Der Strick um den Hals. Emile Gaboriau
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der Strick um den Hals - Emile Gaboriau страница 8
Der Graf schüttelte den Kopf.
»Ich habe Ihnen nichts mehr mitzuteilen, mein Herr«, sagte er. »Ich war ohnmächtig geworden und bin erst einige Stunden später, hier auf diesem Bett, wieder zum Bewußtsein gekommen.«
Mit der äußersten Sorgfalt notierte Herr Galpin-Daveline die Antworten des Grafen.
»Wir werden«, sagte er, nachdem er seine Notizen beendet, »auf das Sorgfältigste auf die näheren Umstände des Mordes zurückkommen. Für den Augenblick ist es wichtig, Herr Graf, zu wissen, was nach Ihrem Sturz weiter vorfiel. Wer kann mir darüber Auskunft geben?«
»Die Gräfin, mein Herr.«
»So dachte ich auch. Die Frau Gräfin ist vermutlich mit Ihnen zugleich aufgestanden?«
»Meine Frau schlief noch nicht.«
Hastig wandte der Richter sich zur Gräfin um, und ein Blick genügte ihm, um sich zu überzeugen, daß die Toilette der Gräfin nicht die einer durch den Brand ihres Hauses aus dem Schlaf geweckten Frau war.
»In der Tat«, murmelte er.
»Berthe, unsere jüngste Tochter, die Sie dort in Decken gehüllt auf dem Bette liegen sehen, ist von den Masern befallen und ernstlich krank ... Meine Frau war bei ihr geblieben. Unglücklicherweise gehen die Fenster meiner Töchter auf den Garten, auf die entgegengesetzte Seite des Flügels, wo man das Feuer angelegt hatte.«
»Und auf welche Weise wurde die Frau Gräfin von dem Unglück benachrichtigt?« fragte der Untersuchungsrichter.
Ohne eine direktere Frage abzuwarten, trat Frau von Claudieuse vor.
»Wie mein Mann Ihnen soeben sagte«, antwortete sie, »hatte ich darauf bestanden, bei meiner kleinen Berthe zu wachen. Da ich schon die vorhergehende Nacht bei ihr verbracht hatte, war ich ein wenig müde und endlich eingeschlafen, als ich durch einen Schuß geweckt wurde ... so schien es mir wenigstens. Ich fragte mich, ob es nicht eine Einbildung gewesen, als fast unmittelbar darauf ein zweiter Knall folgte. Mehr erstaunt als beunruhigt, verließ ich das Zimmer meiner Töchter... Oh, mein Herr, so groß war schon die Wut des Feuers, daß es auf der Treppe hell war wie am Tage... Ich eilte die Treppe hinab. Die äußere Türe war offen, ich trat hinaus. – Auf fünf oder sechs Schritt sah ich beim Lichte der Flammen den Körper meines Gatten liegen ... Ich warf mich über ihn, er hörte mich nicht mehr; sein Herz hatte aufgehört zu schlagen, ich glaubte ihn tot, ich rief mit verzweifelter Stimme um Hilfe ...«
Man hörte Herr Sénéchal und Herrn Daubigeon aufseufzen.
»Gut«, bestätigte mit befriedigter Miene Herr Galpin-Daveline, »sehr gut!« –
»Sie wissen«, fuhr die Gräfin fort, »wie tief der Schlaf der Bauern ist... Es scheint mir, daß ich sehr lange Zeit neben meinem Gatten kniend allein blieb. Endlich aber weckte die Helle der Feuersbrunst unsere Pächter, unsere Arbeiter und die Dienstboten. Mit dem Rufe: ›Es brennt! Es brennt!‹ stürzten sie jetzt heraus. Als sie mich erblickten, kamen sie herbei und halfen mir meinen Gatten einer Gefahr zu entziehen, die mit jedem Augenblicke wuchs. Durch einen heftigen Wind angefacht, verbreitete sich das Feuer mit erschreckender Schnelligkeit. Die Scheunen waren nur noch ein mächtiger Glutofen, die Meierei brannte, die mit Branntwein gefüllten Keller standen in Flammen, das Dach unseres Hauses entzündete sich von allen Seiten... Und dabei niemand, der Geistesgegenwart behielt! Mein Kopf war dermaßen verwirrt, daß ich meine Kinder vergaß und daß ihr Zimmer schon voll Rauch war, als ein braver, mutiger Bursche hinging, sie dem entsetzlichsten Untergange zu entreißen. Um mich wieder zu mir selbst zu bringen, bedurfte es der Ankunft des Doktors Seignebos und seines hoffnungsvollen Zuspruchs ... Diese Feuersbrunst richtet uns vielleicht zugrunde; sei es darum – wenn nur meine Kinder und mein Mann gerettet sind!«
Mit verächtlicher Ungeduld hörte der Doktor Seignebos diese unvermeidlichen Auslassungen an.
