Mami Staffel 8 – Familienroman. Lisa Simon
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Thomas stürzte davon, als wäre ihm eine Hundemeute auf den Fersen. Jonathan sah ihm nach, schüttelte resigniert den Kopf. Schade, er konnte den Kindern einfach nicht nahe kommen. Dabei störten sie ihn wirklich nicht mehr.
Er warf einen bedauernden Blick auf die Blätter, die beschrieben werden wollten. Schade, er war so schön im Zug gewesen. Aber ein Spaziergang konnte auch nicht schaden. Wenn sein Freund nur keine unangenehme Nachricht für ihn hatte!
*
Sogar Susanne vergaß ihren Kummer. Der Platz war so unvorstellbar schön, daß man einfach nicht traurig sein konnte.
Ein gutes Stück von ihnen entfernt erstreckte sich das Meer, heute glitzerte es in verschwenderischen Farben, Violett und Lila waren dominierend, aber auch Grüntöne mischten sich darunter. Es wehte ein frischer Wind, der die Wellen aufwühlte. Spielerisch tanzten weiße Schaumkrönchen darauf.
Aber hier, in der Bucht, spürte man den Wind kaum. Eingebettet zwischen windzerzausten Sträuchern und Steinen, lag ein kleiner See. Himmel und Wolken spiegelten sich darin. Anfangs hatten die Vägel argwöhnisch die Eindringlinge gemustert, jetzt schienen sie sich nicht mehr an ihnen zu stören. Sogar Charlie hatte von dem Wasser geschlabbert, aber erst nach langem Zögern.
»Er hat noch den Salzgeschmack vom Meer auf der Zunge«, verteidigte Lea den Hund, als Thomas sich über ihn lustig machte. Aber eigentlich fühlte sich Thomas gar nicht gut, immer wieder dachte er an den Mann, der jetzt bei dieser Hitze zum Dorf marschierte, nur um zu hören, daß niemand ihn angerufen hatte. Ganz heiß wurde Thomas bei seinem schlechten Gewissen. Konnte Lea Gedanken lesen? In einem winzigen roten Bikini hockte sie neben ihm und strich über den Seetank, der auf den Steinen lag.
»Ich finde, wir sollten den Mann in Ruhe lassen. Unsere Lehrerin hat gesagt, daß man Frieden im Kleinen pflegen muß. Immer sind es die Männer, die sich nicht vertragen wollen und Ärger machen. Immer sind es Männer, die Krieg führen.«
Natürlich erwartete sie Thomas’ empörte Reaktion. Aber er sagte nichts. Manchmal waren Jungens wirklich komisch, auch mit Hannes war heute wenig anzufangen.
Fridolins Jauchzen klang in Leas Ärger hinein. Sofort lief sie zu dem kleinen Bruder, sie rannte ins Waser, es spritzte nach allen Seiten, aber Fridolin heulte nicht, er wischte sich das Wasser aus den Augen und krähte vor Vergnügen. Bekleidet war er mit einem winzigen roten Höschen, zum Anbeißen süß sah er aus.
Lea setzte sich zu ihm, plantschte ein wenig mit den Händen auf dem Wasser.
»Ich finde, er müßte doch langsam richtig sprechen, Susanne, oder?« sorgte Lea sich. Susanne saß auf dem flachen Stein, die Füße im Wasser.
»Er kann ja sprechen«, beruhigte sie das Kind. »Aber warum soll er sich groß anstrengen? Er braucht ja nur die Hand auszustrecken oder ein Ton auszustoßen, und sofort ist jemand da, der versteht, was er will.«
»Du bist also ein verwöhnter, fauler junger Mann«, stellte Lea vergnügt fest. »Sanne, du hast doch mächtig viel zum Essen mitgenommen? Ich hab nämlich jetzt schon Hunger.«
»Aber ich will vorher schwimmen«, erklärte Thomas. »In diesem Tümpel ist das aber wohl unmöglich. – Ich finde ihn toll«, setzte er schnell hinzu, als er Susannes Blick begegnete. »Ja, wirklich. Ich möchte nur so gern schwimmen. Meinst du, daß man das hier im Meer kann? Es ist doch – Flut, oder?«
Susanne blickte ängstlich auf die bewegten Wellen, die über die Steine liefen und wieder zurückflossen, wie im Spiel.
