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der nächsten Kurve trat sie abrupt auf die Bremse. Fast hätte sie auf der schmalen Straße einen Wagen gerammt, der an dieser schwer einsehbaren Stelle am Wiesenrand stand.

      Dachte dieser Autofahrer denn gar nicht an die anderen, die vielleicht mit weit höherer Geschwindigkeit als sie durchs Tal fuhren?

      Als sie einen Meter vor der hinteren Stoßstange des Kombis zum Stehen kam, glaubte sie, ihren Augen nicht trauen zu können. Der Wagen gehörte Jonas.

      Sie stieß die Autotür auf.

      »Jonas?« Sie schrie mehr, als dass sie rief.

      »Hier!« Die Männerstimme hörte sich schwach an.

      Amelie lief um die Kühlerhaube herum und fand ihren Vetter vor dem rechten Vorderrad im Gras sitzen. Sein aschfahles Gesicht wirkte spitz. Die grauen, sonst so ruhig blickenden Augen sahen sie voller Panik an.

      Sie kniete sich neben ihn.

      »Was ist los?«

      »Ich bin völlig fertig. In meiner Brust ist so ein komisches Druckgefühl. Außerdem musste ich mich ganz plötzlich übergeben.«

      Sie berührte seine Stirn. »Du hast Fieber.«

      »Echt?« Er folgte ihrer Bewegung.

      Sie biss sich auf die Lippe.

      Unmöglich konnte sie Jonas jetzt hier allein lassen.

      »Ich fahre dich zu Dr. Brunner. Der soll dich untersuchen.« Entschlossen griff sie nach Jonas’´ Hand, die er ihr ruckartig entzog.

      »Ich will zu keinem Arzt.«

      »Du kannst doch hier nicht sitzen bleiben. Außerdem muss ich die Autos wegfahren. Sie behindern den Verkehr. Nicht, dass es noch zu einem Unfall kommt.«

      In ihrem Kopf schlugen die Gedanken Purzelbäume.

      Sie würde zu spät zu ihrer Verabredung kommen. Das war klar. Aber sie konnte ihren Vetter in diesem Zustand schließlich nicht einfach sich selbst überlassen. Sie musste Torsten irgendwie benachrichtigen. Doch wie?

      »Bleib bitte hier sitzen«, sagte sie. »Ich fahre erst einmal die beiden Wagen an eine sichere Stelle.«

      Mit hämmerndem Herzen stellte sie den Kombi ein paar Meter weiter einfach auf die Wiese, eilte zu ihrem Auto zurück und parkte es mit laufendem Motor daneben. Dann lief sie zu Jonas zurück.

      »Kannst du aufstehen?«

      Er sah sie von unten an und nickte. So weit es ihre Kraft erlaubte, stützte sie ihn.

      »Ich fahre dich jetzt zu Dr. Brunner. Er soll dich untersuchen«, sagte sie entschlossen, als sie auf der Wiese wendete.

      »Das lässt du schön sein«, fuhr ihr Vetter auf. Dabei sah er sie wütend an. »Ich brauche keinen Arzt. Ich will nur nach Hause und mich hinlegen. Morgen geht’s schon wieder.«

      Sie zog die Luft scharf ein.

      Natürlich wusste sie, dass sie sich ihm gegenüber in diesem Punkt nicht würde durchsetzen können. Was blieb ihr also anderes übrig? Mit Hilflosigkeit und Groll im Herzen hielt sie den Mund. Zum ersten Mal jedoch dachte sie daran, dass Britta es mit ihrem Mann auch nicht einfach gehabt hatte.

      »Wie du willst«, erwiderte sie schließlich betont kühl. »Aber das nächste Rezept holst du dir selbst.«

      »Darf ich Ihnen noch was bringen?«, fragte der Kellner.

      Torsten sah auf seine Armbanduhr. Zwanzig nach sieben.

      »Nein, danke. Erst einmal nichts mehr. Ich warte, wie gesagt, auf meine Begleiterin.«

      Der grauhaarige Mann entfernte sich.

