Der Strick um den Hals. Emile Gaboriau

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Der Strick um den Hals - Emile Gaboriau

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einen Umweg von einer halben Meile machten, um ihn zu umgehen.

      Er beherrscht somit die ganze Landschaft, und auf seinem Gipfel angelangt, konnten Herr Sénéchal und seine Gefährten sich eines Aufschreis kaum erwehren.

      »Horesco«, murmelte der Staatsanwalt. Das Feuer selbst war ihnen noch verborgen durch den Hochwald von Rochepommier, aber die Strahlen der Flammen schossen weit über die großen Bäume – den ganzen Horizont mit ihren unseligen Gluten erhellend. – Die ganze Umgegend war in Bewegung. Die Sturmglocke läutete mit eiligen Schlägen von der Kirche zu Bréchy, deren verfallener Turm sich schwarz an dem purpurnen Himmel abzeichnete.

      »Die Hilfe kommt zu spät«, sagte Herr Galpin-Daveline.

      »Ein so schönes Gut!« rief der Bürgermeister, »und so wohl geordnet.«

      Und er trieb sein Pferd den Hügel hinab zum Galopp an, denn Valpinson hegt im Grunde des Tales, fünfhundert Meter von dem kleinen Fluß entfernt.

      Hier war alles in Schreck, Verwirrung, Unordnung aufgelöst. Und doch fehlte es weder an Händen noch an gutem Willen. Beim ersten Alarmschrei waren alle Bewohner der Umgegend herbeigeeilt, und es kamen deren noch mit jeder Minute neue an, aber es war niemand da, sie zu leiten.

      Vor allem war es die Rettung des Mobiliars, die sie beschäftigte. Die Mutigsten verweilten in den Gemächern und warfen, von einer Art Schwindel befallen, alles aus den Fenstern, was ihnen nur in die Hände fiel. So häuften sich in der Mitte des Hofes drunter und drüber Betten, Matratzen, Stühle, Wäsche, Bücher und Kleider an.

      Mit einer gewaltigen Aufregung wurde die Ankunft des Herrn Sénéchal und seiner Begleiter begrüßt.

      »Da ist der Herr Bürgermeister!« schrien die Bauern, durch seine Anwesenheit schon ermutigt und bereit, ihm zu gehorchen.

      Herrn Sénéchal aber genügte ein Blick, um den Stand der Dinge zu übersehen.

      »Ja, ich bin es, meine Freunde«, sagte er, »und ich freue mich über euren Eifer. Es handelt sich in diesem Augenblick darum, unsere Kräfte nicht zu zersplittern. Die Pächterei und die Wirtschaftsgebäude sind verloren, geben wir sie auf. – Vereinigen wir unsere Anstrengungen auf das Schloß. Organisieren wir uns. Der Ruß ist ganz nah; alles heran zur Kette, Männer und Weiber! – Wasser, Wasser! – Da sind die Spritzen!«

      In der Tat hörte man sie mit Donnergetöse heranrollen. Die Feuerwehrleute erschienen. Der Hauptmann Parenteau übernahm die Leitung. Jetzt endlich konnte Herr Sénéchal sich nach dem Grafen von Claudieuse erkundigen.

      »Der Herr ist dort«, antwortete ihm ein altes Weib, indem sie auf eine etwa hundert Fuß entfernte Hütte mit einem Strohdach zeigte. »Der Doktor hat ihn dorthin tragen lassen.«

      »Wir wollen zu ihm gehen«, sprach hastig der Bürgermeister zum Staatsanwalt und zum Untersuchungsrichter.

      Auf der Schwelle der einzigen Stube, welche die ärmliche Wohnung enthielt, blieben sie aber stehen.

      Es war ein großes Zimmer mit Lehmboden, mit geschwärzten Balken und angefüllt mit Handwerkszeug und Säcken. Zwei Betten mit gewundenen Säulen und mit Vorhängen aus gelbem Serge füllten den Hintergrund aus. Auf dem zur Linken schlief ein kleines Mädchen von vier oder fünf Jahren in eine Decke gehüllt, von der etwa zwei oder drei Jahre älteren Schwester bewacht.

