Mein Herz ist aus Stein. Michaela Lindinger

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Mein Herz ist aus Stein - Michaela Lindinger

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hatte, auf. Sie selbst behauptete in den 1890er-Jahren, sie habe »plötzlich ohne jeden Grund den Mut verloren« und sie, »die noch gestern jeder Gefahr spottete, erblickte heute eine solche in jedem Busche«. Dies sei auch der Grund, warum »ich Valerie niemals erlaubte, ein Pferd zu besteigen; ich wäre nicht fähig gewesen, die ewige Unruhe zu ertragen«.

      Der alte Kaiser, der sich seit Jahrzehnten übergangen fühlte, witterte seine vielleicht letzte Chance, Sisi sesshaft zu machen. Er wollte mehr Zeit mit seiner »süßen geliebten Seele« (»Édes, szeretett lelkem«, wie er fast alle Briefe an sie einleitete, auf Ungarisch) verbringen. Die Rolle des demütigen Bittstellers ermüdete ihn sichtlich. In der politisch sensiblen Zeit um 1866 hatte er Elisabeth geschrieben: »Jetzt hätt’ ich halt noch eine Bitt’. Wenn du mich besuchen könntest. Das würde mich unendlich glücklich machen.« Zwei Wochen später die Ernüchterung: »Komme bald wieder … wenn du auch recht bös und sekkant warst, so habe ich dich doch unendlich lieb …«. Die Jahrzehnte vergingen, der Ton blieb derselbe. Franz Joseph (58) an seine Angetraute (51), 1888: »Meine Gedanken sind viel und mit Sehnsucht bei dir. Du denkst wohl seltener an mich …«. Die beiden waren Antipoden, zwei höchst verschiedenartige Persönlichkeiten, die es trefflich verstanden, sich gegenseitig unglücklich zu machen.

      In den 1880er-Jahren machte Franz Joseph seiner Kaiserin ein – in seinen Augen – traumhaft schönes Geschenk: eine Villa im Lainzer Tiergarten, abgeschieden, umgeben von einer Mauer, wo kein Fremder Elisabeth stören konnte. 1884 erging das folgende kaiserliche Handschreiben an Hofrat Freiherrn von Mayr, den Direktor der »Allerhöchsten Privat- und Familienfonde«:

      Indem Ich die im Thiergarten nächst Lainz neuerbaute Villa sammt Nebengebäuden Ihrer Majestät der Kaiserin zum Eigenthume bestimmt habe, beauftrage ich Sie wegen Ablösung des Baugrundes und des dazugehörigen Wiesenkomplexes (…) die Verhandlung zu pflegen und (…) haben Sie Sorge zu tragen, dass sowohl die Villa (…) als auch der Grundkomplex unmittelbar als Eigenthum Ihrer Majestät der Kaiserin bücherlich eingetragen werde.

      Ganz auf die Bedürfnisse seiner »sekkanten« Elisabeth sollte das Haus zugeschnitten sein. Hatte er Erfolg? Gefiel die Villa der kapriziösen Ehefrau? Ihre Reaktion war eher verhalten, doch schienen ihre positiven Gefühle für die Umgebung des Gebäudes von Herzen zu kommen:

      Titania wandelt unter hohen Bäumen,

      Mit weissen Blüten ist ihr Weg bestreut;

      Die Buchen rings, die alten Eichen keimen,

      Es scheint der Wald ein Dom dem Mai geweiht.

      Ein Dom durchweht von märchenhaften Träumen,

      Ein Zauberort verborgen und gefeit;

      Maiglöckchen läuten duftend süße Lieder,

      Und goldne Falter schweben auf und nieder.

      Die weisse Hirschkuh folgt Titanias Schritten,

      Nicht flieh’n die wilden Mouffelins vor ihr,

      Eichhörnchen ist vom Stamm herabgeglitten

      Und grüsst die Königin im Forstrevier.

      Der scheue Kuckuck ist nicht abgeritten

      Lauscht sie doch täglich seinem Rufe hier;

      Die wilde Taube girret im Gezweige,

      Und goldig geht ein Maientag zur Neige.

      Im Mondlicht ruht Titania gern, dem blassen,

      Ihr Lieblingsreh schaut dann zu ihr empor,

      Wie ihre Arme zärtlich es umfassen;

      Den wilden Eber krault sie hinterm Ohr;

      Doch nie und nimmer werden zugelassen,

      Die draussen an des Zauberwaldes Thor,

      Um Einlass fleh’n mit Schreien und mit Scharren,

      Die alten Esel und die jungen Narren.

