Die böhmische Großmutter. Dietmar Grieser
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Eine zusätzliche Freude erwartet den Gast, der aus Österreich anreist: In Kladrub ist nichts von jenen Vorbehalten zu spüren, die noch immer in vielen Teilen des heutigen Tschechien gegenüber der »alten Zeit« gehegt werden, da hier noch der Kaiser im fernen Wien den Ton angegeben hat. »Herzlich willkommen« lese ich auf der am Eingang des Gestüts angebrachten Tafel, die den Besucher über die Besichtigungstermine informiert, und ich lese es nicht nur in Tschechisch und in Englisch, sondern auch in fehlerfreiem Deutsch.
»Dein Lachen endet vor der Morgenröte …«
Im Gegensatz zu seinem sieben Jahre älteren Bruder Carl, der auf Geheiß der Mutter einen kaufmännischen Beruf ergreift und schließlich als k.k. Staatsbuchhaltungsoffizial in Mailand sein Fortkommen findet, wendet sich Franz Xaver Wolfgang, der musikalischere der beiden Mozart-Söhne, dem väterlichen Metier zu und versucht sich als Pianist, Klavierlehrer, Chorleiter, Theaterkapellmeister und Komponist. Von Koryphäen wie Sigismund von Neukomm, Andreas Streicher, Johann Nepomuk Hummel, Johann Georg Albrechtsberger und Antonio Salieri ausgebildet, kann der sechs Monate vor Vaters Tod Geborene tatsächlich mancherlei Erfolge verbuchen: Konzertreisen führen ihn durch halb Europa, die Liste seiner eigenen Kompositionen zählt dreißig Werke. Zumindest Fleiß kann man dem Filius also nicht absprechen. Was ihm fehlt, ist der Zug zum Genialischen: Franz Xaver Wolfgang steht zeit seines Lebens im übermächtigen Schatten des Vaters. Da hilft es auch nichts, daß Mutter Konstanze ihren Letztgeborenen, als sie dessen Musikalität erkennt, in Wolfgang Amadeus umbenennt.
Eines allerdings hat »Wowi«, wie er als Kind gerufen wird, dem berühmten Vater voraus: Während dieser, knapp sechsunddreißigjährig am »hitzigen Frieselfieber« verstorben, sich mit einem Begräbnis dritter Klasse begnügen muß und in einem Schachtgrab des Wiener Vorstadtfriedhofs St. Marx beigesetzt wird, von dem man bis heute nicht einmal die genaue Lage weiß, erhält Franz Xaver Wolfgang eine standesgemäße Beerdigung, und auch der Grabstein, den die ihm befreundete, drei Jahre ältere Baronin Josephine Cavalcabo, geb. Gräfin Castiglioni, in Auftrag gibt, rückt die Verdienste des Verblichenen ins rechte Licht. Die Inschrift, ursprünglich von keinem Geringeren als dem Dichter Franz Grillparzer entworfen, vor der endgültigen Ausführung durch den Steinmetz jedoch leicht abgewandelt, lautet:
»Wolfgang Amadeus Mozart, Tonkünstler und Tonsetzer, geb. 26. Juli 1791, gest. 29. Juli 1844, Sohn des großen Mozart, ähnlich dem Vater an Gestalt und edlem Gemüte. Der Name des Vaters ist seine Grabschrift, so wie seine Verehrung des ersteren der Inhalt seines Lebens war. «
Ort des funeralen Geschehens ist Karlsbad. 1835 hat Mozart junior in Begleitung Frédéric Chopins das erste Mal den renommierten böhmischen Kurort aufgesucht; jetzt, am 17. Juni 1844, trifft er an der Seite seines Lieblingsschülers, des achtzehn Jahre alten Pianisten Ernest Pauer, als Kurgast Nr. 1032 in Karlsbad ein. Doch der Dreiundfünfzigjährige, seit zwei Jahren Vollwaise, ist bereits zu hinfällig, als daß es noch ärztliche Hilfe für ihn gäbe: Sechs Wochen nach seiner Ankunft stirbt er an Magenverhärtung und wird am 1. August auf dem Andreas-Friedhof zu Karlsbad beigesetzt. Musiker der Kurkapelle begleiten den Trauerkondukt, Sänger des örtlichen Musikvereins intonieren einen Choral, in der Stadtkirche wird noch am nämlichen Tag Vater Mozarts Requiem aufgeführt. So wie Grillparzer von seiner in Karlsbad zur Kur weilenden Freundin Kathi Fröhlich die Sterbenachricht erhält, gedenkt er des »guten Sohnes« mit einem eilends verfaßten achtstrophigen Gedicht.
Als der Andreas-Friedhof zwanzig Jahre später aufgelassen und 1913 in einen öffentlichen Park umgewandelt wird, erinnert man sich des berühmten Namensträgers und restauriert das in klassizistischer Manier gestaltete Grabmal, das bis heute von jener inzwischen hochaufragenden Esche behütet wird, die noch die vorerwähnte Baronin Cavalcabo gepflanzt hat. Böhmen, das schon dem Vater des Verstorbenen so viel bedeutet, ja ungleich mehr an Verehrung entgegengebracht hat als dessen Sterbeort Wien, erweist sich also auch des Sohnes würdig und tut dies nach wie vor: Kein Kurgast, der auf seinen Karlsbader Spaziergängen nicht auch einen Abstecher zum heutigen Mozartpark unternähme.
