Mein Herz ist aus Stein. Michaela Lindinger

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Mein Herz ist aus Stein - Michaela Lindinger

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der Schwiegermutter schlichtweg egal. Oft ist zu lesen, dass das »Ultimatum« als Beweis für Elisabeths Mutterliebe zu Rudolf auszulegen sei, da der brutale Erzieher des Thronfolgers, Graf Leopold Gondrecourt, bald darauf von seinem Posten abberufen wurde. Es war definitiv die Kaiserin, die mit diesem persönlichen Einsatz die Grundlage geschaffen hatte für Rudolfs Ausbildung in ihrem Sinn, also pro Liberalismus, Antiklerikalismus, Verfassungsstaat und contra Gottesgnadentum und Absolutismus. Dennoch: Nachdem Franz Joseph das Ultimatum zähneknirschend akzeptiert hatte, ja, akzeptieren musste, um einen nie dagewesenen Hofskandal zu vermeiden – wäre doch Elisabeth einfach abgehauen, hätte er auf seine Mutter gehört und abgelehnt – kümmerte sich Sisi nicht mehr um ihre Kinder. Das Ultimatum war ihr Freibrief für Selbstständigkeit und Unabhängigkeit. In den folgenden Jahrzehnten sollte sie leben, wie und vor allem wo sie wollte.

      Etwa hundert Jahre, nachdem Elisabeth das erwähnte Johanneshaupt angeschafft hatte (1896), stellte die österreichische Autorin Judith Fischer ihre »sisi diagnose« (1994):

      in ihr posierten die wünsche als phantasmen. sie hatte nichts als ihr eigenes bild. ihre bloße anwesenheit. die verletzung des lebens. zerfallen. raubbau. reiten (manisch). halbkrepierte vögel. ein blutegelbiss. das möwen- und das delphinsiegel. gicht. männer wörtlich als aufgespannte eselshäute. ein seifenblasender engel. ein kopf in einer schüssel liegend. kraniche. aasgeier.

      Ganz offensichtlich war die Schriftstellerin von einem Besuch in der Hermesvilla inspiriert, befinden sich doch in Elisabeths Empfangsraum nicht nur die bereits erwähnte Johannesschüssel, sondern auch die »halbkrepierten Vögel«, die »Kraniche«, die »seifenblasenden Engel« und natürlich die »Aasgeier«. Bei den »Kranichen« handelt es sich um »Chinesische Sumpfvögel«, Bronzearbeiten aus China. Solche »Chinoiserien« wurden schon im 18. Jahrhundert ausschließlich für den europäischen Markt hergestellt. Die Vögel zierten die Hermesvilla seit 1886 und sind der Fernost-Mode zuzurechnen, die sich auch in anderen modischen Gegenständen wie Vasen, Fächern, Kimonos, Lackkästchen etc. manifestierte. Zwei der ursprünglich vier Kraniche sind heute in der Hermesvilla zu sehen.

       9–11 Deckengemälde im ersten Stock der Hermesvilla (Details)

      Am Plafond erkennt man die seifenblasenden Engel und die Aasgeier, die sich über kleinere »halbkrepierte Vögel« hermachen. Seifenblasen und Aasvögel sind typische Symbole der Vergänglichkeit und des Todes. Die Putti scheinen sich mit den Seifenblasen lediglich zu vergnügen, nach wenigen Augenblicken zerplatzen sie vor ihren Augen. Dieses Motiv aus dem Umkreis des »Homo bulla« gehört zum umfangreichen Themenkomplex der »Vanitas« und spielt auf die Zerbrechlichkeit des Lebens und die Unabwendbarkeit des Todes an. Die Engel sind nackt, um ihre Schutzlosigkeit und Ohnmacht hervorzuheben. Der Vergleich zwischen dem menschlichen Leben und der fragilen, äußerst kurzlebigen Seifenblase war vor allem zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert samt dem dazugehörigen moralisierenden Unterton häufig anzutreffen. Der in der Hermesvilla vorherrschende Historismus führte das Motiv neuerlich in der Ausstattungsmalerei ein.