Die andern, Herr Sénéchal, der Staatsanwalt, selbst die beiden Mägde, gewannen es kaum über sich, ihre Bewegung zu meistern.
Er aber zuckte die Achseln und murmelte zwischen den Zähnen: »Formalitäten! Kleinigkeiten! Kindereien!«
Nachdem er seine goldene Brille abgenommen, getrocknet und wieder auf die Nase gesetzt hatte, setzte sich der Doktor an den einzigen wackligen Tisch der ärmlichen Stube und zählte in einer Schale die Schrotkörner, die er aus den Wunden des Grafen gezogen hatte.
Nach den letzten Worten der Gräfin aber erhob er sich und sprach, sich in kurzem Tone an Herrn Galpin-Daveline wendend: »Jetzt werden Sie mir ohne Zweifel meinen Kranken wieder überlassen?«
Offenbar beleidigt – und das nicht ganz ohne Grund – runzelte der Untersuchungsrichter die Brauen und erwiderte kalt: »Ich begreife die Wichtigkeit Ihrer Verrichtungen sehr wohl, meine Aufgabe aber ist weder weniger ernst, noch weniger dringend.«
»Oh!«
»Deshalb werden Sie mir noch fünf Minuten bewilligen, Herr Doktor?«
»Zehn, wenn Sie es verlangen. Doch erkläre ich Ihnen, daß jede Minute, die von jetzt an verrinnt, das Leben des Verwundeten gefährdet.«
Sie waren aufeinander zugetreten, und mit zurückgeworfenem Kopf maßen sich gegenseitig ihre Blicke, aus denen der wütendste Haß blitzte. Fast schienen sie im Begriff, angesichts des Kranken in Streit zu geraten. Wenigstens schien die Gräfin es zu fürchten, denn mit vorwurfsvollem Tone sprach sie: »Meine Herren, um Gottes willen, meine Herren!«
Vielleicht hätte auch ihr Einschreiten nicht genügt, wären nicht Herr Sénéchal und Herr Daubigeon dazwischengetreten.
Von den beiden Gegnern schien Herr Galpin-Daveline der hartnäckigste; denn trotz alledem nahm er noch einmal das Wort: »Ich habe«, sprach er zu dem Grafen, »nur noch eine Frage zu stellen. Wie und wo standen Sie? Und welches war die Stellung Ihres Mörders in dem Augenblick, als er das Verbrechen ausführte?«
»Mein Herr«, sprach der Graf mit deutlich ermüdeter Stimme, »ich sagte Ihnen bereits, daß ich auf der Schwelle meiner Türe dem Hof gegenüberstand. Der Mörder mußte sich etwa auf zwanzig Schritt mir zur Rechten hinter einem Holzhaufen aufgestellt haben.«
Nachdem er die Antwort des Verwundeten notiert, wandte der Richter sich dem Arzt zu: »Sie haben gehört, Herr Doktor«, sprach er. »Jetzt ist es an Ihnen, die Voraussetzung über diesen entscheidenden Punkt näher zu bestimmen. In welcher Entfernung befand sich der Mörder in dem Augenblick, als er Feuer gab?«
»Ich bin kein Wahrsager«, antwortete der Doktor in barschem Ton.
»Oh! nehmen Sie sich in acht, Herr Doktor, das Gericht, dessen Repräsentant ich bin, hat sowohl das Recht als die Mittel, sich in Respekt zu setzen. Sie sind Arzt, und heutzutage ist die Medizin in der Lage, mit fast mathematischer Gewißheit auf die Frage, die