      Sie war fast 50 Jahre alt, als ihr die Hermesvilla zum Geschenk gemacht wurde. Ein Buch mit sieben Siegeln blieb Elisabeth für ihren Ehemann, er ahnte nichts von ihren Dichtungen, er verstand sie einfach nicht. Die beiden lebten in grundverschiedenen geistigen Welten.

      Eine Frau um die fünfzig im 19. Jahrhundert

      Frauen hatten bis ins 18. Jahrhundert wegen ihrer geschlechtsspezifischen Gefährdungen durch Schwangerschaften, Geburten und Kindbett, Unterleibserkrankungen und wegen der schlechteren Ernährung im Vergleich zu den Männern eine deutlich geringere Lebenserwartung als diese. Königinnen und Kaiserinnen bildeten keine Ausnahmen, gerade ihre Aufgabe war es ja, Nachkommen am laufenden Band zu produzieren. Franz Josephs Vorvorgänger Kaiser Franz zum Beispiel war viermal vor den Traualtar getreten, zwei Frauen starben im Kindbett, eine von ihnen hatte in 17 Ehejahren zwölf Kinder geboren. Noch um 1880 betrug die Lebenserwartung von Frauen durchschnittlich nur etwa 40 Jahre.

      In diesem Alter hatte eine veritable Midlife-Crisis Elisabeth erfasst. Sie war ruhelos und suchte nach einer sie ausfüllenden Beschäftigung, einem »Sinn«. Sollte sie in der Hermesvilla herumhocken und Däumchen drehen? Mit 50 war ihre Schönheit im Schwinden, Sport war Mord, Krankheiten quälten sie als Folge ihres ungesunden Lebensstils. Die fünffache Großmutter – ihre Tochter Gisela hatte vier Kinder zur Welt gebracht, Sohn Rudolf war Vater einer Tochter – hatte schon zehn Jahre zuvor für sich festgestellt: »Ein Mensch von vierzig Jahren löst sich auf, verfärbt sich, verdunkelt sich wie eine Wolke.« Ende der 1880er-Jahre hatte sie ihre Entscheidung getroffen:

      Es gibt nichts »Grauslicheres«, als so nach und nach zur Mumie zu werden und nicht Abschied nehmen zu wollen vom Jungsein. Wenn man dann als geschminkte Larve herumlaufen muß – Pfui! Vielleicht werde ich später immer verschleiert gehen, und nicht einmal meine nächste Umgebung soll mein Gesicht mehr erblicken.

      Dass Elisabeth nicht alt werden wollte, hatte nur marginal mit Eitelkeit zu tun. Sie konnte sehr wohl »Abschied nehmen vom Jungsein«. Vielmehr fürchtete sie sich vor einem ereignislosen Leben, vor Langeweile, davor, dass ihr ein großes Erlebnis, auf das sie ihr ganzes Leben lang gewartet hatte, versagt geblieben sein könnte. Dieses für die Epoche typische Lebensgefühl fasste der vor allem von Frauen viel gelesene, damals sehr »moderne« französische Romancier Paul Bourget wie folgt zusammen: »Der Becher, den uns das Leben hinhält, hat einen Sprung. So empfinden wir im Besitz den Verlust; im Erleben das stete Versäumen.«

      Es waren jene wenigen Jahre vor 1889, in denen sie ihre letzten »lichten«, also hellen, Kleider trug. Bald sollte sie vor ihren Kleiderschränken stehen und ihre Garderobe durchmustern. Alles Farbige wurde aussortiert und verschenkt, Hüte, Tücher, Kleider, Schirme, Handschuhe …

       7 »Johanneshaupt« (um 1890) aus Elisabeths Besitz, Ausstattungsstück der Hermesvilla

      Im Entrée in der Hermesvilla fallen die düsteren Deckengemälde und Ausstattungsgegenstände auf, die ihr Leben bald ausschließlich bestimmen sollten. Der Wiener Publizist Gunther Martin sprach davon, dass Elisabeth in dieser Zeit wie eine Figur »aus den Bildern Gustave Moreaus schimmerte«. Moreau brillierte in den 1870er-

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