Apotheker Melchior und das Rätsel der Olaikirche. Indrek Hargla
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Apotheker Melchior und das Rätsel der Olaikirche - Indrek Hargla страница 5
»Guten Morgen, Kaufmannsherrin«, rief er fröhlich. »Einen schönen Frühlingsmorgen wünsch ich Euch! Seht Ihr, welch ein wunderbarer und gesegneter Tag uns geschenkt wurde, es wäre geradezu Sünde, ihn nicht mit einem schönen Lied zu begrüßen.«
Die junge Frau blieb stehen und antwortete aufgeweckt: »Guten Morgen, Kilian Rechperger. Wunderbar ist dieser Tag aber nur für diejenigen, die ihn mit Gesang und Lautenspiel verbringen können. Für andere ehrliche Stadtbürger gleicht er allen anderen Tagen, ist voller Arbeit und Mühsal.«
Kilian spielte eine schnelle und unglaublich komplizierte Melodie und entgegnete dann: »Aber meint Ihr denn wirklich, Herrin Gerdrud, dass Gesang und Lautenspiel nur aus Gottes Gnade entstehen und man dafür nicht arbeiten und sich anstrengen muss?«
»Alles geschieht aus Gottes Gnade«, sprach die junge Frau. »Singen kann ich auch, aber meine Arbeit und die Erledigungen nimmt mir niemand ab. Dem einen ist der Tag zum Musizieren gegeben, dem anderen, um sein täglich Brot zu verdienen.«
»Onkel Mertin ist wohl reich genug, dass sich seine Frau nicht den lieben, langen Tag wie ein Waschweib abrackern muss. Ihr habt doch noch Ludke im Haus, und die Hauswirtin ...«, sagte Kilian spitzfindig, doch Gerdrud unterbrach ihn verärgert.
»Was schwatzt du da, Kilian Rechperger! Es ist nicht deine Sache zu entscheiden, wie der Oldermann seinen Haushalt zu regeln hat. Du bist bei uns nur Kostgänger.«
»Auch ein Kostgänger hat Augen im Kopf. Ich sehe doch, wie die Dinge hier in Reval gehandhabt werden und wie bei uns in Nürnberg! Wie der Vetter meines Großonkels seiner hübschen Gattin Arbeiten aufbürdet, für die man eigentlich drei Dienstmädchen bräuchte und für deren Bezahlung der alte Geizhals sehr wohl Geld hätte!«
Ein dreister Kerl, dachte Melchior, wie er das Gespräch vom Fenster aus verfolgte. Dreist, aber er wagt es, die Wahrheit auszusprechen. Tweffell, den Oldermann der Großen Gilde, konnte man wirklich weder der Geldverschwendung noch der Prasserei bezichtigen. Seine junge Gemahlin – abgesehen davon, dass sie dem Kaufmann auf seine alten Tage eine Augenweide war – verrichtete tatsächlich mehr Hausarbeiten als so manch andere reiche Kaufmannsfrau hier in der Stadt. Der Diener Ludke und die alte Hauswirtin waren in Tweffells Haus die einzigen Angestellten.
Gerdrud rief nun noch verärgerter: »Sei nur still, Kilian, hör sofort mit dem dummen Geschwätz auf! Wenn dich Ludke hören würde, würde er sofort alles dem Herren Tweffell weitererzählen.«
Der Bursche trat etwas näher an sie heran, legte den Kopf schräg und fragte spitzbübisch: »Aber Ihr erzählt es nicht weiter, Herrin Gerdrud?«
Gerdrud reagierte befangen. »Ich ... ich muss weiter. Ich habe es eilig,« sagte sie.
Doch Kilian tat, als hätte er sie gar nicht gehört.
