Zeit für Liebe. Diana Richardson
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Eine heilende Kraft
Diese tantrische Dimension öffnet sich uns ganz natürlich und zufällig, wenn wir als Liebespaar entspannt, offen und füreinander da sind, oder frisch verliebt oder vielleicht umgeben vom prächtigen Grün der Natur. Viele von uns haben diese magische Erfahrung gemacht, wenn ein Augenblick sich wie der Himmel anfühlt. Ich erinnere mich, dass es mir spontan in Indien so ging, während eines intensiven Monsunregens am Abend. Das Donnern und die Sturzbäche gaben mir das Gefühl, in einen Wirbelwind von Intensität eingebettet zu sein. Ich lag mit meinem langjährigen Partner zusammen in einem großen Bambusbett, als die Zeit plötzlich stillstand und wir uns wie ein Körper bewegten, leidenschaftlich und ziellos, bewusst im sich entfaltenden Augenblick versunken. Ich war wie golden und fließend, stundenlang ekstatisch erfüllt von Liebe und hatte keine Ahnung, wie ich dorthin gekommen war. Durch Tantra habe ich jetzt bewusst einen Zugang zu dieser geheimnisvollen Dimension des Augenblicks, nicht mehr nur aus Versehen oder durch Zufall.
Ein Großteil unserer Probleme, Ängste, unseres Unglücks, sogar unserer Krankheiten beruhen auf sexuellen Themen. Wenn wir Sexualität wertschätzen lernen, indem wir unser Bewusstsein miteinbeziehen, so wie es von Natur aus gewollt ist, entdecken wir, dass Sex eine heilende, spirituelle Kraft ist. Und überraschenderweise lässt das sexuelle Interesse mit der Zeit nicht nach, wie es sonst bei Paaren üblich ist. Ganz im Gegenteil, die Anziehung nimmt zu.
Die sexuelle Erfahrung wird mit der Zeit feiner und subtiler, die Genitalien lernen, aufeinander mit einer neuen, sich ausdehnenden „Intelligenz“ zu reagieren. Tantra verbannt die Dunkelheit und bringt Licht ins Leben – und das ist unser Geburtsrecht.
SCHLÜSSEL
Unsere verspannte sexuelle Konditionierung blockiert unser wahres orgasmisches Potenzial.
Entdecke beim Sex die Reise an sich und denk nicht an ein Ziel.
Entschleunigung beim Sex schafft eine zeitlose Qualität, hilft präsent zu sein.
So entdecken die Genitalien ihre ekstatische Intelligenz wieder.
POLARITÄT UND DIE POSITIVEN POLE DER LIEBE
Die größte Einsicht von Tantra, der Grundstein des Tantra sozusagen, sagt, dass männliche und weibliche Energie gleiche aber gegensätzliche Kräfte sind. Sie ziehen sich gegenseitig an und ergänzen einander, so wie Yin und Yang, dynamisch und empfänglich, positiv und negativ. (siehe Abb. 4). Daher kommt es – durch das Zusammenspiel gegensätzlicher Polaritäten, wenn
Abb. 4 Yin und Yang enthalten jeweils ihre gegensätzliche Polarität im Kern
Mann und Frau sexuell verbunden sind – in der Bioenergie der beiden Körper zu einer ekstatischen sexuellen Erfahrung. Und das geschieht, ohne dass wir etwas tun.
Die tantrische Reise beginnt, wenn wir mit den in uns angelegten männlichen und weiblichen Polaritäten Kontakt aufnehmen und mit ihnen in Verbindung treten. Dass Mann und Frau gegensätzliche Polaritäten oder Kräfte in sich haben, ist dabei wesentlich, denn es führt uns zu einer völlig neuen Sichtweise von Sexualität.
