Und über uns die Ewigkeit. F. John-Ferrer
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Читать онлайн книгу Und über uns die Ewigkeit - F. John-Ferrer страница 8
Er beißt sich auf die Lippen. Auf eine solche Antwort war er nicht gefasst. Am liebsten möchte er auflegen. Aber drüben am Schreibtisch grinst der Schreibstubenhengst so niederträchtig, dass Rudolf zu dem Entschluss kommt, seinen Willen durchzusetzen.
»Ich hab was zu bestellen, Doris«, sagt er rasch. »Horst hat mir etwas aufgetragen, das möchte ich natürlich persönlich wiedergeben. Ist doch klar, nicht wahr?«
Keine Antwort.
»Doris!«
Sie fällt ihm ins Wort: »Wie wollen Sie denn hierherkommen?«
»Erstens mit einem Wagen, zweitens auf schnellstem Wege.«
»Gut, ich erwarte Sie. Fahren Sie aber langsam, Rudolf. Die Wege sind miserabel.«
»Vielen Dank, ich werde Ihren Rat beherzigen. In zirka einer Stunde bin ich bei Ihnen.«
»Ich erwarte Sie in der Schreibstube des Krankenreviers.«
Rudolf legt auf und fährt sich mit der Hand übers Gesicht.
Der Gefreite kommt und trägt den Apparat auf den Tisch zurück. Rudolf bedankt sich und geht.
Draußen kommen ihm plötzlich Bedenken. Was soll ich ihr sagen? Horst weiß doch von nichts. Wartet sie am Ende darauf, dass Horst sich ihr wieder nähert? – Ach was, ich werde das schon hinkriegen. Jetzt hab’ ich A gesagt, jetzt muss ich auch B sagen.
Rudolf sucht den Staffelkapitän auf: »Ich hätte ein Anliegen, Herr Hauptmann.«
»Schießen Sie los!«
»Ich möchte mir mal den Dienstwagen ausleihen, für einen Besuch.«
Der Hauptmann blinzelt ihn an. »Besuch? Wo denn?«
»Bei der Seenotdienststelle.«
Das hagere Gesicht des Vorgesetzten schmunzelt.
»Mädchen?«
»Jawohl.«
»Hübsch?«
»Jawohl.«
»Hiesige oder …?«
»Eine Bekannte aus Berlin. Sie ist Krankenschwester bei der Seenotstaffel.
»Nehmen Sie den Wagen.«
»Danke, Herr Hauptmann.«
»Und sehen Sie zu, dass Sie bis spätestens morgen früh wieder da sind.«
Rudolf schlägt die Hacken zusammen und geht. Ein paar Minuten später holpert der VW-Kübelwagen mühsam durch das matschige Schneetreiben und rollt der Küste zu.
Auch bei den Bombern ist Feierabend. In dem Gehöft, hinter dem das Flugfeld beginnt, muss man wegen der frühen Dunkelheit und des unentwegt peitschenden Regens die Lampen früher anschalten als sonst. In diesem Bau sind die Flugleitung untergebracht, das Kasino und die Küche. Weiter hinten, zwischen tarnenden Gärten, erstreckt sich die Unterkunftsbaracke, die man geschickt zwischen Bäume und Gemüsebeete gestellt hat.
Im Sommer grün und schattig, erscheint das Gartenstück nun eher unansehnlich: matschig, von den Bäumen trieft das Schneewasser und dort, wo noch vor wenigen Wochen das Gemüse für die Küche wuchs, ragen ein paar frierende Kohlstrünke aus dem schmutzig-weißen, dünnen Schneebelag.
