Das polnische Haus. Radosław Sikorski

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Das polnische Haus - Radosław Sikorski eva digital

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wieder zueinander.

      Die Trilogie mit ihrem altmodischen Patriotismus taugte kaum für den Lehrplan in den Schulen, war aber in den Buchhandlungen immer erhältlich (bis heute ist sie Polens bestverkaufter Titel aller Zeiten). Sie auf den Index zu setzen, wäre etwa genauso undenkbar gewesen wie ein Shakespeare-Verbot in England. In Übersetzung, zum Beispiel in der neueren englischen Ausgabe von W. S. Kuniczak, unterscheidet sich die Trilogie nicht nennenswert von anderen historischen Epen. Wäre Polen zur Zeit ihrer Entstehung ein freies Land gewesen, hätte man sie schlicht als die polnische Antwort auf Sir Walter Scott werten können. Statt dessen ist sie jedoch ein geradezu heiliges Buch, die Bibel des polnischen Patriotismus. Jeder polnische Jugendliche identifiziert sich insgeheim mit einem ihrer Helden; ihre Namen dienten sogar vielen Widerstandskämpfern im Zweiten Weltkrieg als Pseudonyme. Eine Idee, aber auch eine Nation, muß, damit Leute zu ihren treuen Anhängern werden können, nicht nur wahr oder gerecht, sondern auch attraktiv sein. Die Trostlosigkeit des Kommunismus sah gegen den Elan von Sienkiewicz’ altem Polen natürlich ziemlich alt aus.

      Das andere große Epos aus dem 19. Jahrhundert, Pan Tadeusz (deutsch: Herr Thaddäus oder Der letzte Einritt in Litauen), stand dagegen sehr wohl auf dem Lehrplan. Es dreht sich um ein Landgut in Litauen, wo Angehörige des niederen und des Hochadels sich zum Diner treffen, auf die Jagd gehen, flirten, sich zanken und ihre Komplotte schmieden. Es endet damit, daß polnische Freiwillige die Russen verjagen und – was im weiteren Kontext etwas unmotiviert erscheint – Napoleon als Befreier bejubeln. So passierte es, daß uns in der einen Klasse von der unverbrüchlichen polnisch-russischen Freundschaft erzählt wurde, wir in der nächsten Klasse aber ein Gedicht auswendig lernen sollten, das nahelegte, ein sich selbst respektierender polnischer Aristokrat könne mit den Russen nur eins machen, und zwar das Schwert gegen ihn ergreifen. Nur einem Schwachkopf wäre der eklatante Widerspruch entgangen.

      Ein Anhänger totalitaristischer Theorien hätte zu Recht monieren können, daß Polen nie ein wirklich totalitaristischer Staat war, da die Partei es versäumte, alle organisierten Autoritätsformen, die zu ihr in Konkurrenz traten, restlos auszumerzen – das galt besonders für die katholische Kirche. Die beiden letzten Jahrzehnte der kommunistischen Herrschaft, die siebziger und achtziger Jahre, während derer ich aufwuchs, werden womöglich einmal als das Goldene Zeitalter der katholischen Kirche in die Geschichte Polens eingehen. Die Unterdrückung durch die Kommunisten war damals nicht mehr so stark, als daß sie eine wirkliche Bedrohung für die Kirche dargestellt hätte, sie war aber immerhin noch drastisch genug, um die Kirche als Opfer erscheinen zu lassen und als einzige Institution, um die herum sich die Menschen versammeln konnten. Für mich bedeutete sie ein weiteres Gegenmittel gegen die Propaganda des Regimes.

      Zunächst einmal waren zwei meiner Großonkel Priester. Der eine, Onkel Władek, arbeitete in der Bibliothek der Kathedrale von Gniezno als Konservator für alte Handschriften. Seine Amtsbezeichnung war Kanonikus in der Erzdiözese von Gniezno. Gniezno (Gnesen) war die Wiege des polnischen Christentums und die erste Hauptstadt Polens; das Erzbistum von Gniezno ist das älteste des Landes, und sein Name, abgeleitet von gniazdo (»Nest«), geht auf eine uralte Kultstätte zurück. Die Bibliothek befand sich in der Kathedrale selbst; sie verteilte sich über die Hohlräume direkt über dem Hauptschiff. Wenn ich ihn besuchte, nahm mein Onkel seinen schweren eisernen Schlüsselring und öffnete die Türen zu den Kammern, um mir ihren Inhalt zu zeigen. Dabei gingen wir auf schmalen Stegen über die gewölbte Decke der Kathedrale. Ich erinnere mich an illustrierte Pergamenthandschriften in Ledereinbänden, die ordentlich gestapelt in den Regalen lagen; an Blätter mit mittelalterlicher Kirchenmusik; Kirchenregister aus der Vorkriegszeit; Gebetbücher; theologische Schriften in fremden Sprachen. Mein Onkel beschwerte sich immer wieder darüber, daß für jeden Złoty, der für Restaurationsarbeiten ausgegeben wurde, eine Steuer von anderthalb Złoty an den Staat abgeführt werden mußte. Infolgedessen war ein Großteil der Sammlung dem Verfall ausgeliefert, was ich sehr bedauerte.