      Natürlich gab es unpünktliche Frauen. Davon hatte er viele kennengelernt. Obwohl er Amelie nicht so eingeschätzt hatte. Er lehnte sich zurück und sah wieder aus dem Fenster. Im Biergarten war bei dem schönen Wetter kein Platz mehr frei gewesen. Deshalb saß er jetzt in der Stube, in einer Nische, von wo aus er den Eingang des Biergartens überblicken konnte. Und nicht nur den, sondern auch die blühenden Wiesen, ein paar kleine Höfe oberhalb der Steinache an grünen Hängen und die bewaldeten Höhenzüge.

      Beim Anblick der Landschaft lächelte er versonnen vor sich hin.

      Nadelduft und Bäche, Forellen, gelbe Dotterblumen, Tannen, die seit Ewigkeiten in den Himmel wuchsen das war der Schwarzwald. Als er den Auftrag, hier zu arbeiten, bekommen hatte, war er begeistert gewesen, ohne zu ahnen, dass er hier seiner Traumfrau begegnen würde. Zumindest optisch entsprach Amelie dem Bild einer solchen. Und wie er sie kennengelernt hatte, war er fast sicher, dass ihr Wesen ihn genauso begeistern würde. Nach Irrungen und Wirrungen wusste er heute, was er wollte: Eine Liebe für ein ganzes Leben. Eine eigene Familie.

      Wieder sah er auf seine Uhr.

      Wo blieb sie nur? Ob sie ihn vielleicht versetzte? Womöglich hatte sie gar nicht wirklich vorgehabt, sich mit ihm zu treffen.

      »Glauben Sie, Ihre Begleitung wird noch kommen?«, hörte er den Kellner neben sich fragen.

      Viertel vor acht zeigte die Kuckucksuhr in der rustikalen Schwarzwälder Stube an.

      »Wahrscheinlich nicht«, murmelte er.

      »Möchten Sie allein essen?«

      Er biss sich auf die Lippe. Dann zwang er sich zu einem Lächeln.

      »Danke. Der Appetit ist mir vergangen«, erwiderte er wahrheitsgemäß. »Ich möchte gern zahlen.«

      Mit viel zu hoher Geschwindigkeit machte sich Amelie an diesem Abend zum zweiten Mal auf den Weg zur Brauereistube. Über den Wiesen woben inzwischen weiße Dunstbänder, und die Hanglinien vor ihr verschmolzen miteinander in weinfarbenem Abenddunst –, ein Anblick, dessen Schönheit sie berührte. War dieser Sommerabend nicht für ein Rendezvous wie geschaffen? Hoffentlich würde Torsten auf sie warten. Tief im Herzen glaubte sie jedoch nicht daran. Schließlich kam sie eine Dreiviertelstunde zu spät.

      Der Biergarten der Brauerei war bis auf den letzten Platz besetzt. Sie ließ ihren Blick über die Köpfe der Leute schweifen. Nirgendwo entdeckte sie den Mann, mit dem sie verabredet war.

      Und jetzt? Eine verpasste Chance? Womöglich hatte das Schicksal es so gewollt. Vielleicht saß er aber auch in der Brauereistube, weil er hier draußen keinen Platz mehr bekommen hatte. Dieser Gedanke ließ wieder Hoffnung in ihr aufglimmen. Mit klammen Händen betrat sie das alte Brauhaus – und entdeckte ihn. Er kam auf sie zu, verhielt den Schritt, als er sie ebenfalls sah. Seine Züge entspannten sich, sein bezwingendes Lächeln ließ sein Gesicht aufleuchten. In wenigen Schritten stand er vor ihr.

      »Ich dachte schon …« Er verstummte, sah sie forschend an.

      »Entschuldige«, sagte sie ein wenig atemlos.

      Ihre Blicke fanden sich, hielten einander fest.

      »Hauptsache, du bist doch noch gekommen«, meinte er, nahm ihren Ellenbogen und führte sie an einen Tisch in einer Nische, auf der ein einsamer Bierkrug stand.

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