Seine Schriften zur Wissenschaftslehre. Max Weber

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Seine Schriften zur Wissenschaftslehre - Max Weber страница 30

Автор:
Серия:
Издательство:
Seine Schriften zur Wissenschaftslehre - Max Weber

Скачать книгу

das prius ist, aus welchem die Kultur des Volkes emaniert, ergibt sich nicht nur aus der oben zitierten, mehrfach wiederkehrenden Parallele zwischen der »Totalität« beim Individuum und beim Volk, sondern auch aus zahlreichen anderen Aeußerungen. Jene »Totalität« bedeutet insbesondere auch beim Volk eine einheitliche psychologische Bedingtheit aller seiner Kulturäußerungen: die »Völker« sind auch für Knies Träger einheitlicher »Triebkräfte«. Nicht die einzelnen geschichtlich werdenden und empirisch konstatierbaren Kulturerscheinungen sind Komponenten des »Gesamtcharakters«, sondern der »Gesamtcharakter« ist Realgrund der einzelnen Kulturerscheinungen: er ist nicht etwas Zusammengesetztes, sondern das Einheitliche, welches sich in allem einzelnen auswirkt, – zusammengesetzt ist – im Gegensatz zu den natürlichen Organismen – nur der »Körper« des Volksorganismus200). Die einzelnen »Seiten« der Kultur eines Volkes sind daher in keiner Weise gesondert und für sich, sondern lediglich aus dem einheitlichen Gesamtcharakter des Volkes heraus wissenschaftlich zu begreifen. Denn ihr Zusammenschluß zu einer »Einheit« ist nicht etwa bedingt durch gegenseitige »Angleichungs«- und »Anpassungs«-Prozesse, oder wie immer sonst man die durch den Allzusammenhang des Geschehens bedingten gegenseitigen Beeinflussungen alles »Einzelnen« unter sich bezeichnen will, sondern umgekehrt: der notwendig in sich einheitliche und widerspruchslose »Volkscharakter« »strebt« seinerseits stets und unvermeidlich dahin, unter allen Umständen einen Zustand der Homogenität auf und zwischen allen Gebieten des Volkslebens herzustellen201). Die Natur dieser dunklen, der vitalistischen »Lebenskraft« gleichartig gedachten Macht wird nicht zu analysieren versucht: sie ist, wie der Roschersche »Hintergrund«, eben das schlechthin letzte Agens, auf welches man bei der Analyse historischer Erscheinungen stößt. Denn wie in den Individuen das, was ihre »Persönlichkeit«, ihren »Charakter« ausmacht, den Charakter einer »Substanz« hat – dies ist ja doch der Sinn der Kniesschen Persönlichkeitstheorie –, so ist eben hier dieser Substanzcharakter ganz im Geist der Romantik auch auf die »Volksseele« übertragen, – eine metaphysische Abblassung von Roschers frommem Glauben daran, daß die »Seelen« der Einzelnen wie der Völker direkt aus Gottes Hand stammen.

      Und über den »Organismen« der einzelnen Völker steht endlich der höchste organische Zusammenhang: derjenige der Menschheit. Die Menschheitsentwicklung kann aber, da sie eben ein »organischer« Zusammenhang ist, nicht ein Nach- und Miteinander von Völkern darstellen, deren Entwickelung in den historisch relevanten Beziehungen je einen Kreislauf bildete, – das wäre ja ein »unorganisches« Hinter- und Nebeneinander von Gattungswesen, – sondern sie ist als eine Gesamtentwickelung aufzufassen, in der jedes Volk seine geschichtlich ihm zugewiesene, daher individuelle, Rolle spielt. In dieser, dem Kniesschen Buch überall stillschweigend zugrunde liegenden geschichts-philosophischen Auffassung liegt der entscheidende Bruch mit Roschers Gedankenwelt. Denn aus ihr folgt, daß für die Wissenschaft die Einzelnen ebenso wie die Völker nicht in letzter Instanz als »Gattungswesen« in ihren generell gleichen Qualitäten, sondern eben als »Individuen« in ihrer – vom Standpunkt der »organischen« Auffassung aus gesprochen: – »funktionellen« Bedeutung in Betracht kommen müssen, und wir werden sehen, daß diese Auffassung in der Tat in der Kniesschen Methodologie äußerst kräftig zum Ausdruck gelangt.

