Mein Herz ist aus Stein. Michaela Lindinger

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Mein Herz ist aus Stein - Michaela Lindinger

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Sie hatte Schwierigkeiten mit einem weiblichen Dasein, das sie nicht ausfüllen und ausleben konnte. Ende des 19. Jahrhunderts waren für eine Frau ihres Alters Rückzug und Unauffälligkeit vorgesehen. Für geistig interessierte Frauen, die sich in Gegenwart der Enkel und Urenkel fast zu Tode langweilten, sah die Epoche keine Identifikationsmodelle und keine Role-Models vor. Elisabeth klagte über ihre Vereinsamung, stellte jedoch auch fest: »Zum Paradies ward die Verlassenheit.«

      In der Mitte des Lebens sah sie endlose Jahre vor sich, welche sie mit schnellen Schritten und langen Fahrten zu bewältigen suchte. Es waren letzten Endes Reisen ins Schweigen und Vergessen. Ihre langjährige Vertraute Marie Festetics, die mit Andrássy befreundet war und sie in Fragen der ungarischen Außenpolitik beraten hatte, charakterisierte die ältere Elisabeth treffend:

      Da kamen viele gute Feen und legten ihr eine schöne Gabe in ihre Wiege, Schönheit, Lieblichkeit, Anmut, Vornehmheit, Einfachheit, Güte, Demut, Geist, Witz, Schalkhaftigkeit, Scharfsinn und Klugheit. Dann aber kam die böse Fee und sagte: Alles hat man Dir gegeben, wie ich sehe, alles. (…) Ich gebe Dir nichts. Ich nehme Dir aber ein hohes Gut (…) das Maßhalten in Deinem Tun, Treiben, Denken, Empfinden. Nichts soll Dir zur Freude werden, alles sich gegen Dich kehren, selbst Deine Schönheit soll Dir nur Leid schaffen.

      In ihrer unmittelbaren Umgebung, am Wiener Hof, war Elisabeth schon lange äußerst unbeliebt. Der Hochadel hasste sie seit dem Augenblick, als ihr Einsatz für Ungarn öffentlich wurde. »Die ungarische Dame« wurde sie genannt – eine große Auszeichnung in Ungarn, eine eindeutige Beschimpfung in Wien. Ihre magyarischen Hofdamen wie die erwähnte Marie Festetics konnten mit niemandem außer der Kaiserin sprechen, da die Mutter des Kaisers sie mit Nichtachtung strafte und die Hofgesellschaft diesem Beispiel folgte – galt doch Sophie bis zu ihrem Ableben, und auch noch darüber hinaus, den meisten als »wahre Kaiserin«. Die Ablehnung der Alteingesessenen provozierte in Elisabeth Unverschämtheit, Unkonventionalität, »Unmöglichkeit«. Immer dieses Lesen – was für eine Zeitverschwendung! Sie war durchaus geistreich, dadurch galt sie als »emanzipiert« – ein Schimpfwort. Sie war kulturell sehr interessiert – das fiel unangenehm auf, noch dazu bei einer Frau. Geistvoll – ein Synonym für liberal.

      Im Volk schwächelte die Zuneigung zu Elisabeth auch langsam, aber dafür umso bestimmter. Niemals würden die Wienerinnen und Wiener ihr verzeihen, dass sie ihre Schaulust nicht zu befriedigen gedachte: Karfreitagsprozession, Fronleichnamsfest, Maikorso … – bei allen Großereignissen im Jahreslauf glänzte die Monarchin durch Abwesenheit. Man wartete schon regelrecht auf die kleine Notiz in den Zeitungen, wonach ein »plötzliches Unwohlsein Ihre Majestät ergriffen« habe oder sie »zur Erholung aufs Land reisen« musste. Sie kümmerte sich mit fünfzig längst nicht mehr darum, etwas von dem verstehen zu wollen, was um sie herum vorging. Mit Schirm, Fächer und Schleier verschwand sie aus der Öffentlichkeit. Etwas Seltsames, Fremdes, schwer zu Deutendes schien von ihr auszugehen, etwas, das die Fantasie schon der Zeitgenossen anregte. Man versuchte sie zu deuten und missdeutete sie. Der Wiener Schriftsteller und spätere Filmproduzent Felix Dörmann verfasste in der Nachfolge von Charles Baudelaire die Gedichtsammlung »Neurotica« (1892). Elisabeth mochte Baudelaire. Seine Frauenschilderungen entsprachen ihren Selbstbildern: geisterhafte, flüchtige Wesen, Töchter der vom ermüdenden Duft der Tuberosen durchzogenen Décadence. Möglicherweise schwebte Dörmann das Bild der ihren Untertanen so fernen Elisabeth vor, als er diese Verse zu Papier brachte:

      Ich liebe, was niemand erlesen,

      Was keinem zu lieben gelang:

      Mein eigenes, urinnerstes Wesen

      Und alles, was seltsam und krank.