Mozart selbst kommt schon als Knabe von elf Jahren mit dem Nachbarland in Berührung. In Wien ist eine Pockenepidemie ausgebrochen; die Familie will der Ansteckung entgehen, indem man für eine Weile nach Brünn ausweicht. Das Gesundheitliche klug mit dem Pekuniären verbindend, soll die Reise in die mährische Hauptstadt auch gleich dazu genutzt werden, den dortigen Musikfreunden das Klaviertalent von Wolferl und Nannerl vorzuführen. Doch der eigentliche Zweck des Unternehmens wird verfehlt: Als Leopold Mozart und die beiden Kinder in Olmütz, der zweiten Station ihrer Reise, eintreffen, sind auch sie längst infiziert und müssen – unter der Obhut des Prälaten Leopold Anton Graf Podstatsky-Lichtenstein – im Gebäude der Kapiteldechantei in ärztliche Pflege gegeben werden. Zehn Wochen nimmt die Kur in Anspruch, dann kehren die Mozarts per Postkutsche nach Wien zurück.
Daß bis zu Mozarts erster Reise nach Prag fast zwanzig Jahre verstreichen werden, wird durch den schier überbordenden Enthusiasmus wettgemacht, der dem nunmehr Einunddreißigjährigen in der böhmischen Hauptstadt entgegenschlägt. Den Boden dafür bereitet hat der große Erfolg seiner Oper »Die Entführung aus dem Serail«, die die »Schau- und Singspielgesellschaft« des Impresarios Carl Wahr anno 1783 im Theater auf dem Carolinplatz aufgeführt hat. Jetzt, im Dezember 1786, ist es die Truppe des Theaterdirektors Pasquale Bondini, die die Prager Musikwelt mit »Figaros Hochzeit« in einen Taumel des Entzückens versetzt. In allen Gassen und Gärten kann man die Leute »Figaro«-Melodien singen hören, kein Straßenmusikant darf auf einen Obolus hoffen, wenn er nicht das »Non più andrai« in seinem Repertoire hat, und die Ballorchester plündern Mozarts Partitur, indem sie deren »Hits« in Contretänze umwandeln, zu deren Klängen die feine Gesellschaft das Tanzbein schwingt. Es ist übrigens nicht nur die sprichwörtliche Musikalität der Böhmen, die sie so sehr für Mozart einnimmt, sondern hat auch versteckte politische Gründe: Die unverhohlen kritischen Töne, die in Lorenzo da Pontes Libretto anklingen, hört niemand klarer heraus als die aufmüpfigen Prager, die sich von Wien im allgemeinen und von den Habsburgern im besonderen unterjocht fühlen und daher für jedes kleinste Zeichen des Aufbegehrens gegen höfische Konvention empfänglich, ja dankbar sind.
In dieser Situation allgemeiner Prager Mozart-Seligkeit mehren sich die Stimmen, die auf einen persönlichen Besuch des Meisters in der Stadt seiner Triumphe drängen. Johann Joseph Anton Graf von Thun ist es, der die Einladung ausspricht; in seinem Palais auf der Prager Kleinseite läßt er das Logis für den hohen Gast und dessen Begleitung herrichten. Am 11. Jänner 1787, einem kalten Wintertag, treffen Mozart, Gattin Konstanze, deren künftiger Schwager Franz Hofer, die Violinvirtuosin Anna Antonia Crux, der Klarinettist Anton Stadler und der Geiger Kaspar Ramlo nach dreitägiger Fahrt in Prag ein. Auch Mozarts Diener Joseph und das geliebte Hündchen Gauckerl sind mit von der Partie – man reist in zwei Kutschen an. Die Reisegesellschaft ist bester Laune, man scherzt und gibt einander die übermütigsten Spitznamen: Aus Wolferl wird Punkitititi, aus Konstanze Schabla Pumfa.
Gleich nach der Ankunft werden die Mozarts von ihren Gastgebern auf einen Faschingsball »verschleppt«; während des vierwöchigen Aufenthalts folgen Visiten in der Bibliothek der Jesuiten und im Physikalischen Kabinett im Klementinum Begegnungen mit Mitgliedern der Prager Freimaurerlogen sowie vor allem der Abschluß eines Vertrages mit Theaterdirektor Bondini, der Mozart zur Komposition einer neuen Oper verpflichtet (die dann der »Don Giovanni« sein wird).
Jetzt aber geht es erst einmal darum, das anhaltende Prager »Figaro«-Fieber zu nutzen. Beehrt der Meister die Vorstellung vom 17. Jänner bloß mit seiner Anwesenheit (wofür ihn das Publikum, als es seiner gewahr wird, mit Jubelrufen überschüttet), so tritt Mozart drei Tage darauf auch selbst in Aktion und dirigiert vom Cembalo aus Orchester und Bühne. Eigentlicher Höhepunkt seines ersten Prag-Aufenthaltes ist jedoch die »Musikalische