Das polnische Haus. Radosław Sikorski

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Das polnische Haus - Radosław Sikorski eva digital

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      Mickiewicz’ Lobgesang auf das dworek mag zwar auf dem Lehrplan gestanden haben, um die realexistierenden Landhäuser war es im kommunistischen Polen jedoch nicht gerade gut bestellt. Die großen aristokratischen Paläste ließ man nicht einfach verkommen, sondern viele wurden von der katholischen Kirche als Schule oder Altersheim genutzt. Auch den Anwesen und Gutshöfen, die agrarischen oder wissenschaftlichen Instituten übereignet wurden, war ein besseres Schicksal beschieden – das Verwaltungspersonal solcher Einrichtungen war in der Regel kultivierter als die Direktoren der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. Etliche Paläste standen als sogenannte Häuser für kreative Begegnungen den linientreuen Schriftstellern und Journalisten zur Verfügung. Die wirklich beeindruckenden Häuser wurden zu Repräsentationszwecken erhalten: Der sozialistische Staat pflegt die Kulturdenkmäler der Nation. Andere erhielten die adrette Bezeichnung »Weiterbildungsanstalten für Parteikader«. Hier konnten die Parteiführer ihren wohlverdienten Urlaub verbringen.

      Das gewöhnliche dworek dagegen, das einst das Herzstück der meisten Dörfer bildete, ist so gut wie ganz aus der polnischen Landschaft verschwunden. Von über zehntausend Gutshäusern, die Polen vor dem Krieg zählte, haben weniger als tausend die kommunistische Herrschaft überstanden, und nur die Hälfte davon in einem mehr oder weniger intakten Zustand. Ihre Zerstörung war, anders als in Rußland, nicht einmal die Folge einer gezielten Kampagne; sie sind durch bloße Ignoranz und Schlamperei zugrunde gegangen. Im Zuge der kommunistischen Bodenreform von 1944 (darüber später mehr) wurden Grundstücke über 50 ha enteignet und entweder in den Kollektivbesitz der Genossenschaften überführt oder unter den Kleinbauern aufgeteilt. Die verbliebenen 50 ha samt Familiensitz sollten im Besitz der ursprünglichen Eigentümer bleiben. Doch wie so oft scherten sich die Kommunisten nicht einmal um ihre eigenen Gesetze. Trupps von Polizisten oder militanten Parteimitgliedern warfen die Hausherren hinaus, gleichgültig, wie das Gesetz lautete. Während die Eigentümer ihre Sachen packten, wurden die ansässigen Bauern zum Plündern angestiftet. Noch Jahre später war es keineswegs ungewöhnlich, wenn man in einem Schweinestall die für allerlei nützliche Zwecke umfunktionierten Teile eines Konzertflügels vorfand. Die geplünderten Gutshäuser wurden Behörden, Genossenschaften oder Staatsbetrieben übergeben, die es oft genug billiger fanden, die Häuser gänzlich abzureißen.

      Wer im Exil lebt, sehnt sich vielleicht besonders stark nach einem eigenen Zuhause. Bei mir selbst machte sich diese Sehnsucht ab dem Moment bemerkbar, als ich 1981 in Großbritannien ankam. Ich hatte damals eigentlich nur vorgehabt, dort zwischen Abitur und Studienanfang ein paar Monate zu verbringen, doch während meines Besuchs verhängte General Jaruzelski in Polen das Kriegsrecht und schlug die Opposition der Solidarność-Gewerkschaft nieder. Anstatt zurückzukehren und eine Festnahme zu riskieren – Freunde von mir waren bereits verhaftet worden –, zog ich es vor, ins Exil zu gehen und die Machthaber der Volksrepublik Polen zu reizen, wo ich nur konnte. Mein Aufenthalt im Ausland, der nach dem kommunistischen Gesetz illegal war, und meine Stellung als Journalist bedeuteten zusätzliche Arbeit für die überlasteten Beamten der zuständigen Sicherheitsbehörde: Sie hatten nun auch noch die Telefonate meiner Eltern abzuhören, ihre Post zu überwachen und sich darüber zu sorgen, was ich in der kapitalistischen Presse wohl alles über das sozialistische Polen veröffentlichen würde. Eines der beliebtesten Druckmittel der Sicherheitspolizei bestand in der Verweigerung von Ausreisegenehmigungen. Unter dem Vorwand, zur Fußball-WM fahren zu wollen, hat mein Vater einmal versucht, mich zu besuchen – aber die Polizei durchschaute seinen Plan. Ein anderes Mal gaben meine Eltern von, sie wollten eine Pilgerfahrt nach Rom unternehmen. Sie verbrachten einige Tage und Nächte in der Warteschlange vor der Ausreisebehörde, um ihre Visa zu beantragen. Natürlich durchschaute man auch diesen Plan. Nach der achten oder neunten Befragung, eine Woche vor der beabsichtigten Fahrt, fuhr der diensthabende Polizeioberst meine Mutter an: »Falls Ihr Sohn nicht endlich seinen Mund hält, werden Sie ihn nie wiedersehen.« Tränenüberströmt verließ meine Mutter das Büro, doch am nächsten Tag lud man sie wieder vor und teilte ihr mit, die gnädige Volksrepublik wolle ihr immerhin eine letzte Chance gewähren, mich von meinem antisozialistischen Lebenswandel zu kurieren.

