Das Jahrhundert des Populismus. Pierre Rosanvallon

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Das Jahrhundert des Populismus - Pierre  Rosanvallon

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      Zu diesen verschiedenen Kritiken theoretischer Natur kommen diejenigen an den Praktiken populistischer Regime hinzu. Vor allem mit den Umsetzungsbedingungen des Prinzips der Polarisierung der Institutionen: Veränderung der Rolle und Organisationsweisen der Verfassungsgerichte, Abschaffung oder Manipulation von unabhängigen Behörden, insbesondere von Wahlkontrollausschüssen, dort, wo diese existieren. Hinzu kommen die Fakten im Umgang mit den Medien, Verbänden und Oppositionsparteien. In ihrer Gesamtheit erhärten diese Elemente die Bezeichnung des »Illiberalismus«, der eine konkret erkennbare Bedeutung annimmt (die Ähnlichkeit mit den Praktiken und Rechtfertigungen des Second Empire wird sich in diesen Punkten als auffällig erweisen). Besondere Aufmerksamkeit wird in diesem Kontext den juristischen Instrumenten zuteil, die aufgeboten werden, um den langfristigen Bestand dieser Regime und die Unumkehrbarkeit ihrer Maßnahmen abzusichern, zumeist indem die Begrenzung der Zahl von Amtszeiten, die nacheinander wahrgenommen werden dürfen, aufgehoben wird.

       Die Alternative

      1Es sei betont, dass es mit dem Wort »Demokratie« einst genauso war, vor allem in den Vereinigten Staaten. Im frühen 19. Jahrhundert war es in diesem Land eine Beleidigung, als »Demokrat« bezeichnet zu werden. Der Begriff war gleichbedeutend mit »Demagoge«, und Demokratie hieß, aus dem Munde der Gründerväter und ihrer Nachfolger, so viel wie »Macht des Aufruhrs« oder »Herrschaft der Pöbelleidenschaften«. Es war ein Akt der Provokation, als die Republikaner der Zeit (die Partei Jeffersons) ihre Organisation gegen Ende der 1820er Jahre in »demokratische Partei« umtauften. Siehe dazu die gut belegte Geschichte von Bertlinde Laniel, Le Mot »democracy« et son histoire aux États-Unis de 1780 à 1856.

      2Interview in L’Express vom 16. September 2010. Er hatte sich schon in seinem Werk Qu’ils aillent tous! Vite, la révolution citoyenne entsprechend geäußert. »Den Schönen und Zufriedenen, ihren Barden und allen Klugscheißern des Establishments möge vor Empörung das Wort im Hals stecken bleiben. Sie sollen ruhig mit ihrer albernen Roten Karte wedeln: ›Populismus!‹, ›Entgleisung!‹. Meinetwegen«, ist dort zu lesen (S.11–12).

      3Ich selbst habe einst diesen reduktionistischen Weg eingeschlagen, indem ich den Populismus als eine Karikatur des gegendemokratischen Prinzips betrachtete (vgl. mein Werk Die Gegen-Demokratie, S.241–248).

      4Dossier »Les 36 familles du populisme«, Éléments, Nr. 177, April-Mai 2019.

      5Référendum d’initiative citoyenne [Volksbegehren].

      6Selbst wenn das Konzeptualisierungsbemühen von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe auf der Linken zu begrüßen ist. Diese Autorin und dieser Autor haben übrigens keinerlei Pendant auf der extremen Rechten.

      7Ein Neologismus, der sich vom französischen Imperatif »Dégage(z)!« (Hau[t] ab!) ableitet, also so viel wie Haut-ab-Mentalität bedeutet [AdÜ].

      8In: La Démocratie inachevée. Histoire de la souverainité du peuple en France.

      9Vergleiche sein Interview mit der Financial Times vom 28. Juni 2019.

      10Vergleiche seine programmatische Rede vom 26. Juli 2017 in Băile Tuşnad.

      11Zumal das Regime das allgemeine Wahlrecht wiederherstellte, das die Ordnungsrepublikaner 1849 beschnitten hatten.

      12Das macht die Schwäche der Interpretationen des Populismus als »Pathologie« der Demokratie aus. Sie setzen nämlich voraus, dass die bestehenden Demokratien als perfekter Bezugspunkt des demokratischen Projekts fungieren, als Referenznorm, von der die Populismen abweichen. Damit wird die strukturelle Unbestimmtheit der Demokratie unterschlagen und die Tatsache, dass sie folglich ein instabiles Regime darstellt, das ständig seine eigenen Aporien erforscht. Ich selbst habe diese Bezeichnung in meinen allerersten Schriften zu diesem Thema verwendet. Vergleiche zum Beispiel meinen Artikel »Penser le populisme«, Le Monde, 22. Juli 2011.

       IANATOMIE

       1Eine Auffassung des Volkes: das homogene Volk

       2Eine Demokratietheorie: direkt, polarisiert, unmittelbar

       3Ein Repräsentationsmodus: der Homme-peuple

       4Eine Wirtschaftspolitik und -philosophie: der Nationalprotektionismus

       5Ein System der Leidenschaften und Emotionen

       6Einheit und Vielfalt der Populismen

       1Eine Auffassung des Volkes: das homogene Volk

      Die populistischen Bewegungen haben gemein, das Volk zu einer zentralen Figur der Demokratie zu erheben. Eine Tautologie, könnte man meinen, denn der demos ist definitionsgemäß der Souverän in einem System, das sich auf ihn beruft. Jede gute Demokratie kann also in diesem sehr allgemeinen Sinne nur populistisch sein. Doch diese Selbstverständlichkeit ist in der Praxis ebenso unklar wie sie sich begrifflich aufzudrängen scheint. Denn wer ist dieses gebieterische Volk? Diese Frage wurde immer schon gestellt. Anfangs schwankten die Bezugnahmen zwischen denen auf ein ziviles Volk, als Figur der politischen Allgemeinheit und Ausdruck einer Einheit, und denen auf ein soziales Volk, das de facto mit einem besonderen Teil der Bevölkerung gleichgesetzt wurde. Als die Amerikaner 1776 ihre Unabhängigkeitserklärung

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