Dr. Norden (ab 600) Jubiläumsbox 6 – Arztroman. Patricia Vandenberg

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Dr. Norden (ab 600) Jubiläumsbox 6 – Arztroman - Patricia Vandenberg Dr. Norden (ab 600)

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bis spät in die Nacht zu arbeiten. Ein Versuch war es auf jeden Fall wert, und tatsächlich meldete sie sich schon nach dem dritten Klingeln.

      *

      »Seit wann hast du diese Beschwerden?«, erkundigte sich Dr. Mario Cornelius fürsorglich bei seinem jungen Patienten, der eben in die Notaufnahme gebracht worden war. Als Kinderarzt hatte man ihn schon im Vorfeld informiert. Trotz der frühen Stunde – es war erst kurz nach acht Uhr – hatte er nicht gezögert, seinen Kaffee stehen gelassen und war gleichzeitig mit Tommi Werner in der Notaufnahme angekommen.

      »Seit heute Morgen«, stöhnte der zwölfjährige Junge. Er war leichenblass und klagte über Atemnot und Übelkeit. »Ich bin erst mal in die Schule gegangen und hab dann doch irgendwann den Notarzt holen lassen.« Sein Atem ging stoßweise und feine Schweißperlen standen auf seiner runden Kinderstirn.

      »Wissen deine Eltern, dass du hier bist?«, fragte Mario und blickte hoch.

      Aus den Augenwinkeln hatte er Schwester Carina entdeckt, die ein paar Schachteln mit frisch sterilisiertem Operationsbesteck ins Zimmer brachte. Während sie es in den entsprechenden Schubladen verstaute, ignorierte sie den gutaussehenden Arzt wohlweislich. Nur das versonnene Lächeln auf ihrem Gesicht verriet, dass sie sich seiner Gegenwart wohl bewusst war. Schnell konzentrierte sich Mario wieder auf seinen jungen Patienten, der ihn entsetzt anstarrte.

      »Nein. Und das dürfen sie auch nicht erfahren. Meine Mama würde mir den Kopf abreißen.«

      »Wieso das denn?«, fragte Dr. Cornelius überrascht nach.

      Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass eine besorgte Mutter ihren Sohn schimpfen würde, weil er Hilfe gesucht hatte.

      Diesmal antwortete Tommi nicht sofort. Verlegen kaute er auf der Unterlippe, während Carina der Schublade mit einem gekonnten Hüftschwung einen Stoß versetzte.

      Ein Pfleger, der ebenfalls im Raum war, pfiff anerkennend. Schwester Carina schenkte ihm ein charmantes Lächeln, ehe sie das Zimmer verließ, ohne auch nur ein Wort mit Dr. Cornelius gewechselt zu haben.

      Doch Mario registrierte diese Aktion ohnehin nur am Rande. Seine ganze Aufmerksamkeit gehörte jetzt dem Jungen, der sichtlich mit sich haderte.

      »Wegen Mathe«, rang Tommi sich schließlich zu einer ehrlichen Antwort durch. »Ich hab in der fünften Stunde Schulaufgabe. Aber wenn ich diesmal wieder ’ne Fünf schreib, ist meine Versetzung gefährdet. Deshalb darf ich diesmal keinen Blackout haben.« Er hob die Augen und sah Mario Cornelius verzweifelt an. »Können Sie mir nicht ein paar Beruhigungsmittel verschreiben? Dann schaff ich das bestimmt.«

      Ungläubig schüttelte Mario den Kopf.

      »Augenblick mal. Du bist also hier, weil du Angst vor einer Schulaufgabe hast?«

      Unschuldig zuckte Tommi mit den Schultern.

      »Könnte schon sein.«

      Auf so eine Vermutung konnte sich Dr. Cornelius natürlich nicht verlassen, und so wurde Tommi zunächst von Kopf bis Fuß untersucht. Schließlich konnte der Kinderarzt nicht ausschließen, dass sein Patient nicht vielleicht doch krank war.

      »Tja, du bist kerngesund«, konnte Mario dem Jungen das freudige Ergebnis wenig später überbringen.

      Doch Tommi dachte nicht daran, sich zu freuen.

      »Sag ich doch! Ich brauch nur ein paar Beruhigungspillen. Dann klappt das. Meine Mutter macht das auch immer so«, versicherte er energisch.