      Wir verbrachten den mühselig erkämpften Urlaub in einem abgelegenen Häuschen hoch über den Felsen von Hell’s Mouth Bay im ländlichen Norden von Wales. Dort kam uns zum ersten Mal der Gedanke, irgendwann einmal ein altes Haus auf dem Land instandzusetzen. Unser Ferienhaus befand sich am äußersten Zipfel einer hügeligen Landzunge, wo Schafe auf den von Steinmauern umhegten Wiesen grasten. Meiner Mutter gefielen die kleinen Cottages und die Bauernhöfe, die hier und da in der Landschaft auftauchten. »Die Bewohner sind überhaupt nicht reich«, bemerkte sie, »denn ihre Autos sind meist alt. Aber jedes Haus ist ordentlich gestrichen, und die Gärten sind gepflegt. Jedes hat offensichtlich einen Besitzer, der sich kümmert – ganz anders als bei uns.« Je mehr schöne Bauernhöfe und herrschaftliche Anwesen wir sahen, desto trauriger stimmte uns der desolate Zustand der polnischen Landschaft. Polen stand immer noch unter kommunistischer Herrschaft, und es sah nicht so aus, als würde der Kommunismus bald untergehen. Doch vielleicht war das Regime mittlerweile nachlässig genug, um ein Auge zuzudrücken, wenn sich jemand eines alten Schutthaufens annahm. Meine Eltern faßten den Vorsatz, sich in der Nähe von Bydgoszcz (Bromberg), unserer Heimatstadt im Westen Polens, nach einem verfallenen Haus umzusehen.

      Einige Monate später bekam ich von einem Freund, der auf Durchreise in London war, ein Videoband. Meine Eltern hatten sich an das Amt für Denkmalschutz von Bydgoszcz gewandt und Hinweise auf geeignete Objekte bekommen. Ein Haus namens Chobielin hatte ihnen am meisten zugesagt. Es lag an einem Fluß, was für meinen Vater, einen begeisterten Angler, besonders wichtig war. Wie die meisten anderen Häuser auf der Liste baufälliger Gebäude war auch dieses nicht viel mehr als eine Ruine. Doch Chobielin wies einige Vorteile auf: Es war nur eine halbe Autostunde von der Stadt entfernt in einer wunderschönen Umgebung außerhalb eines Dorfs gelegen, und es wurde zudem nur von einer einzigen Hausbesetzerfamilie bewohnt. Die Videoaufnahmen waren von schlechter Qualität, ließen aber erkennen, daß Chobielin früher wie ein traditionelles dwór ausgesehen haben mußte.

      Über die Geschichte des Anwesens wußten wir nur, was die ansässigen Bauern meinen Eltern erzählt hatten. Demnach hatte Chobielin um die Jahrhundertwende einem Deutschen gehört, der auch den nicht ganz stilgerechten Seitenflügel hatte anbauen lassen. Als dieser deutsche Eigentümer während der Hyperinflation nach dem Ersten Weltkrieg bankrott ging, kaufte ihm sein polnischer Verwalter das Haus zusammen mit mehreren Hektar Land für einen Apfel und ein Ei ab. Den Gerüchten der Bauern zufolge wurde das Gut nach der Befreiung durch die Rote Armee im Jahre 1945 von den Schergen des Innenministeriums übernommen, die dort wüste Orgien veranstalteten. Als die Schweinereien zu sehr ausarteten, wurde es den Bediensteten des Landguts anvertraut, die es vollends herunterkommen ließen. Angeblich wurde die Spitze der Solidarność nach ihrer Verhaftung an einigen bitterkalten Tagen und Nächten in dem verfallenen Gebäude festgehalten, als im Dezember 1981 das Kriegsrecht verhängt worden war. Entfernte Verwandte der Vorkriegsbesitzer lebten in Kanada und statteten Chobielin sogar hin und wieder einen Besuch ab. Uns wurde jedoch gesagt, daß sie nicht vorhätten, das Haus wiederaufzubauen. Zu diesem Zeitpunkt war der Kauf von baufälligen Gebäuden bereits seit zehn Jahren erlaubt, allerdings erkundigten sich nur wenige ehemalige Besitzer nach ihren Häusern. Solange der Sozialismus herrschte, trauten sie sich nicht. Die meisten waren schon zufrieden, wenn sich wenigstens jemand um ihr früheres Eigentum kümmerte.

      Einige Tage, nachdem ich das Video bekommen hatte, gelang es mir endlich, mit meinen Eltern zu telefonieren.

      »Wieviel verlangen sie für das Haus?« brüllte ich in den Hörer.

      »Was hast du gesagt?« Die Stimme meines Vaters war durch das Knacken und Rauschen in der Leitung kaum zu verstehen.

      »Ich sagte: Wieviel verlangen sie für das Haus?«

      »Was? Ich verstehe dich nicht, die Leitung ist so schlecht. Es ist immer das gleiche, wenn es regnet. Hast du gefragt, wieviel sie verlangen?«

      In

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