      Allein der metaphysische oder, logisch ausgedrückt: der emanatistische Charakter der Kniesschen Voraussetzungen: die Auffassung der »Einheit« des Individuums als einer real, sozusagen biologisch wirkenden »Kraft«, führte auf der andern Seite, sobald sie nicht gänzlich in anthropologisch verkleidete Mystik umschlagen wollte, mit Notwendigkeit doch auch jene rationalistischen Konsequenzen wieder in die Erörterung hinein, welche dem Epigonentum des Hegelschen Panlogismus als Erbe von dessen großartigen Konstruktionen anhaften blieben. Dahin gehört vor allem die der emanatistischen Logik in ihrem Dekadenz-Stadium so charakteristische Ineinanderschiebung von realem Kollektivum und Gattungsbegriff. Es ist, sagt Knies (S. 345) »festzuhalten, daß in allem menschlichen Leben und Wirken etwas. Ewiges und Gleiches ist, weil kein einzelner Mensch zur Gattung gehören könnte, wenn er nicht gerade so mit allen Individuen zum gemeinsamen Ganzen verbunden wäre, und daß dieses Ewige und Gleiche auch in den Gemeinwesen zur Erscheinung gelangt, weil diese die Eigentümlichkeit der Einzelnen doch immer zur Basis haben.« Man sieht: »allgemeiner« Zusammenhang und »allgemeiner« Begriff, reale Zugehörigkeit zur Gattung und Subsumtion unter den Gattungsbegriff gehen hier ineinander über. Wie von Knies die »Einheitlichkeit« der realen Totalität als begriffliche »Widerspruchslosigkeit« gefaßt wurde, so wird hier der reale Zusammenhang der Menschheit und ihrer Entwickelung doch wieder zu einer begrifflichen »Gleichheit« der in sie eingefügten Individuen. Dazu tritt nun ein weiteres: die Identifikation von »Kausalität« und »Gesetzlichkeit«, welche gleichfalls ein legitimes Kind der panlogistischen Entwickelungsdialektik und nur auf ihrem Boden konsequent durchführbar ist: »Wer die Volkswirtschaftslehre als eine Wissenschaft ansieht, der wird es keinem Zweifel unterwerfen, daß es sich in derselben um Gesetze der Erscheinung handelt. Die Wissenschaft unterscheidet sich eben so von dem bloßen Wissen, daß dieses in der Kenntnis von Tatsachen und Erscheinungen besteht, die Wissenschaft aber die Erkenntnis des Kausalitätszusammenhanges zwischen diesen Erscheinungen und den sie hervorbringenden Ursachen vermittelt und die Feststellung der auf dem Gebiete ihrer Untersuchungen hervortretenden Gesetze der Erscheinung erstrebt« – sagt Knies (S. 235). Schon nach allem, was wir im Eingang dieses Abschnittes über die »Freiheit« des Handelns, den Zusammenhang zwischen »Persönlichkeit« und Irrationalität bei Knies hörten, muß diese Bemerkung auf das äußerste erstaunen, – und wir werden alsbald bei Betrachtung seiner Geschichtstheorie sehen, daß mit jener Irrationalität strenger Ernst gemacht wird. Zur Erklärung dient eben der Umstand, daß hier unter »Gesetzlichkeit« nur das durchgängige Beherrschtsein der realen Entwickelung der Menschheitsgeschichte durch jene einheitliche, hinter ihr stehende »Triebkraft« zu verstehen ist, aus welcher alles einzelne als ihre Aeußerungsform emaniert. Der Bruch in der erkenntnistheoretischen Grundlage ist bei Knies wie bei Roscher durch jene verkümmerten und nach der anthropologisch-biologischen Seite abgebogenen Reste der großen Hegelschen Gedanken zu erklären, welche für die Geschichts-, Sprach- und Kulturphilosophie verschiedener noch in den mittleren Jahrzehnten des abgelaufenen Jahrhunderts einflußreicher Richtungen so charakteristisch war. Bei Knies ist zwar der Begriff des »Individuums«, wie nach der vorstehenden Darstellung sich vermuten läßt und wie sich bald näher zeigen wird, wieder zu seinem Rechte gelangt an Stelle des Naturalismus der Roscherschen Kreislauftheorie. Aber die in ihren Grundlagen emanatistischen Vorstellungen über seinen realen substantiellen Charakter sind mit daran schuld, daß die Kniessche Theorie den Versuch, das Verhältnis zwischen Begriff und Realität zu ermitteln, gar nicht unternahm und daher, wie wir ebenfalls sehen werden, nur wesentlich negative und geradezu destruktive Resultate zeitigen konnte202.

      Fußnoten

      1 Freilich werden wir es dabei nur mit elementaren Formen dieser Probleme zu tun haben. Dieser Umstand allein erlaubt es mir, dem die fachmäßige Beherrschung der gewaltig anschwellenden logischen Literatur naturgemäß nicht zu Gebote steht, mich mit ihnen hier zu beschäftigen. Ignorieren darf auch der Fachmann der Einzelwissenschaften jene Probleme nicht, und vor allem: so elementar sie sind, so wenig ist, wie sich auch im Rahmen dieser Studie zeigen wird, auch nur ihre Existenz allseitig erkannt.

      2 Sachlich erhebliche Aenderungen finden sich übrigens in den für uns wesentlichen Hauptpunkten bis in die spätesten Bände und Auflagen des großen Roscherschen Werkes kaum. Es ist eine gewisse Erstarrung eingetreten. Autoren wie Comte und Spencer hat er zwar noch kennengelernt, ihre Grundgedanken in ihrer Tragweite aber nicht erkannt und nicht verarbeitet. Ueber Erwarten dürftig für unsere Zwecke erweist sich insbesondere seine »Geschichte der Nationalökonomik« (1874), da für R. durchweg das Interesse daran, was der behandelte Schriftsteller praktisch gewollt hat, im Vordergrunde steht.

      3 Die nachfolgende Analyse bietet, ihrem Zweck entsprechend, selbstverständlich das Gegenteil eines Gesamt bildes von der Bedeutung Roschers. Für deren Würdigung ist auf den Aufsatz Schmollers (zuletzt gedruckt in:

Скачать книгу