Die böhmische Großmutter. Dietmar Grieser

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Die böhmische Großmutter - Dietmar Grieser

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»Zum Schlusse phantasierte Mozart auf dem Pianoforte eine gute halbe Stunde und steigerte dadurch den Enthusiasmus aufs höchste, so daß er gezwungen war, sich nochmals ans Klavier zu setzen. Der Strom dieser neuen Phantasie wirkte noch gewaltiger und hatte zur Folge, daß er von den entbrannten Zuhörern zum dritten Male bestürmt wurde. Mozart erschien, und innige Zufriedenheit strahlte aus seinem Antlitz. «

      Erst Mitte Februar treten der Meister und die Seinen die Heimreise an – tiefbeglückt von den Sympathiebezeugungen der Prager Musikfreunde. Auch über den neuen Opernauftrag freut er sich, wenngleich die 100 Dukaten, die man als Gage vereinbart hat, nicht gerade ein fürstliches Honorar zu nennen sind …

      Wien zeigt sich von den Erfolgsmeldungen aus Prag wenig beeindruckt: Hier setzt man nach wie vor auf den herkömmlichen italienischen Opernstil. Als neuer Halbgott tritt außerdem Karl Ditters von Dittersdorf auf den Plan, der einen Singspielauftrag nach dem anderen einheimst. Mozart fühlt sich zurückgesetzt. Auch der wachsende Schuldenberg sowie der plötzliche Tod des Vaters verdüstern sein Gemüt. Da sind es vor allem die glücklichen Erinnerungen an Prag, die ihm neue Kraft zuführen: Der Einunddreißigjährige macht sich an die Arbeit, das bestellte Werk zu kreieren. Lorenzo da Ponte, der ihm dazu das Libretto liefern soll, bittet allerdings um Geduld: Er muß zuvor noch die Texte für zwei andere Opern zu Papier bringen, darunter Antonio Salieris »Assur Re d’Ormus«. Um den »Don Giovanni«-Stoff zu bewältigen, ist da Ponte außerdem auf die Zuhilfenahme von Stimulanzien angewiesen:

       »Ein Fläschchen Tokayer zur Rechten, in der Mitte mein Schreibzeug, eine Dose mit Tabak von Sevilla zu meiner Linken. Ein sehr schönes sechzehnjähriges Mädchen, die ich nur gleich einer Tochter lieben wollte, aber – wohnte in meinem Hause, besorgte die häuslichen Geschäfte und kam sogleich in mein Zimmer, wenn ich die Glocke schellte, und dies geschah in Wahrheit sehr oft, wenn ich merkte, daß mein poetisches Feuer erkalten wollte …«

      Anfang Juni kann Mozart darangehen, da Pontes Libretto zu vertonen. Nach vier Monaten ist der Hauptteil vollendet; nur die Ouvertüre, die Tafelmusik fürs Finale des zweiten Aktes, das Duett Zerline-Masetto und die Arie des aufbegehrenden Maset-to hebt er sich für Prag auf. Denn inzwischen steht für ihn fest, daß er ein weiteres Mal in die böhmische Metropole reisen wird – und nicht nur, um dort den »Don Giovanni« persönlich aus der Taufe zu heben, sondern auch, um das Werk in der ihm so zuträglichen Umgebung zu vollenden. Diesmal ist nur Frau Konstanze an seiner Seite. Die Vierundzwanzigjährige befindet sich erneut »in gesegneten Umständen«, der drei Jahre alte Sohn Carl wird zur Pflege nach Perchtoldsdorf verbracht.

      In Prag ist unterdes alles für das Wohl der Gäste Nötige vorbereitet: Josepha Duschek, Tochter des wohlhabenden Apothekers Anton Adam Hambacher und Gattin des angesehenen Musikpädagogen Franz Xaver Duschek, macht es sich zur Ehre, den Meister aus Wien zu beherbergen, und stellt Mozart sowohl das Haus »Zu den drei goldenen Löwen« auf dem Kohlmarkt wie ihren Landsitz an einem der Hügel der Vorortgemeinde Smíchov, die berühmte »Bertramka«, zur Verfügung. Man kennt einander seit Jahren: Im Sommer 1777 sind die frischvermählten Duscheks zu einem Verwandtenbesuch nach Salzburg gereist und haben bei dieser Gelegenheit den Mozarts ihre Aufwartung gemacht. Im Tanzmeistersaal von Vater Leopold Mozarts Salzburger Wohnung hat Josepha Duschek, eine anerkannte Sängerin und temperamentvoll-übermütige Person, ihren schönen Sopran erklingen lassen, und bei einem Wiedersehen in Wien hat Mozart die drei Jahre Ältere sogar am Klavier begleitet, als sie bei einer Akademie im Burgtheater auftrat.

      Nun also, im Herbst 1787 – die Premiere des »Don Giovanni« ist auf den 29. Oktober festgesetzt – ist Josepha Duschek Mozarts Prager Gastgeberin: In der Stille ihres Weinberg-Retiros vor den Toren der Stadt soll der Meister letzte Hand an die noch unfertige Partitur legen. Zwei Zimmer sind für ihn und Konstanze bereitgestellt, und wenn es bei den nächtlichen Gelagen im Weinkeller beim Tempelgäßchen spät wird (denen mitunter noch eine aufmunternde Einkehr beim Kaffeesieder an der alten Karlsbrücke folgt), legt Mozart den weiten Weg zur »Bertramka« zu Fuß zurück. Sucht er die Nähe seines Librettisten, um mit diesem die noch strittigen Fragen des Textbuches zu erörtern, weicht Mozart auf die Stadtwohnung im Haus »Zu den drei goldenen Löwen« aus: Da Ponte logiert – gleich gegenüber – im Hinterhaus des Gasthofes »Zum Platteis«.