      Nach unserem Besuch in der Bibliothek spazierten wir dann zur Wohnsiedlung, die zur Kirche gehörte. Die Gebäude waren jüngeren Datums – wahrscheinlich aus der Nachkriegszeit –, verkörperten aber einen traditionellen Baustil. Mit ihren spitzen Dächern, roten Ziegeln und Stuckarbeiten unterschieden sie sich jedenfalls himmelweit von den Bauten, die die Kommunisten schätzten. Das Mittagessen nahmen wir im gemeinsamen Speisesaal ein, wo Heiligenbilder die Wände schmückten und weiße Tücher die Tische bedeckten. Die Nonnen brachten uns fröhlich lächelnd eine wäßrige Suppe und zerkochte Knödel, und wir sprachen ein Gebet vor und nach der Mahlzeit.

      Nach dem Essen begaben wir uns in die hübsche kleine Wohnung meines Onkels, die mit gediegenen alten Holzmöbeln eingerichtet war. Die Nonnen hielten alles sehr sauber. Mein Onkel kochte einen Tee und zeigte mir seine Alben mit Familienfotos. Es gab alte Porträts von meiner Großmutter in langem Pelzmantel und Hut; Fotos von meinem Onkel in langen Gewändern zusammen mit anderen jungen Männern des Priesterseminars und sogar Fotos aus der Zeit, als er als Zwangsarbeiter in Deutschland war. Er wurde dort jedoch gut behandelt und verbrachte einen Großteil des Krieges in einer Universitätsbibliothek. Auf den Fotos sahen die Leute irgendwie anders aus. Sie schienen fröhlicher und lebendiger als die Leute, denen man in den Straßen von Bydgoszcz begegnete.

      Später sollte Onkel Władek den Auftrag erhalten, Kardinal Wyszyńskis handschriftliche Memoiren zu transkribieren. Der 1981 verstorbene Kardinal war in den fünfziger Jahren von den Kommunisten inhaftiert worden und hatte nach seiner Freilassung den heimlichen Widerstand der katholischen Kirche geleitet. Zwei Nonnen halfen meinem Onkel bei dieser Arbeit. Alle mußten sich zu absoluter Verschwiegenheit verpflichten. Die Tagebücher sollen erst im Jahr 2011, dreißig Jahre nach Wyszyhskis Tod, veröffentlicht werden.

      Onkel Władeks Bruder, Onkel Roman, war ein engagierter Pfarrer in Inowrocław. Nach zwanzig Jahren hatte er die halbe Stadt dazu bewegen können, ihm bei der Instandsetzung der romanischen Kirche zu helfen, die seit dem Mittelalter eine Ruine gewesen war. Sogar mein Vater, ein unverbesserlicher Atheist, erklärte sich bereit, unentgeltlich die Pläne für eine Heizanlage zu zeichnen – »einfach um die Roten zu ärgern«, wie er meinte. Zusammen mit meiner Großmutter habe ich Onkel Roman oft besucht. Wir wohnten dann im Pfarrhaus, wo seine Haushälterin sich um uns kümmerte. Morgens verschwand mein Onkel in aller Frühe, um die Messe vorzubereiten. Später am Tag sahen wir ihn dann wieder, wenn er in seinem Ornat am Altar der großen Kirche im Zentrum der Stadt stand. Anschließend besichtigten wir die romanische Kirche, deren Restauration damals bereits im Gange war. Über dem Eingang zur Sakristei waren Teufelsfratzen mit Hörnern in den Granit gemeißelt; eine von ihnen sah genauso aus wie meine Lehrerin Skarpeta, die Socke.

      Mein Vater war vor dem Krieg Meßdiener gewesen. Er hatte sich aber von der Kirche abgewandt, nachdem er Zeuge geworden war, wie ein Priester sich an der von der Gemeinde gespendeten Kollekte bedient hatte. Sonntags fuhr er gerne zum Angeln an einen der Seen, die rings um Bydgoszcz lagen. Meine Großmutter kümmerte sich um meine religiöse Erziehung. Von ihr lernte ich, mich zu bekreuzigen, und das tägliche Morgen- und Abendgebet. Während mein Vater mit einem Hecht oder einem Karpfen kämpfte, schlossen wir uns oft den Kirchgängern an.

      Unsere Pfarrkirche war die Basilika von Bydgoszcz. Vor dem Krieg hatten nach Amerika ausgewanderte Polen ihren Bau durch großzügige Spenden ermöglicht; sie gehörte zum Orden vom hl. Vinzenz von Paul. Das Kreuz auf der riesigen Kuppel war kilometerweit zu erkennen. Tausende von Menschen fanden in der Basilika Platz; jede Messe zog Hunderte von Familien an, die im Sonntagsstaat aus allen Himmelsrichtungen in die Kirche strömten. Väter schoben Kinderwagen vor sich her, während die Mütter mit verstohlenen Blicken prüften, ob Freunde und Bekannte ihr schmuckes Aussehen oder ihre neuen Kleider auch gebührend würdigten. Jedesmal schien es, als hätte sich die ganze Stadt versammelt. Man hätte eher den Eindruck gewinnen können, Zeuge einer nationalen Rückkehr zum Glauben zu sein, als in einem kommunistisch regierten Land zu leben. Obwohl die Kirche groß genug war, um die ganze Gemeinde aufzunehmen, fanden neben den Hauptgottesdiensten am Vormittag auch Frühgottesdienste um fünf Uhr dreißig oder sechs Uhr statt. Meine Großmutter erklärte mir, daß diese Messen für Mitglieder der Kommunistischen

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