      IV Refugium im Wienerwald — Die Hermesvilla

      Im mailich ergrünenden Walde

      Da steht ein verzaubertes Schloss

      Auf blumendurchwucherten Halde

      Ruht träumend das Wild in dem Moos.

      »Titanias Zauberschloss« nannte die Kaiserin das für sie vorgesehene Altersdomizil. Als Alternative zu Hofburg und Schönbrunn war sie gedacht, die neue, im romantischen Historismus erbaute Landvilla mitten im Lainzer Tiergarten. Nicht allzu weit von der Stadt und der Sommerresidenz Schönbrunn entfernt, trotzdem ruhig und mitten im Grünen. Bei der Planung orientierte man sich nicht an imperialen Prunkbauten, sondern an jenen Sommersitzen in Reichenau an der Rax oder im Salzkammergut, die sich die vermögenden Fabrikanten und reichen Bankiers der Ringstraßenzeit in großer Zahl errichten ließen. Zum 50-jährigen Regierungsjubiläum Franz Josephs – Elisabeth war schon tot – konnte man in einer der zahllosen Jubelbroschüren unter anderem über das »wundersame Buen-Retiro unserer unvergesslichen Kaiserin« lesen, dass es »keineswegs das Bild des Landsitzes eines wohlhabenden Privatmannes überschreitet«.

       12 Friedrich Pontini: Die Hermesvilla mit der Penzinger Wiese, 1910

      Im »Thier- und Saugarten«

      Der »mailich ergrünende Wald« bei Lainz war seit Jahrhunderten als Jagdgebiet genutzt worden. Es sollte noch lange dauern, bis das Wild »träumend im Moos« ruhen konnte, denn im »Wienner Waldt«, wie er genannt wurde, waren die Wildtiere einst ausschließlich zur Bejagung bestimmt. Schon die frühen Habsburger genossen die Jagd als Freizeitvergnügen, allein oder mit adeligen Gästen. Um die Erhaltung der Bäume war man im Mittelalter bereits in Sorge, nicht jedoch etwa, weil das Holz zu langsam nachwuchs oder der Bedarf nicht gedeckt werden konnte, sondern weil der Wald nur als Lebensraum des Wildes von Bedeutung war. Die Babenberger hatten zuvor sogar das Aufstellen von Bienenstöcken im Wald untersagt, weil die stechenden Insekten das Wild vertreiben könnten.

      Ab dem 14. Jahrhundert kamen in der Wiener Umgebung die ersten »Thiergärten« als typische Belustigungsorte gehobener Adelskultur auf. Je nach Wildart, die darin gehalten wurde, nannte man sie »Hirsch-« oder »Saugarten«. Umschlossen waren diese Bereiche mit Holzpalisaden und darin hielt man das Wild »auf Vorrat«, um es je nach Lust, Laune und Anlass bejagen zu können. Ein solcher Plankenzaun, zur Waldseite hin offen, reichte schon recht früh vom Kahlenbergerdorf bis nach Lainz. Beim Auhof gab es einen sogenannten Wolfsgarten, ein allseitig umzäuntes Terrain, das man sich als Fallgrube größeren Umfangs vorstellen muss. Noch im 19. Jahrhundert stellte die Wolfsjagd eine für den Schutz des Wildes notwendige Maßnahme dar. Der letzte Wolf im Lainzer Tiergarten wurde 1833 oder – je nach Quelle – erst 1846 erlegt. Im Auhof befand sich früher das Jagd- und Forsthaus des jeweiligen Regenten.

      Die aus festem Material gebaute Umfriedung des heutigen Lainzer Tiergartens kam erst Ende des 18. Jahrhunderts zustande. Der begnadete Satiriker Johann Nestroy bezeichnete das über 24 Kilometer lange Bauwerk später als »Junges der Chinesischen Mauer«. Auch die Legende vom »armen Schlucker« hat mit dem Lainzer Tiergarten zu tun. Vom niederösterreichischen Maurergesellen Philipp Schlucker (1747–1820) wird berichtet, dass er aus purer Unwissenheit die Offerte seiner Konkurrenten derart unterboten hat, dass der kaiserlichen Hofkanzlei gar nichts anderes übrig blieb, als ihn mit der Durchführung des Baues zu betrauen. Kaiser Joseph II. war mit den Arbeiten vollauf zufrieden. Er sorgte dafür, dass Schlucker so arm nicht bleiben musste, und verlieh ihm den Posten eines Waldamtsbaumeisters. Obendrein schenkte er ihm ein Grundstück in der Nähe von Baden. Auf die Zeit des Aufklärers Joseph geht auch das heute noch existierende Wirtshaus Hirschg’stemm zurück. Es war 1782 als Försterhaus erbaut worden. In den folgenden Jahrzehnten wurden dem Tiergarten immer wieder Teile aus verschiedenen Besitzungen einverleibt, bis der gesamte Waldbestand als Krongut gelten konnte. Sowohl Franz Joseph als auch

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