das in all den Jahren vermißt hatte.
*
Dr. Daniel erschrak, als er abends noch einmal nach Nikola sehen wollte und ihr Zimmer verwaist vorfand. Im ersten Moment dachte er, Kai hätte seine Verlobte nun doch überredet, die Klinik zu verlassen. Obwohl sich Dr. Daniel heute persönlich hier aufgehalten hatte, wäre es durchaus möglich, daß der Chefarzt die Entlassungspapiere unterschrieben hatte. Allerdings wäre in diesem Fall das Bett bereits frisch bezogen, außerdem entdeckte Dr. Daniel in dem angrenzenden kleinen Bad Nikolas Toilettenartikel.
»Die junge Dame hat eine Eroberung gemacht«, erklang hinter Dr. Daniel plötzlich die Stimme von Nachtschwester Irmgard Heider.
Erstaunt wandte sich der Arzt um. »Wie bitte?«
Irmgard nickte lächelnd. »Sie haben schon richtig gehört, Herr Doktor. Fräulein Forster sitzt mit Herrn Kersten in der Cafeteria.«
»Kersten«, wiederholte Dr. Daniel nachdenklich, dann schüttelte er den Kopf. »Tut mir leid, der Name sagt mir nichts.«
»Ein Patient aus der Chirurgie«, klärte Schwester Irmgard ihn auf. »Er ist seit letzter Nacht stationär hier und wird voraussichtlich morgen entlassen.« In wenigen Worten erzählte sie, wie der Krankenpfleger Sándor den jungen Mann in die Klinik gebracht hatte. »Der Chefarzt will sich morgen bei der Visite die Beinverletzung noch einmal anschauen, und wenn alles in Ordnung ist, kann Herr Forster wieder nach Hause gehen.« Irmgard lächelte noch immer. »Allerdings habe ich den Eindruck, das er das gar nicht mehr will. Wissen Sie, ich habe zufällig gesehen, wie sich Herr Kersten und Fräulein Forster in der Eingangshalle begegnet sind. Zuerst schien die junge Frau sehr deprimiert gewesen zu sein. Aus diesem Grund wollte ich sie ja schon ansprechen, aber Herr Kersten ist mir zuvorgekommen, und inzwischen denke ich, es war besser so. Er scheint die Zeichensprache perfekt zu beherrschen. Jedenfalls sitzen die beiden jetzt in der Cafeteria und unterhalten sich sehr angeregt.«
Dr. Daniel war nicht ganz sicher, was er von dieser Geschichte halten sollte. In den wenigen Gesprächen mit Nikola hatte er eher den Eindruck gewonnen, als wäre sie ein wenig scheu… vielleicht hervorgerufen durch das Verhalten von Kai Horstmann, der seine Verlobte so sehr abschirmte, daß er sie nach Möglichkeit nicht einmal mit einem Arzt allein sprechen lassen wollte.
Spontan machte er sich auf den Weg zur Cafeteria, blieb aber an der Tür stehen. Zu dieser inzwischen doch recht späten Stunde waren Nikola und Ivo die einzigen Besucher, so daß Dr. Daniel keine Probleme hatte, sie ein wenig zu beobachten, ohne dabei selbst gesehen zu werden. Er konnte erkennen, daß Irmgard völlig recht hatte. Die beiden unterhielten sich tatsächlich sehr angeregt und es schien ein ziemlich fröhliches Gespräch zu sein. Dr. Daniel konnte die Handzeichen zwar nicht verstehen, doch Ivo lachte einige Male und auch Nikola machte einen ungewöhnlich gelösten Eindruck.
Leise zog sich Dr. Daniel wieder zurück. In diesen wenigen Minuten hatte er ein völlig anderes Gesicht von Nikola entdeckt, und er mußte gestehen, daß ihm dieses eigentlich sehr viel besser gefiel. Dr. Daniel zögerte einen Moment. Gerade jetzt hätte er sich sehr gern mit Nikola unterhalten, doch andererseits wollte er ihr Beisammensein mit dem jungen Mann nicht stören.
»Guten Abend, Herr Doktor«, wurde er in diesem Moment ganz unverhofft angesprochen und drehte sich um.
»Sándor.« Dr. Daniel war sichtlich überrascht, den jungen Krankenpfleger, den er bereits seit vielen Jahren kannte, zu dieser späten Stunde hier noch anzutreffen. »Dein Dienst ist doch schon längst zu Ende.«
Sándor nickte. »Ich bin eigentlich auch nur auf der Suche nach meinem Freund.«
»Ivo Kersten«, vermutete Dr. Daniel, dann lächelte er. »Mein lieber Sándor, da könntest du im Moment doch nur stören. Dein Freund unterhält sich gerade sehr angeregt mit einer Patientin von mir.«
Sándor versuchte nicht, seine Überraschung zu verbergen. »Das ging aber schnell.«
»Was ging schnell?« hakte Dr. Daniel nach.
»Na ja… Ivo hat gerade ziemlichen Liebeskummer«, entgegnete Sándor. »Seine Freundin hat mit ihm Schluß gemacht. Es ist nicht so, daß sie auch nur eine Träne wert wäre, aber Ivo hat sie nun mal geliebt, und er ist nicht der Typ, der so was leicht wegsteckt.«
»Du kennst ihn sehr gut, nicht wahr?« stellte Dr. Daniel fest.
Sándor nickte. »Sie wissen ja, daß meine Mutter und ich nach dem Tod meines Vaters Ungarn verließen und hierher kamen. Damals war ich fünf, und obwohl ich fließend deutsch sprach, hatte ich es als halber Ungar nicht ganz leicht. Ivo erging es ganz ähnlich. Er kam zwar nicht aus dem Ausland, aber direkt vom Heim, zu fremden Menschen, die laut Gesetz nun seine Eltern waren.«
In diesem Moment erinnerte sich Dr. Daniel. »Ach, dieser Kersten ist das.« Er nickte. »Das war wirklich ein armer Junge. Er wurde von den anderen Kindern oftmals recht gehänselt, weil er keine leiblichen Eltern hatte.«
»In den ersten Jahren steckten Ivo und ich praktisch ständig zusammen«, fuhr Sándor fort. »Doch dann zogen seine Adoptiveltern mit ihm nach München, und wir verloren uns aus den Augen. Erst vor ein paar Jahren trafen wir uns zufällig wieder, und es stellte sich bald heraus, daß die alte Vertrautheit zwischen uns immer noch da war, obwohl wir uns lange nicht gesehen hatten. Ivo arbeitete damals als Krankenpfleger an einer Gehörlosenschule.«
Nun wurde Dr. Daniel natürlich einiges klar. »Deshalb beherrscht er auch die Zeichensprache so gut.«
»Zeichensprache?« fragte Sándor verständnislos.
»Meine Patientin ist taubstumm«, klärte Dr. Daniel ihn auf.
»Ach ja, da habe ich schon was mitgekriegt«, fiel es Sándor nun ein. »Die Schwestern haben sich über sie unterhalten… besser gesagt, über ihren Verlobten. Der hat wohl nicht gerade die Herzlichkeit für sich gepachtet.«
Dr. Daniel mußte schmunzeln. »So könnte man es ausdrücken.« Er wurde wieder ernst. »Allerdings