»Ich weiß nicht, Thomas.«
»Aber es ist Flut, Sanne. Und das Wasser ist hier überhaupt nicht tief.«
»Der Himmel sieht aus, als wenn er ins Meer fallen wollte. Im Märchen würde man sagen, das ist am Ende der Welt.« Laura hatte Gräser gepflückt und ließ sich jetzt neben Fridolin ins Wasser fallen. »Pu, ist mir heiß.«
»Au ja, Susanne, erzähl’ uns das Märchen von den sieben Raben. Darin geht doch das Mädchen, das ihre Brüder erlösen will, bis ans Ende der Welt.«
»Ich wollte Thomas gerade fragen, ob wir nicht zusammen schwimmen.« Aber als sie Thomas’ Augen begegnete, lächelte sie schuldbewußt. »Du hast mich natürlich durchschaut, Thomas. Ich muß mich bei dir entschuldigen. Natürlich bist du groß genug, um allein ins Meer zu gehen. Es ist nur, ich weiß über das Gewässer hier zu wenig Bescheid. Ich muß mir unbedingt die ständige Angst um euch abgewöhnen.«
»Nee, Sanne, bleib man, wie du bist«, grinste Thomas gönnerhaft. »Du bist schon in Ordnung. Ich paß schon auf mich auf. Ich hab doch nicht umsonst meinen Fahrtenschwimmer gemacht. Mir passiert schon nichts, ist doch logo.«
Sie waren so mit sich beschäftigt, daß sie den Mann nicht bemerkten, der langsam über den Weg kam. Der Weg war schmal, und oft versperrten Steine ihn, er kletterte geschickt darüber hinweg. Die kleine Gruppe ließ er dabei nicht aus den Augen.
Jonathan war unsicher, ein Zustand, der sehr neu für ihn war. Für gewöhnlich drängte er niemandem seine Gesellschaft auf, bisher hatte er das auch nicht nötig gehabt.
Er war auch nicht wütend über den Streich, den die Kinder ihm gespielt hatten.
Er wollte eigentlich nichts weiter, als mit ihnen zusammen sein. Dabei redete er sich ein, daß es die Kinder waren, die ihn interessierten.
Er sah Thomas zum Wasser gehen. Gehen konnte man es beinahe nicht nennen. Wie ein Storch stolzierte er über die Steine, als hätte er Angst, richtig aufzutreten.
Jetzt hatte der Junge den nassen Sand erreicht, eine Welle leckte über seine Füße. Jonathan sah zu Susanne hinüber, als könnte er ihre Angst spüren. Sie ließ den Jungen nicht aus den Augen, während die beiden Mädchen sich mit dem kleinen Fridolin amüsierten.
Auch Charlie bemerkte den Mann nicht. Mit seiner dicken Nase schnupperte er über den Boden und schlich zu dem windzerzausten Sanddornstrauch hinüber. Das Jagdfieber hatte ihn gepackt, er war auf Kaninchenspuren gestoßen.
Ein Schrei, ließ Jonathan herumfahren. Der Junge ruderte mit den Armen, ging unter, kam wieder hoch, stieß einen Schrei aus und versank wieder.
Susanne war aufgesprungen.
»Reg’ dich nur nicht auf«, rief Lea beschwörend. »Daß Thomas doch immer Theater machen muß.«
»Ja, wirklich, zu dämlich!« Laura schüttelte den Kopf. »Immer spielt er den Clown, der tickt ja nicht richtig, wenn er glaubt, wir fallen darauf rein.«
Susanne zauderte, sie ging zögernd in Richtung Wasser. Aber Jonathan hatte begriffen, daß das weder Theater noch ein Spiel war. Im Laufen schleuderte er die Schuhe von den Füßen, rannte los. Er merkte nicht, daß die Steine sich in seine Fußsohlen bohrten.
Im Hechtsprung landete er im Wasser, kraulte, wurde von einer Welle hochgehoben, zurückgeworfen. Jetzt schoß er unter der Welle davon.
Susanne rannte zum Ufer, die Mädchen folgten und begriffen nur zögernd, daß das kein Spiel war. Fridolin brüllte hinter ihnen her. Charlie stutzte, nur ungern ließ er sich stören. Aber selbstverständlich waren seine Menschen wichtiger als die Kaninchen. Mit wenigen Sprüngen war er bei dem Kleinen, der sich gerade