      Die Zeit drängt: Selbst am Nachmittag des Premierentages liegen die Noten für die Ouvertüre noch nicht fertig vor; die Musiker sind darauf vorbereitet, vom Blatt spielen zu müssen. Im Notfall, so verlautet, werde man an Stelle der »Don Giovanni«-die »Idomeneo«-Ouvertüre einschieben.

      Ja, es ist wahr: Mozart läßt sich allzu leicht von der Arbeit ablenken – überhaupt hier in Prag, wo sich so viele um seine Gesellschaft reißen. Auch Hausherrin Josepha Duschek stiehlt ihm eine Menge Zeit – etwa, um ihm eine ihr gewidmete und auf ihre Gesangsstimme zugeschnittene Konzertarie abzuringen. Ja, die stets zu Scherzen aufgelegte Person schreckt nicht einmal davor zurück, den Meister in einem Pavillon ihres Gartens einzusperren und erst wieder freizulassen, wenn er mit dem fertigen Notenblatt vor sie hintritt. Mozart rächt sich, indem er das betreffende Werk – es handelt sich um das berühmte »Bella mia fiamma, addio« – in Intonation und Technik extrem schwierig anlegt und die Übereignung des Manuskripts davon abhängig macht, daß Josepha sich imstande zeigt, die Arie auf der Stelle fehlerfrei vom Blatt zu singen. Andernfalls werde er die Noten vernichten …

      Doch zurück zum »Don Giovanni«. Die Uraufführung findet wie vorgesehen am 29. Oktober 1787 statt. Mozart dirigiert nach der handschriftlichen Partitur. Schon die Ouvertüre läßt das Publikum in »lautes Lobjauchzen« ausbrechen. Der Berichterstatter der k.k. Prager Oberpostamtszeitung überschlägt sich in Superlativen:

       »Kenner und Tonkünstler sagen, daß zu Prag ihresgleichen noch nicht aufgeführt worden. «

      Ganz anders in Wien. Obwohl Mozart nach seiner Rückkehr die Partitur unverzüglich dem Kopisten übergibt, verstreichen über sechs Monate, bis das Hofburgtheater mit der Zweitaufführung nachzieht. Und obwohl diesmal zum Einstudieren reichlich Zeit ist, fällt der »Don Giovanni« in Wien durch. Lorenzo da Ponte, nicht minder irritiert als der Komponist, holt dazu die Meinung des Kaisers ein. Und wie urteilt Seine Majestät? »Die Oper ist köstlich, ist göttlich, vielleicht selbst besser als der ›Figaro‹, aber sie ist keine Speise für die Zähne meiner Wiener.« Mozarts lakonische Replik: »Man soll ihnen nur Zeit lassen, sie zu kauen.«

      Wer sich ebenfalls reichlich Zeit läßt, den »Don Giovanni« zu »kauen«, sind die Dichter. 68 Jahre nach der Uraufführung von Mozarts dramma giocosa erscheint im »Morgenblatt für gebildete Stände« Eduard Mörikes Novelle »Mozart auf der Reise nach Prag«. Der schwäbische Romantiker, für den »Don Giovanni« die »Oper aller Opern«, ja überhaupt das Nonplusultra großer Musik ist, läßt den Komponisten und Gattin Konstanze auf dem Weg von Wien nach Prag in einem südböhmischen Landschloß – es ist vermutlich der Besitz der Grafen Buquoy in Gratzen, dem heutigen Nové Hrady – Zwischenstation machen und in eine kultivierte adelige Gesellschaft geraten, die des Meisters Genius enthusiastisch huldigt. Vom Gärtner dabei ertappt, wie der Fremde im gräflichen Park gedankenverloren eine Orange vom schönsten Pomeranzenbäumchen pflückt, wird er vom Hausherrn ins Schloßinnere gebeten und nach Klärung seiner Identität eingeladen, der heiteren Runde aus seinem fast fertigen Werk vorzuspielen. Der Eindruck ist gewaltig: Als der Choral »Dein Lachen endet vor der Morgenröte« erklingt, macht sich unter Mozarts Zuhörern höchste Bewunderung, zugleich aber auch tiefstes Erschrecken breit: Man glaubt aus dem Vernommenen Todesahnung herauszuhören. Insbesondere Eugenie, der Nichte des Schloßherrn, die an diesem Tag ihre Verlobung feiert, wird es zur Gewißheit, »daß dieser Mann sich schnell und unaufhaltsam in seiner eigenen Glut verzehre, daß er nur eine flüchtige Erscheinung auf der Erde sein könne, weil sie den Überfluß, den er verströmen würde, in Wahrheit nicht ertrüge«.

      Ein Jahrhundert später nimmt sich ein weiterer Schriftsteller des Stoffes an – es ist der deutschböhmische Erzähler Louis Fürnberg. Er geht, was das Fiktive seiner »Mozart-Novelle«

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