      Auf dem Bett zur Rechten lag oder saß vielmehr der Graf von Claudieuse, denn man hatte hinter seinem Rücken alle Kissen aufgehäuft, die man der Feuersbrunst zu entreißen vermocht.

      Er saß mit entblößtem und blutbedecktem Rücken da, und der Doktor Seignebos beugte sich in Hemdsärmeln, die er bis zu den Ellenbogen aufgekrempelt hatte, über ihn und schien, einen Schwamm in der einen Hand, ein Skalpell in der andern, in eine ernste und bedenkliche Operation vertieft.

      In einem weißen Musselinkleide stand die Gräfin von Claudieuse zu Füßen des Lagers, auf dem ihr Gatte ruhte – bleich, aber mit gefaßter Ruhe und voll standhafter Resignation. Eine Lampe in der Hand, leuchtete sie dem Doktor nach seinen Anweisungen.

      In einem Winkel kauerten mit über den Kopf gezogenen Schürzen zwei Mägde und weinten.

      Tief erschüttert entschloß der Bürgermeister sich endlich einzutreten.

      Der Graf von Claudieuse war der erste, der ihn bemerkte. »Ah! da ist der brave Sénéchal!« sagte er. »Treten Sie näher, lieber Freund, treten Sie näher! ... Das Jahr 1871 ist, wie Sie sehen, ein verhängnisvolles Jahr. Von allem, was ich besaß, wird bei Tagesgrauen nichts mehr übrig sein als ein paar Schaufeln Asche.«

      »Es ist ein großes Unglück«, antwortete der würdige Bürgermeister, »aber wir befürchteten eins, das noch viel unersetzlicher wäre ... doch Gott sei Dank, Sie werden am Leben bleiben ...«

      »Wer weiß, ich leide fürchterlich!« ...

      Bei diesen Worten fuhr Frau von Claudieuse zusammen.

      »Trivulce«, flüsterte sie mit sanft flehender Stimme, »Trivulce!«

      Nie mag ein Liebender auf die Freundin seines Herzens einen zärtlicheren Blick geworfen haben als der, den Herr von Claudieuse auf seine Gemahlin warf.

      »Vergib mir, liebe Geneviève, vergib mir meinen Mangel an Mut –«

      Ein nervöser Krampf schnitt ihm die Worte ab; gleich darauf rief er mit gellender Stimme: »Himmel und Hölle, Doktor, Sie foltern mich!«

      »Hier habe ich Chloroform«, entgegnete kaltblütig der Arzt.

      »Ich will keines.«

      »Dann entschließen Sie sich, den Schmerz auszuhalten, und bleiben Sie still, denn jede Ihrer Bewegungen vermehrt ihr Leiden.«

      Darauf wischte er mit dem Schwamm den feinen Blutfaden ab, der über sein Skalpell rieselte. »Übrigens«, fügte er hinzu, »wollen wir einige Minuten Pause machen ... Meine Augen und meine Hände werden müde; ich bin eben nicht mehr jung.«

      Der Doktor Seignebos zählte sechzig Jahre. Er war ein kleiner Mann mit galligem Teint, mager, kahlköpfig, von einer mehr als nachlässigen Haltung, stets eine goldene Brille auf der Nase, die abzunehmen, sauberzuwischen und wieder aufzusetzen seine Hauptbeschäftigung schien. Sein medizinischer Ruf war groß, man führte in Sauveterre Wunder von Heilungen an, die er vollbracht; dennoch habe er wenig Freunde. Die Arbeiter warfen ihm seine hochmütige Amtsmiene vor, die Bauern seine Gewinnsucht, die Bürger seine politischen Ansichten. Man erzählte sich, eines Abends bei einem Gelage hätte er mit erhobenem Glase ausgerufen: »Ich trinke auf das Gedächtnis des einzigen Arztes, dessen reinen und edlen Ruf ich beneide, auf das Gedächtnis meines Landsmannes, des Doktors Guillotin de Saintes.«

      Hatte er wirklich diesen Toast ausgebracht? Gewiß

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