Dr. Daniel Staffel 5 – Arztroman. Marie Francoise
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Und so betrat Dr. Scheibler auch jetzt mit einem freundlichen Lächeln das Zimmer von Frau Strehl. Sie richtete sich sofort ein wenig auf.
»Das ist aber lieb, Herr Dr. Scheibler, daß Sie mich heute noch besuchen«, erklärte sie, und an ihrer Stimme hörte Gerrit, daß sie wirklich Angst hatte.
Spontan setzte er sich zu ihr ans Bett und griff nach ihrer Hand.
»Schwester Alexandra sagte mir, daß Sie Kummer haben«, meinte er.
Frau Strehl nickte. »Ja, Herr Doktor, ich habe ganz schreckliche Angst vor morgen. Es ist meine erste Operation, müssen Sie wissen. Wenn ich nun nicht mehr aus der Narkose erwache? Ich bin doch schon über sechzig.«
»Aber, Frau Strehl, an so etwas sollten Sie nicht einmal denken«, entgegnete Dr. Scheibler beruhigend. »Dr. Metzler und ich haben Sie doch gründlichen Untersuchungen unterzogen. Sie haben ein kräftiges Herz, das auch nach der Operation ruhig und regelmäßig schlagen wird. Machen Sie sich nur keine Sorgen, Frau Strehl. Ich bin überzeugt, daß Sie die Operation sehr gut überstehen werden.« Er lächelte sie an. »Außerdem ist sechzig doch noch überhaupt kein Alter. Und Sie sehen sowieso mindestens zehn Jahre jünger aus.«
Die Frau errötete.
»Ach, Herr Doktor…«, murmelte sie sichtlich verlegen.
Dr. Scheibler tätschelte noch einmal ihre Hand, dann stand er auf. »Kann ich Sie jetzt allein lassen?«
Frau Strehl nickte. »Natürlich. Ihre Worte haben mir sehr geholfen, Herr Dr. Scheibler. Ich bin froh, daß Sie hier an der Klinik arbeiten. Sie sind ein so guter Mensch.«
Dr. Scheibler lächelte ihr noch einmal mit besonderer Herzlichkeit zu, bevor er das Zimmer verließ und eilig den Flur entlangging. Wenn er pünktlich in München sein wollte, dann mußte er sich jetzt aber wirklich beeilen! Trotzdem schaute er zunächst noch einmal ins Schwesternzimmer.
»Sonst noch was, Schwester Alexandra?«
Sie lächelte ihm zu. »Nein, Herr Oberarzt, im Augenblick nicht, aber an Ihrer Stelle würde ich schauen, daß ich jetzt schnell aus der Klinik komme.«
Dr. Scheibler grinste. »Worauf Sie sich verlassen können. Also dann, bis morgen früh, Alexandra.«
Der Oberarzt hatte Glück. Um diese frühe Nachmittagsstunde herrschte sowohl auf der Autobahn als auch in München nur schwacher Verkehr, so daß er trotz der Verspätung, mit der er in Steinhausen losgefahren war, pünktlich zu der Fortbildungsveranstaltung erschien. Es handelte sich dabei um einen sehr interessanten und anschaulichen Vortrag, der völlig neue Aspekte
der Chirurgie eröffnete. Die an-schließende Fachdiskussion zog sich dann ebenfalls noch hin, und so war es schon beinahe neun Uhr abends, als sich Dr. Scheibler wieder auf den Nachhauseweg machen konnte.
Durch den anstrengenden Dienst, den er am Vormittag noch gehabt hatte, und diesen doch sehr langen Abend fühlte er sich müde und fuhr deshalb wesentlich langsamer als gewohnt. Wahrscheinlich sah er nur aus diesem Grund das Kind, das am unbeleuchteten Straßenrand stand und offensichtlich versuchte, per Anhalter weiterzukommen. Dr. Scheibler hielt an, beugte sich auf die Beifahrertür hinüber und öffnete die Tür.
Ein hübscher blonder Junge streckte den Kopf herein, und Gerrit erkannte auf Anhieb, daß er kaum älter als acht oder höchstens zehn Jahre sein konnte.
