Und über uns die Ewigkeit. F. John-Ferrer
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Читать онлайн книгу Und über uns die Ewigkeit - F. John-Ferrer страница 6
Plötzlich erwacht er. Jemand hat ihm die Zigarette aus dem Mund genommen. Eine Krankenschwester steht vor dem Bett. Sie ist schlank, trägt die waschblaue Tracht mit der weißen Schürze. Unter dem blauen Häubchen stiehlt sich eine blonde Haarsträhne hervor. Ein Paar grüne, mandelförmige Augen schauen aus einem auffallend blassen Gesicht.
Himmel, wo habe ich dieses Gesicht schon gesehen? schießt es Rudolf durch den Kopf.
Er richtet sich auf, stützt den Oberkörper auf die Ellenbogen, starrt die lächelnde Erscheinung an, die ein Tablett trägt, auf dem ein dampfendes Glas Grog steht.
»Na?«, fragt eine Mädchenstimme. »Wie geht’s?«
»Sie sind doch … Aber das ist doch wohl nicht möglich! Doris Brandorff?«
»Und Sie sind Rudolf Brechtmann, nicht wahr?«, fragt sie, während sie die Zigarette behutsam in den Aschenbecher legt.
»Doris!«, ruft Rudolf. Er ist jetzt völlig wach, richtet sich auf und reicht ihr die Hand. »Ich kann’s gar nicht glauben.«
Sie setzt erst das Tablett ab, reicht ihm dann die Hand und sagt: »Doch, doch, es ist schon so! Ich bin seit drei Wochen hier.«
»So ein Zufall, so ein Zufall«, murmelt Rudolf und lässt ihre Hand los.
»Kommen Sie«, sagt die Krankenschwester, »trinken Sie jetzt erst einmal den Grog, der wird Ihnen guttun.« Sie reicht ihm das Glas.
»Danke … danke … Also, ich bin noch immer ganz baff. Wie kommen Sie hierher, Doris? Setzen Sie sich, erzählen Sie! … Wann haben wir uns das letzte Mal gesehen? Muss doch bald ein Jahr her sein, nicht wahr?«
Doris steht vor dem Bett. Sie lächelt auf den Mann hinunter. Auch sie war sehr erstaunt, als sie hereinkam und plötzlich einen Bekannten im Bett liegen sah … noch dazu einen, der mit Horst Hanke befreundet war, gut befreundet sogar. Welch ein merkwürdiger Zufall!
»Es war im Januar, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben«, entgegnet sie. »Bei Horst war es. Sie kamen mit einer Dame, die Sie uns als Marion vorgestellt haben.«
»Das kann stimmen«, grinst Rudolf und umschließt das heiße Grogglas mit beiden Händen. »Setzen Sie sich doch, Doris. Ich freue mich über diesen Zufall.«
Während Doris sich einen Stuhl heranholt, erinnert sie sich genau an jene Bekanntschaft, mit der sie heute wieder zusammengeführt wurde. Rudolf Brechtmann hat oft seine Damenbekanntschaften gewechselt. Horst hat ihn deswegen Casanova genannt, sonst aber haben sich die beiden immer gut versanden. Man hat sich nicht oft getroffen. Soweit Doris sich erinnern kann, ist das höchstens zwei- oder dreimal geschehen.
Sie stellt den Stuhl an das Bett und setzt sich. Rudolf mustert sie, grinst unablässig, freut sich wirklich und stellt insgeheim fest, dass Doris Brandorff hübscher geworden ist, reifer. Er hat sie als stilles, anlehnungsbedürftiges Mädchen in Erinnerung. Irgendwie hat sie zu Horst gepasst. Um so verwunderlicher, dass das Verhältnis damals auseinandergegangen ist. Ob man davon sprechen kann? Mal sehen …
»Wie kommen Sie hierher, Doris?«, fragte er.
Sie berichtet kurz, dass sie ihren Beruf als Sprechstundenhilfe aufgegeben, sich dann zu einem Krankenschwesternkursus gemeldet hat und anschließend auf ihr Ersuchen hin nach Frankreich versetzt worden ist. Es gebe hier nicht viel zu tun, erzählt sie weiter. Mit dem Oberarzt zusammen und einem Sanitätsdienstgrad versorge sie die Küstenstation.