Die Barackentür geht auf, und Hanke tritt heraus, das Schiffchen auf dem Kopf, in den Wintermantel gehüllt. Mit vorgeneigter Gestalt geht er auf das Kommandoanwesen zu und sucht den Staffelkapitän auf. Gleich darauf entspinnt sich ein ähnliches Gespräch wie ein paar Minuten zuvor drüben bei der 6., nur dass Hanke angibt, seinen Kameraden Leutnant Brechtmann besuchen zu wollen. Was soll man bei diesem Sauwetter auch sonst unternehmen? Man hat den Freund lange nicht mehr gesehen. Mal raus aus der Bude und ein paar andere Gesichter zu sehen, kann nichts schaden. Man weiß seit Wochen gar nichts voneinander. Nicht einmal für einen Anruf hatte man Zeit.
Hanke ackert mit dem Wagen einen fürchterlich aufgeweichten Weg entlang, vorbei am Flugfeld und den patroullierenden Posten, der Funkstation und dann dem kleinen Wäldchen zu, hinter dem die 6. Jagdstaffel stationiert ist. Kein Fahrzeug, keine Menschenseele zeigt sich. Grau und düster ist die Gegend, von einem bissigen Nordwest gepeitscht. Links kauern ein paar verlassene Gehöfte. Man ist hier völlig auf die Kameraden angewiesen, auf die Zusammengehörigkeit der Einheit. Die Gegend, die fremden Menschen hier geben einem nichts. Außerdem liegen die Einsatzhäfen auch weitab und vollkommen isoliert in irgendeinem Planquadrat der Normandie.
Nach ein paar Minuten ist Hanke auf dem Jägerhorst. Posten grüßen. Fahrzeuge stehen unter sturmgepeitschten Pappeln. Auch hier hält sich nur der im Freien auf, der dazu abkommandiert ist.
Hanke betritt den Gebäudeteil, in dem die Kameradschaftsräume sind. Eine Ordonnanz grüßt steif und will mit einem Tablett vorbei.
»Ich möchte Leutnant Brechtmann sprechen. Wo kann ich ihn antreffen?«
Die Ordonnanz weiß nicht, dass Rudolf Brechtmann vor einer halben Stunde zur Küste gefahren ist.
»Ich werde gleich mal nachschau’n, Herr Leutnant. Kommen Sie bitte rein, hier zieht’s.«
Hanke betritt den Raum, schaut sich um.
»Hallo, Hanke!« Ein Leutnant kommt auf ihn zu, schüttelt ihm die Hand. »Dass man Sie auch wieder mal sieht! Kommen Sie, setzen Sie sich.«
Es ist Leutnant Karner, den Hanke flüchtig kennt. »Ist Brechtmann nicht da?«, fragt Hanke.
»Vorhin war er noch da. Kann nicht weit sein.«
Die Ordonnanz taucht auf und meldet, dass Leutnant Brechtmann vor einer halben Stunde mit dem Auto weggefahren sei.
»Bei dem Sauwetter?«, fragt Hanke. »Dienstlich etwa?«
»Keine Ahnung, glaube aber nicht, dass er dienstlich weg musste. Können ja unseren Alten mal fragen!«
Die Begrüßung des Staffelkapitäns ist freundlich, Kameradenbesuch stets willkommen.
»Legen Sie ab, Hanke, setzen Sie sich zu uns. Kognak oder Wein?«
Und schon sitzt Hanke mit in der Runde, und die Unterhaltung beginnt. Natürlich geht es um die letzten Einsätze. Erst nach einer Weile kommt Hanke dazu, nach Rudolf zu fragen.
»Leutnant Brechtmann ist nach Fécamp gefahren«, sagt der Staffelkapitän. »Wohl dem, der das Glück hat, von einer Dame eingeladen worden zu sein.«
»Eine Dame?«, staunt Hanke.
»Krankenschwester beim Seenotdienst«, schmunzelt der Hauptmann.
»Ach so.« Auch Hanke grinst. Er hat keine Ahnung, dass der Freund gerade jetzt vor dem Gebäude der Seenotstaffel hält und Augenblicke später mit jenem Mädchen zusammentrifft, dessen Bild noch immer in Hankes Erinnerung herumgeistert.
Doris