      Der Kinderarzt meinte, nicht richtig zu hören.

      »Bist du sicher? Vielleicht nimmt sie ja auch nur hin und wieder eine Kopfschmerztablette«, suchte er nach einer plausiblen Erklärung für Tommis Beobachtung.

      »Seit wann machen Kopfschmerztabletten denn gute Laune?«, grinste der Junge und vergaß völlig, wie schlecht es ihm eigentlich ging.

      Mario erschrak noch mehr.

      »Sag bloß, du hast das schon ausprobiert?«, fragte er fassungslos.

      »Ich hab mal eine stibitzt«, verriet Tommi erstaunlich offen. »Aber Mama hat’s gemerkt und sie weggeräumt.«

      In diesem Moment wusste Mario, dass er handeln musste. Er vertröstete Tommi und setzte sich nach nebenan in ein Büro, um mit der Mutter zu telefonieren.

      »Tommi ist in der Klinik?«, rief sie ungläubig ins Telefon. »Aber er schreibt doch später Mathe.«

      »Deswegen ist er hier. Er hat mich um ein Beruhigungsmittel gebeten, weil er sehr aufgere ..."

      Weiter kam Mario nicht.

      »Und wo ist das Problem?«, unterbrach ihn Evelyn Bohse verständnislos.

      Es kam selten vor, dass der Kinderarzt sprachlos war. Doch das war so ein Moment.

      »Es wäre besser, wenn Sie herkämen und Ihren Sohn abholen würden«, machte er einen Vorschlag in der Hoffnung, ein paar persönliche Worte mit dieser Frau wechseln zu können. Diese Hoffnung zerstörte Evelyn mit ihrer nächsten Antwort.

      »Das kommt überhaupt nicht in Frage!«, erklärte sie ohne Zögern. »Diese Schulaufgabe ist enorm wichtig. Tommi braucht eine gute Note, sonst schafft er die Klasse nicht.«

      In diesem Moment platzte Dr. Cornelius der Kragen. Er sprach ein paar deutliche Worte über Verantwortung, Aufsichtspflicht und Kinderpsyche.

      Tatsächlich schienen seine Aussagen ihre Wirkung nicht zu verfehlen, denn eine halbe Stunde später betrat Evelyn Bohse die Notaufnahme. Doch ein Gespräch kam nicht zustande. Tatenlos musste Mario mit ansehen, wie sie ihren Sohn am Arm packte und Richtung Ausgang zerrte.

      »Ich muss unbedingt mit Fee über diesen Fall sprechen«, murmelte er auf dem Rückweg zu seiner Abteilung. »Als Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie, die sie demnächst ist, weiß sie sicher eine Lösung.«

      Er war so vertieft in seine Gedanken, dass er die Klinikchefin nicht bemerkte, die ihm auf dem Flur entgegenkam.

      »Seit wann führst du denn Selbstgespräche, mein Lieber?«, erkundigte sich Jenny Behnisch, die sich auf die Suche nach dem Leiter der Kinderstation gemacht hatte. Bevor sie die Lernschwester Carina selbst zur Rechenschaft zog, wollte sie die Meinung eines Menschen hören, der sie möglicherweise besser kannte als andere an der Klinik. »Ist alles in Ordnung?«

      Als Mario die Stimme seiner langjährigen Freundin und Chefin hörte, blieb Mario stehen. Lächelnd drehte er sich um.

      »Wenn es in Ordnung ist, dass ein Junge sich aus Prüfungsangst in die Klinik bringen lässt, Beruhigungsmittel von mir verlangt und auch noch Unterstützung von seiner Mutter bekommt ... dann ... ja, dann ist alles in Ordnung«, fasste er die Begegnung mit Tommi und seiner Mutter Evelyn knapp zusammen.

      »Oh, okay«, erwiderte Jenny und dachte kurz nach. »Über diesen Fall sollten wir mit Fee sprechen. Vielleicht weiß sie eine Lösung«, wiederholte sie Marios Gedanken. Die beiden tauschten einen verständnisinnigen Blick, ehe Jenny ihn in ihr Büro bat. »Aber ich hab da auch noch ein anderes Anliegen.« Sie bot ihm einen Platz in der gemütlichen Besucherecke an, schob die Zeitung zur Seite, die auf dem Tisch zwischen ihnen lag, und deutete auf die Schale

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