Das polnische Haus. Radosław Sikorski

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Das polnische Haus - Radosław Sikorski eva digital

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von etlichen Holzschuppen verstellt, die an die Außenmauern und an die Überreste des Eingangstors angebaut waren. Zudem hatte jemand das ursprüngliche Gutshaus um einen eckigen Seitenflügel im Stil eines herrschaftlichen Stadthauses erweitert, so daß das Gebäude wie eine riesige Dampflokomotive aussah.

      Das Grundstück vor dem Haus war mit Müll übersät. Glasscherben knirschten unter meinen Schuhen, als ich mir zwischen rostenden landwirtschaftlichen Geräten, Faßdauben, einem Trog, einem Metalleimer ohne Boden, Drahtstücken, alten Reifen und Trümmern des alten Zauns einen Weg auf das Haus zu bahnte.

      In diesem Moment schlüpften zwei kleine Köter durch ein Loch in der Balkontür hinaus und fingen wütend zu kläffen an. Eine aufgescheuchte Gänseschar floh gackernd in eine der Hütten am Zaun.

      Durch den Lärm alarmiert, erschien eine Bäuerin mit einer Teigrolle in der Hand im Portal. Sie trug eine Schürze und war fast ebenso breit wie groß. Die grimmige Entschlossenheit in ihrem Gesicht wich einem verkniffenen Lächeln, als sie sah, warum die Hunde anschlugen und die Gänse verschreckt waren.

      »Dzień dobry panie Sikorski«, grüßte sie meinen Vater, als wir näherkamen.

      »Dzień dobry pani Erlichowa«, erwiderte er. »Dies ist mein Sohn.« Er sah mich an. »Er ist eben erst aus England zurückgekommen. Er wollte als erstes hierherfahren.«

      Nachdem sie mich mit einem kurzen, strengen Blick von Kopf bis Fuß gemustert hatte, sagte sie: »Witamy młodego pana dziedzica.« Willkommen, junger Herr. Auf ihrem dicklichen Gesicht bildete sich ein breites, etwas übertriebenes Lächeln. War es der Ausdruck einer gewissen Unterwürfigkeit, oder machte sie sich über mich lustig? Es war schwer zu sagen.

      Bei meinem ersten Besuch in Chobielin, am ersten Tag meiner Rückkehr nach Polen, war ich mir nicht sicher, wie ich auf korrekte Art und Weise Zutritt zu meinem eigenen Haus erbitten sollte. Es war vielleicht mein Haus, aber es war Frau Erlichs Heim.

      »Darf ich?«

      »Aber bitte.« Frau Erlich machte eine feierliche Geste, offenbar dankbar darüber, gefragt zu werden, und trat zur Seite.

      Ich drückte eine schwere Messingklinke herunter, und die massive Holztür öffnete sich. Bevor meine Augen sich an das Dunkel in der Halle gewöhnt hatten, hörte ich über meinem Kopf Vogelgezwitscher. Unter der Decke befand sich an einem Haken, der einst einen Kronleuchter getragen hatte, ein Nest. Ein Lichtstrahl, der durch ein Fenster in die Halle drang, fiel genau auf eine Büchse mit brauner Farbe, die auf der Holztreppe abgestellt war. Der Pinsel, der noch darin steckte, war steinhart. Dichte schwarze Spinnweben verhüllten die kümmerlichen Überbleibsel eines Sicherungskastens. Stromkabel, deren Kupferenden mit grober Hand zusammengedreht waren, hingen frei von einem Brettchen herunter.

      Die Bäuerin folgte mir ins Haus und nahm das Vorhängeschloß von einer Flügeltür, in die jemand die Nummer 7 eingeritzt hatte. Wir betraten das frühere Wohnzimmer. In der Mitte stand eine große Holzkiste mit faulem Obst. Ein aus der Wand gerissener Lichtschalter baumelte an den Drähten. In einer Ecke lag ein hüfthoher Trümmerhaufen. Kachelscherben deuteten die Stelle an, wo einmal ein Ofen gestanden hatte. Der Raum war stockfinster. Die Verandatür war zugemauert worden.

      Die Bäuerin führte mich durch die übrigen Räume. Keine einzige Tür verfügte über die Originalklinken. Messing war durch Aluminium ersetzt worden, oder man hatte Löcher in die Türen gebohrt, um sie mit einfachem Draht zu verschließen. Überall dasselbe: zertrümmerte Öfen, herausgerissene Dielen, Spinnweben in den Ecken, abblätternde Farbe, Hühner.

      »Sehen Sie doch, was die gemacht haben!« Sie zeigte aufgeregt auf ein großes Loch in der Decke des Eßzimmers. Ein wuchtiger, völlig verrotteter Balken schwebte bedrohlich über unseren Köpfen. Die Hausbesetzer, die oben gelebt hatten, seien daran schuld, meinte sie empört. Wasser drang durch die Ritzen und zerfraß das Gebälk. Ohne die Stützen im Eßzimmer wären das Dach und das ganze obere Stockwerk längst eingestürzt.