Männliche und weibliche Polarität
Unsere sexuelle Konditionierung hat leider unsere natürliche Polarität verschleiert, und Männer und Frauen haben dadurch im Verhältnis zueinander ihre Balance verloren. Wir können uns die Körper als zwei Magneten vorstellen, die die Fähigkeit haben, in Gegenwart des anderen ein anziehendes magnetisches Feld zu bilden. Statt dass die Pole glänzen und strahlen, um lebendig aufeinander zu reagieren, sind unsere Pole verrostet und verstaubt. Das stört das magnetische Feld und den Energiefluss zwischen ihnen. Dadurch, dass unsere Konditionierung uns in Richtung Orgasmus antreibt, ist es beinahe so, als hätten wir die ursprüngliche Polarität oder Ladung in unserem Körper durcheinandergebracht. Diese Störung wirkt nun wie ein Schleier und verdeckt die männlichen und weiblichen Polaritäten.
Mit anderen Worten: Die ganze Mühe und das Tun, das wir üblicherweise in unser Liebemachen investieren, bewirken so etwas wie Hitze durch Reibung – eine Überladung. Man könnte das mit einer statischen Ladung vergleichen, die die Genitalien stört, sodass die sexuelle Energie nicht durch die Polarität antworten kann. Wenn wir beim Liebemachen gegen die in den Genitalien angelegte Polarität agieren, arbeiten wir ungewollt gegen unser eigenes ekstatisches sexuelles Potenzial an.
Machen wir mit Bewusstheit Liebe, können wir uns von dieser energetischen Störung reinigen (dekonditionieren), und unsere Körper werden nach und nach und sehr dankbar zu ihren eigenen männlichen und weiblichen Polaritäten zurückkehren. Die Männer beginnen ihre wahren männlichen Qualitäten zu spüren und die Frauen ihre wahren weiblichen.
Wir sind uns eigentlich nicht bewusst über das Falsche oder die Störung in unseren Polaritäten, weil wir uns so lange in diesem desolaten Zustand befunden haben. Aber es ist heute offensichtlich, dass Frauen immer härter und männlicher werden, während Männer zunehmend zum Macho und aggressiv werden. Sowohl Männer als auch Frauen leiden unter den Auswirkungen durcheinandergeratener sexueller Energie. Wir sind mit diesem Ungleichgewicht auf die Welt gekommen, und sobald wir anfangen, Liebe zu machen, verstärken wir dies noch; es sei denn, man zeigt uns einen anderen Weg.
Wie wir Sex neu (er)lernen
Jahrhundertelang hat es in Sachen Sex wenig Anleitung gegeben. Wenn ich weibliche Klienten frage, wie viel Information sie als Mädchen zum Thema Menstruation bekommen haben, lautet die Antwort immer wieder: keine. Überhaupt keine Information. Viele haben vor der ersten Menstruation nur die praktischen Utensilien bekommen, und das war’s. Dabei ist die monatliche Menstruation für eine Frau nicht zu trennen von ihrer Sexualität und ihrer Fähigkeit zur Fortpflanzung. Dennoch erhalten wir wenig oder gar keine Informationen.
Und was wissen wir als Eltern eigentlich über Sex, das wir unserem Sohn oder unserer Tochter mit auf den Weg geben könnten? Die meisten Männer und Frauen haben selbst keine Information zu diesem Kernthema des Lebens bekommen. Auch mir ging es so, und als ich mich entschlossen hatte, Sex neu zu lernen, hat es einige Zeit gedauert und einiges an Engagement erfordert, die Sensitivität wiederzuerlangen, die ich, ohne es zu merken, verloren hatte. Ich musste lernen, mich zu entspannen und „hier zu sein“ beim Liebemachen, statt etwas zu „tun“ und „dahin“, in Richtung Orgasmus zu gehen.
Der wichtige Schritt für mich bestand darin, meine Polarität zu entdecken und mich immer mehr in sie hineinfallen zu lassen. Ich habe mich darauf fokussiert, „negativer“, d.h. passiver zu werden, Dinge mehr geschehen zu lassen, empfänglicher und bewusster zu sein. Und es hat mich überrascht, dass mein Partner anfing, „positiver“, dynamischer, vitaler zu werden, stärker im „Jetzt“ zu sein. Es war nicht die gleiche „positive“, männliche Kraft, die ich von früher kannte, als Liebemachen ein hartes, drängendes, lineares