      »Frau Ritter Blaubart’s Cabinet«

      Dass sich Elisabeth langweilte und mit ihrem Leben als Großmutter und Frau mittleren Alters nichts anzufangen wusste, zeigt sich besonders deutlich in der sogenannten »Affäre Pacher«, die sich in den Jahren 1885 bis 1887 abspielte. Viele Jahre zuvor, am Faschingsdienstag 1874, hatte sie sich verbotenerweise dazu hinreißen lassen, inkognito einen Ball zu besuchen, die Musikvereins-Redoute. Es sollte ein großer Maskenball werden, ganz Wien sprach davon. Die Kaiserin erschien in einem gelben Domino, einer rotblonden Perücke und in Begleitung der ungarischen Hofdame Ida Ferenczy, die einen roten Domino trug, also ebenfalls einen wadenlangen Umhang, ärmellos, aber mit großer Kapuze. Ursprünglich trugen italienische Geistliche einen Domino, abgeleitet vom lateinischen Wort »dominus«, der Herr. Ab dem 16. Jahrhundert verwendete man ihn aber auch, um unerkannt zu einem geheimen Rendezvous zu gelangen. Bezeichnenderweise zierte dieses Kleidungsstück nun die abenteuerlustige Kaiserin. Auf der Redoute musste Ida sie »Gabriele« nennen. Der junge Ministerialbeamte Fritz Pacher fiel dem gelben Domino positiv auf und wurde vom roten Domino zur Galerie gebracht, auf der »Gabriele« hinter ihrer schwarzen Spitzenmaske das bunte Treiben beobachtete. Als das Gespräch politische Fragen mit einbezog und die ungeschickte Elisabeth sich bei Pacher nach seiner Einschätzung des Kaiserhauses im Allgemeinen und der Kaiserin im Besonderen erkundigte, war sie enttarnt. Beide machten jedoch weiter gute Miene zum bösen Spiel. Der 26-jährige Friedrich List Pacher von Theinburg hatte den Ball wohl in der Hoffnung auf einen kleinen Flirt besucht und schob nun die Kaiserin von Österreich durch das Maskengedränge. Als das ganze Theater doch zu peinlich wurde, ließ sie ihn auf ein Zeichen von Ida Ferenczy hin stehen und verschwand in einer Kutsche. Als Pacher der verkleideten Cinderella in einem Brief auf den Kopf zusagte, dass er in »Gabriele« längst die Kaiserin erkannt hatte, stoppte Elisabeth den mit verstellter Schrift verfassten und mit falschen Poststempeln versehenen Briefverkehr, mit dem sie sich in teenagerhafter Manier ein paar Monate lang gut unterhalten hatte. In ihrer Klimakteriums-Fadesse maß sie nun, 1885, dem an sich harmlosen Scherz einer Faschingsnacht überdimensionale Bedeutung bei und suchte aus heiterem Himmel den postalischen Kontakt mit dem längst verheirateten und nach eigenen Aussagen glatzköpfigen Fritz Pacher. Dieser antwortete sogar, wimmelte sie aber gereizt ab: »Eine anonyme Korrespondenz entbehrt nach so langer Zeit des Reizes«, schrieb er. Sisi ärgerte sich über den Korb, nannte Pacher »ein ganz gemeines Beast«. Zwei Jahre später war sie noch immer nicht über die Angelegenheit hinweg und trieb einen beträchtlichen Aufwand, um Pacher eines ihrer Gedichte in gedruckter Form zukommen zu lassen. Um »keinen Verdacht auf ihre Person zu lenken«, ließ sie den Text von Mittelsleuten in Brasilien (!) aufgeben. Der Schriftsteller Egon Cäsar Conte Corti interviewte Pacher als alten Mann für seine Elisabeth-Biografie und erfuhr auf diese Weise von der Existenz des Gedichts »Das Bild des gelben Domino/Long long ago«:

      Denkst du der Nacht noch im leuchtenden Saal?

      Lang, lang ist’s her,

      lang ist’s her,

      Wo sich zwei Seelen getroffen einmal,

      Lang, lang ist’s her,

      lang ist’s her,

      Wo uns’re seltsame Freundschaft begann,

      Lang, lang ist’s her, lang ist’s her!

      Denkst du, mein Freund, wohl noch manchmal daran?

      (…)

      Ein Druck der Hand noch, und ich musste flieh’n,

      Lang, lang ist’s her, lang ist’s her!

      Mein Antlitz enthüllen durft’ ich dir nicht

      Lang, lang ist’s her, lang ist’s her!

      Doch dafür gab ich der Seele ihr Licht,

      Freund, das war mehr, ja, das war mehr!

      (…)

      Lebst du, so gieb mir ein Zeichen bei Tag,

      Lang, lang ist’s her, lang ist’s her,

      (…)

      Lass mich warten nicht mehr,

      Warten nicht mehr!

      Die »seltsame Frau«

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