      Die Außenmauern waren ebenfalls beschädigt. Ein Riß in einer der Seitenmauern, der an manchen Stellen armdick war, zog sich von der Dachspitze bis zur Mitte des Erdgeschosses. Die Linde neben dem Haus war aller Wahrscheinlichkeit nach der Übeltäter. Ihre Wurzeln waren unter die Fundamente gewachsen und hatten die Mauer angehoben. Die komplette Mauer müßte abgerissen und Stein für Stein wieder aufgebaut werden.

      Sogar der Keller – ein Labyrinth aus kühlen Kammern mit gemauerten Wänden und gewölbten Decken – drohte zusammenzubrechen. Manche Schlußsteine hatten sich gelokkert. Entfernte man aber nur einen einzigen Stein, könnte die ganze Decke oder gar ein Teil des Hauses einstürzen. Und auch wenn sich die Gewölbe reparieren ließen, die Kellerräume waren tief und der Fluß sehr nahe. Nach dem Einbau einer Zentralheizung würden die Wände Wasser ziehen und könnte die Nässe zur Gefahr werden. Die Sicherung der Fundamente würde viel Zeit und Geld in Anspruch nehmen.

      Das Grundstück machte einen nicht weniger jämmerlichen Eindruck. Vom Pförtnerhaus, einem hübschen kleinen Gebäude, in dem noch bis 1982 Leute gewohnt hatten, war nur noch das Gemäuer übrig. Alle Fenster- und Türrahmen waren herausgerissen worden. Ein rostiges Stahlseil war um die Dachbalken geknüpft – offenbar hatte jemand versucht, der Ruine den Rest zu geben.

      Das Rauschen des Wassers wurde lauter, als ich mich dem Fluß näherte. Am gegenüberliegenden Ufer ragte ein Klinkerbau hoch – die alte Mühle. Als ich nähertrat, sah ich, wie ein Junge von einem Pfeiler kopfüber in den Wasserfall sprang. Kurze Zeit später tauchte er wieder auf und ließ sich stromabwärts in seichteres Wasser treiben. Die Mühle stand gerade noch; die Dachbalken im neugotischen Stil bogen sich schon deutlich durch. Wie ich später erfuhr, wurde sie von einer Karpfenzucht als Lagerhaus genutzt. An den Pfeilern im Fluß waren früher Turbinen befestigt. Ein paar riesige Eisenräder standen, mit einer Rostschicht und zahlreichen Spinnweben bedeckt, an die Mühle gelehnt, stumme Zeugen der nicht unbeachtlichen Erfindungsgabe früherer Zeiten.

      Direkt gegenüber vom Eingangsportal, auf der anderen Seite der Straße, die uns zum Haus geführt hatte, wuchs ein Fichtenwäldchen an der Stelle des Friedhofs. Alte Mauerreste deuteten darauf hin, daß er in der Vergangenheit mehrmals erweitert worden sein mußte, um den aufeinanderfolgenden Generationen der Besitzer Chobielins Platz zu bieten. Vom Eisengeländer, das ihn einmal eingegrenzt hatte, war keine Spur mehr übrig. Außerdem hatten die frömmlerischen Bauern die Kapelle zerstört und die Gräber geplündert. Was blieb, waren Grundgerippe aus Granit und Vertiefungen im sandigen Boden. Die Grabsteine – die aus schwarzem Marmor gehauen waren, wie wir später erfuhren – waren zu Wiederverwendungszwecken abtransportiert worden. Man mochte gar nicht wissen, was mit den menschlichen Überresten geschehen war. War es überhaupt eine so gute Idee, sich in der Nähe von Grabschändern niederzulassen?

      »Meine Güte, war es früher nicht schön hier?« Die Bäuerin seufzte, und ihre Augen wurden glasig, als sie an die alten Zeiten zurückdachte. »Hier standen einmal zwei Kastanien, eine auf dieser und eine auf der anderen Seite der Treppe.« Sie zeigte uns die beiden Kuhlen neben dem Portal. Im Schatten dieser Bäume fuhren einst die Kutschen auf einer gepflasterten Rampe vor. »Sie haben sie aber gefällt, weil sie Brennholz brauchten.« Das »sie«, womit die Hausbesetzer gemeint waren, sprach sie voller Verachtung aus. Im Garten, so erzählte sie, hatte es seltene Bäume gegeben, viel Rasen, Werkstätten, ein Kutschenhaus und auch ein großes Loch im Boden, das mit Granit ausgelegt war – der Eiskeller.

      »Ich nehme an, Sie wollen es abreißen und die Steine anderweitig nutzen?« Ihr verschmitzter Blick verriet mir, daß es dies war, was sie eigentlich wissen wollte. »Wenn Sie das vorhaben sollten ... wir haben nichts dagegen.«

      »Ich hatte eher vor, es wiederaufzubauen.«

      Sie schien überrascht. »Das ist auch gut.

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