Kein Wort von Horst, kein Wort von Heinz Berger, mit dem sie, wie Rudolf weiß, verlobt war.
Doris Brandorff ist mit ihrer Schilderung zu Ende gekommen. »Und Sie?«, fragt sie jetzt. »Sie haben ja großes Glück gehabt, wie ich hörte.«
Rudolf nickt nur, nimmt ein paar Schlucke aus dem Glas und stellt es dann auf den Nachttisch.
»Übrigens«, sagt er entschlossen, »ich habe hier noch einen Bekannten getroffen.«
Ein fragender Blick trifft ihn.
»Horst«, sagt Rudolf und wartet die Wirkung seiner Worte ab. Doris senkt den Kopf. Es sieht fast aus, als sei sie erschrocken.
Rudolf erzählt ihr jetzt, wie er mit Horst zusammengetroffen ist.
»Wie geht es ihm?«, fragt sie dann.
»Oh, gut. Vor einer Stunde waren wir auf einer Stippvisite in England. Leider bin ich gleich bei meinem ersten Feindflug abgeschossen worden, vorher habe ich aber noch einen runterholen können.«
Wieder huscht ein seltsamer Blick über Rudolf hinweg. Dann die leisen Worte: »Ich gratuliere Ihnen zum Erfolg und zu Ihrer Rettung, Herr Leutnant.«
»Unsinn, für Sie bin ich Rudolf, wie Sie für mich Doris sind.«
Sie nickt. »Es gibt seltsame Zufälle im Leben.«
»Da haben Sie recht«, sagt er. Dann erzählt er mit anschaulichen Worten von seinem Abschuss, trinkt dabei den Grog aus und fragt plötzlich: »Was ist übrigens aus Heinz Berger geworden, Doris?«
»Er ist tot.«
Rudolf stellt das leere Grogglas auf den Nachttisch. »Heinz – tot?«
»Ja. Ich erhielt Ende Mai die Nachricht, dass er bei einem Bombenangriff auf Emden ums Leben kam.«
Kurzes Schweigen. Draußen tutet ein Schiff. Im Flur gehen Schritte vorüber.
»Wenn ich mich recht erinnere, waren Sie mit Heinz verlobt, nicht wahr?«, fragt Rudolf vorsichtig.
Sie nickt nur und steht auf. »Ich muss jetzt gehen, Rudolf.«
»Bitte bleiben Sie noch – nur fünf Minuten. Ich möchte noch so vieles fragen, Doris.«
Sie trägt den Stuhl zurück und fragt dabei: »Warum ich mich von Horst getrennt habe?«
»War Heinz Berger der Grund?«
»Ich habe mich mit Heinz erst verlobt, als Horst mir sagte, dass … Ach«, unterbricht sie sich, »lassen wir das. Ich werde mich jetzt um Ihre Kleider kümmern. Sie hängen bereits auf dem Trockenboden. Ich bügele sie dann und richte Ihnen alles wieder her.«
»Nett von Ihnen, Doris. Aber noch eine Frage!«
Sie blickt misstrauisch herüber.
»Soll ich Horst sagen, dass Sie hier sind?«
»Mir ist das gleichgültig. Man soll eine zerbrochene Vase nicht mehr kitten. Ich überlasse es Ihnen, Rudolf, ob Sie Horst etwas sagen wollen oder nicht.«
Sie geht. Rudolf sinkt zurück und blinzelt zur weiß getünchten Zimmerdecke empor.
Die Welt ist also doch ein Dorf, denkt er. Wenn ich es Horst erzähle, wird er aus allen Wolken fallen. Oder soll ich es ihm verschweigen? … Sie sieht reifer aus, sie ist ausgeglichener geworden. Wie alt ist sie jetzt? So um die Zwanzig herum, wenn ich mich recht erinnere … Hm … Sie hat sich in dem einen Jahr sehr zu ihrem Vorteil entwickelt.