»Nehmen Sie mich ein Stück mit?« fragte er, und seine Stimme zitterte dabei ein wenig.
»Wo möchtest du denn hin?« wollte Dr. Scheibler wissen.
»Zu meiner Schwester nach Innsbruck«, antwortete der Junge nach kurzem Zögern.
»Das ist aber ein ziemlich weiter Weg«, meinte Gerrit. »Und so ganz ohne Gepäck…«
»Sie müssen mich ja nicht mitnehmen, wenn Sie nicht wollen«, gab der Junge ein wenig patzig zurück, doch Dr. Scheibler vermutete, daß er dahinter nur seine Angst verbarg.
»Na, komm schon, steig ein«, erklärte Gerrig. Er würde den Jungen zur Polizei bringen, denn daß er von zu Hause ausgerissen war, stand für ihn außer Frage. Und bei den Gestalten, die sich hier überall herumtrieben, war es Dr. Scheibler lieber, dieses Kind in seinem Auto in Sicherheit zu wissen.
»Nach hinten«, befahl er, als der Junge auf dem Beifahrersitz Platz nehmen wollte.
»Meine Güte, sind Sie aber penibel«, meinte er, gehorchte jedoch.
»Ohne passenden Kindersitz dürfte ich dich eigentlich überhaupt nicht mitnehmen«, belehrte Dr. Scheibler ihn, »aber es ja nur ein kurzes Stück.«
Der Junge wurde stutzig. »Was soll das heißen?«
»Nichts von Bedeutung«, wehrte Gerrit ab, dann warf er einen raschen Blick in den Rückspiegel, doch bei der herrschenden Dunkelheit konnte er das Gesicht des Jungen nicht erkennen. »Wie heißt du denn?«
»Geht Sie gar nichts an«, grummelte der Junge.
Dr. Scheibler zuckte die Schultern. »Na gut, dann nicht.«
Er wendete und fuhr den Weg zurück, den er gerade gekommen war. Wenn er sich recht erinnerte, dann war hier irgendwo eine Polizeidienststelle. In diesem Moment begriff allerdings auch der Junge, was Gerrit beabsichtigte.
»Sie sind gemein!« rief er, als Dr. Scheibler an einer roten Ampel anhielt, dann wollte er aus dem Auto flüchten, doch die Türen waren von innen nicht zu öffnen. Seit die kleine Daniela von ihrem Kindersitz aus die Türgriffe erreichen konnte, hatte Dr. Scheibler grundsätzlich die Kindersicherung drin.
»Lassen Sie mich hinaus!« verlangte der Junge, und seiner Stimme war anzumerken, daß er den Tränen nahe war.
»Kommt nicht in Frage«, entgegnete Dr. Scheibler. »Im Augenblick kannst du es zwar noch nicht verstehen, aber irgendwann wirst du einsehen, daß es besser für dich wäre, wieder nach Hause gebracht zu werden.«
Jetzt hielt Dr. Scheibler vor der Polizeistation an. Er stellte den Motor ab, stieg aus und öffnete dann von außen die hintere Autotür. Der Junge sprang blitzschnell heraus und wollte sofort davonlaufen, doch damit hatte Gerrit schon gerechnet und hielt ihn am Arm fest. Der Kleine wehrte sich verbissen, hatte gegen den Arzt aber nicht die geringste Chance.
»Komm schon, Junge, es hilft doch nichts«, versuchte er ihn zu besänftigen. »Niemand wird dich kleinen Zwerg bis nach Innsbruck mitnehmen, und die Gefahr, daß du an jemanden gerätst, der ganz andere Dinge mit dir anstellt, ist viel zu groß, als daß ich dich einfach weglaufen lassen könnte.«
Er brachte den sich heftig sträubenden Jungen in die Polizeidienststelle.
»Na, Rudi, auch mal wieder hier«, begrüßte der Wachhabende den Jungen, dann sah er Dr. Scheibler an. »Der kleine Mann ist bei uns bereits wohlbekannt, müssen Sie wissen.« Er stand auf und kam um seinen Schreibtisch herum, dann half er Gerrit, den Jungen zu bändigen. »Komm, Rudi, Widerstand ist zwecklos. Du kennst doch das Spielchen