»Aber vielleicht hört Ihr Euch ein Lied an?«, fragte er. »Oder noch besser – wie Ihr gerade sagtet, singen könnt Ihr auch selbst ... Bringt denn ein solcher Frühlingsmorgen einen nicht zum Singen? Machen wir es so – ich spiele die Laute und Ihr singt.«
Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Als ob ich mitten in der Stadt anfangen würde, ein Liedchen zu trällern, das schickt sich doch nicht! Ich muss wirklich gehen.«
Kilian blieb aber beharrlich. »Gestattet, dass ich Euch ein Lied singe, nur eines!«
»Nein, Kilian. Auch nicht nur eines.«
»Möchtet Ihr denn wirklich keine der wunderbaren Weisen der Nürnberger Meistersänger hören, davon kann ich mehrere. Gerade ist mir ein Stück über einen alten Gerber eingefallen, der eine fünfzig Jahre jüngere Frau geheiratet hat und zum Gespött der ganzen Stadt wurde und dann ...«
Gerdrud stieß einen unterdrückten Schrei aus und platzte heraus: »Halt den Mund, Kilian, und beschäme mich nicht mitten in der Stadt! Ich gehe jetzt!«
»He, so wartet doch! Dann ein anderes Lied? Vielleicht ein Minnelied? Alle unsere Meistersänger lernen alte Minnelieder. Soll ich Euch vorsingen, wie Tannhäuser oder Konrad von Würzburg sich nach ihrer Liebsten sehnten? Soll ich?«
»Kilian – nein! Leb wohl, ich habe in der Stadt zu tun und möchte mich nicht länger mit dir unterhalten.« Gerdrud nahm den Marktkorb fester unter den Arm und schickte sich an zu gehen. Doch Kilian ließ nicht locker, er zupfte auf seiner Laute und rief leise:
»Oder dann vielleicht ein Lied aus Reval, Herrin Gerdrud? Aber die sind so traurig, dass sie so gar nicht zum schönen Frühling passen ... Ach, ein lustiges fällt mir jetzt doch ein! Vielleicht gefällt Euch dieses Stück über fröhliche Seeleute?«
Und ohne eine Antwort abzuwarten, begann er zu singen:
Ich hab siebzehn Brüder und siebzehn Schiffe
Ich hab siebzehn Häfen voll hübscher Mädchen
Meine Brüder fürchten weder Tod noch Teufel ...
Doch da schrie Gerdrud auf und auch Melchior zuckte zusammen. Die junge Frau stürzte zu Kilian hin und hielt ihm den Mund zu.
»Dieses Lied darfst du in Reval nicht singen, wenn du nicht von hier fortgejagt werden willst!«, rief sie erschrocken. »Bist du von Sinnen? Die Vitalienbrüder haben uns so viel Leid zugefügt, diese Seeräuber, diese Mörder ... Wer hier in Reval ihre Lieder singt, der muss vollkommen von Sinnen sein!«
Kilian nahm langsam ihre Hand von seinem Mund und fragte so leise, dass Melchior ihn kaum hörte: »Aber vielleicht bin ich ja vollkommen von Sinnen?«
»Sei was du willst, aber solche Lieder darfst du hier in der Stadt nicht singen, wenn du nicht gesteinigt werden willst«, beharrte sie.
»Schon gut. Aber sagt mir, was für ein Lied Ihr an diesem Morgen dann hören wollt?«
»Keines, ich muss weiter. Keines der Minnesänger oder der Meistersänger, keines über den Frühling oder das Meer, kein einziges. Ich ... ich muss mich wirklich eilen. Geh du besser auch deiner Wege.«
Kilian lächelte bekümmert. »So ohne Lieder ist Euer Leben leer und traurig, ohne Freude und Trost. Nur Geschäft und Arbeit, Kummer und Sorgen. Nun, einen schönen Tag noch, Herrin Gerdrud, und bis heute abend! Auch ich habe bei den Schwarzhäuptern zu tun. Wohin wart Ihr denn unterwegs, vielleicht haben wir denselben Weg?«
»Ich? Nur gleich hier in die Apotheke muss ich und dann zum Hafen und auf den Markt.«
»In die Apotheke?«, fragte Kilian. »Kann denn nicht Ludke die Salben und Arzneien für seinen Herrn abholen?«
»Herr Mertin hat Ludke schon gestern Abend irgendwohin geschickt, ich habe ihn seitdem nicht mehr gesehen ... Auf Wiedersehen, Kilian, ich gehe nun.«
Damit drehte sich die junge Frau entschlossen um. Kilian lachte, winkte Gerdrud nach und ging selbst die Raderstraße entlang Richtung der Pforte am Langen Domberg. Melchior blickte ihm nach und schüttelte traurig den Kopf. Das ist nicht recht. Es war nicht recht, dass der alte Kaufmann eine so junge Frau geheiratet hatte und noch weniger, dass ein junger und gutaussehender