Das polnische Haus. Radosław Sikorski

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Das polnische Haus - Radosław Sikorski eva digital

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sind wir nicht ...«

      Dann war die Leitung plötzlich tot.

      Ich schickte einen Brief, in dem ich – ohne den Preis zu kennen – mein Kaufinteresse bestätigte. Sechs Wochen später traf die Eilsendung in Bydgoszcz ein. Wie es so üblich war, erklärte eine angeheftete Notiz, daß die Sendung auf dem Postweg versehentlich beschädigt worden wäre. Der Brief war einfach aufgerissen und hernach in eine Plastikhülle gesteckt worden. Eigentlich hätte ich damals schon wissen sollen, daß das Regime am Ende war: Die Staatssicherheit hatte offenbar wichtigere Dinge zu tun, als ihre Schnüffelei ordentlich zu kaschieren.

      Wenigstens theoretisch stand das Gutshaus unter Denkmalschutz. Wie teuer den Kommunisten unser nationales Erbe tatsächlich war, kann man indessen an der Art und Weise ermessen, wie der Kaufpreis festgesetzt wurde: Die Lokalbehörden beauftragten einen Bauunternehmer, den Schrottwert der vor Ort befindlichen Steine, Balken und übrigen verwertbaren Baumaterialien zu schätzen.

      In letzter Minute bekam die Sache noch einen Haken. Die Mitarbeiterin der Stadtverwaltung, die bereits seit einem Jahr mit dem ganzen Papierkram betraut war, entsann sich plötzlich: »Haben Sie daran gedacht, daß Sie mit dem Erwerb jeden Anspruch auf Bezugsscheine verlieren?« Sie sah meine Eltern mit mitleidigem Blick an und erwartete wohl, daß sie jetzt einen Rückzieher machen würden. Sicherlich wäre keiner so leichtsinnig, sich seine Marken entgehen zu lassen.

      Soweit ich mich zurückerinnern kann, hatte es andauernd einen »vorübergehenden« Mangel an Luxusartikeln wie Seife, Schuhen, Toilettenpapier oder Wurst gegeben. Jetzt, in den achtziger Jahren, waren sogar Wodka, Zucker und Butter nur noch auf Marken zu bekommen. Die Bauern jedoch – als solcher galt jeder, der mehr als ein Hektar Land besaß – gingen weitgehend leer aus, da angenommen wurde, daß sie Schweine oder Hühner hielten und ihre Produkte gegen alles mögliche tauschen konnten.

      »Also gut, dann verzichten wir eben auf Bezugsscheine«, sagte mein Vater. Es war ihm egal, auch wenn er für den Rest seines Lebens Schweine und Hühner aufziehen müßte.

      So erwarben wir schließlich ein kaputtes Haus mit einigen Hektar Land in der Nähe einer Großstadt für weniger als tausend Pfund. Um genau zu sein, kostete uns die Übertragungsurkunde 6 849 899 Złoty, zu einer Zeit, als der inoffizielle Wechselkurs des Dollars 5500 Złoty betrug. Anfang 1989, als der Kaufvertrag geschlossen und das Geld überwiesen wurde, war das keine geringe Summe. Das durchschnittliche Monatseinkommen der Polen lag bei etwas mehr als 100 000 Złoty. Wir haben sicherlich zuviel bezahlt, nämlich den Gegenwert von einigen polnischen Autos, und das, obwohl das Kultusministerium damals empfahl, vergleichbare Objekte in ähnlich schlechtem Zustand für den symbolischen Betrag von einem Złoty zu veräußern. Dabei wurde der tatsächliche Wert von Chobielin durch den Umstand geschmälert, daß immer noch eine Familie ehemaliger Hofbediensteter dort wohnte. Theoretisch oblag es den Behörden, ihnen eine Ersatzwohnung zu stellen. In der Praxis konnte man jedoch nichts gegen Hausbesetzer ausrichten, und so wurde uns allmählich klar, daß wir ihnen, um sie zum Auszug zu bewegen, am Ende eine Wohnung kaufen mußten.

      Es hätte noch Jahre dauern können, bis ich endlich eine Chance bekommen hätte, Chobielin selbst zu besichtigen. Mit meinem Asylgesuch in Großbritannien hatte ich gegen das kommunistische Gesetz verstoßen, und so war mir die Einreise nach Polen unmöglich geworden. Im Februar 1989 beobachtete ich den Rückzug der Sowjetarmee aus Kabul, und trotzdem schien es mir bis zum Ende des Kriegs, den ich dem »Reich des Bösen« persönlich erklärt hatte, noch ein langer Weg zu sein. Schließlich bedurfte es aber nur noch eines kurzen Endspurts. Bereits im August saß ich auf den Zuschauerrängen des polnischen Parlaments und erlebte die Inauguration des ersten nichtkommunistischen Ministerpräsidenten Polens seit dem Krieg. Genau wie die Afghanen hatten wir endlich triumphiert, doch im Gegensatz zu ihnen war es mir vergönnt, die Früchte des Sieges zu kosten.

      Ein paar Wochen nach meiner Rückkehr aus Angola sprach ich in London mit einem polnischen Konsul. Derselbe Herr hatte mir einige Jahre zuvor erklärt, daß die Regierung es begrüßen würde, wenn eine unerwünschte Person wie ich ihre polnische Staatsbürgerschaft aufgäbe. Diesmal war er jedoch höchst zuvorkommend: »Paszporcik będzie w try miga« – »Wir werden ihnen in null Komma nichts einen hübschen kleinen Paß ausstellen«.

      Vierzehn Tage später war ich in Westberlin und passierte die Mauer Richtung Osten. Im Morgengrauen erreichten mein Vater und ich die polnische Grenze. Zum ersten Mal erblickte ich Polen als Erwachsener. In einem Dorf sahen wir im Vorbeifahren, wie eine in Weiß gekleidete Frau die Fensterläden eines Geschäfts öffnete. Davor hatte sich schon eine fröstelnde Warteschlange gebildet. In einem anderen Ort machte ein Polizist in seinem Wagen ein Nickerchen, das müde Haupt gegen die Kopfstütze gelehnt, ohne Interesse für die Radaranlage, die am Straßenrand postiert war. Er regte sich überhaupt nicht, obwohl wir mit Sicherheit das Tempolimit überschritten hatten. Milchfahrer fuhren mit ihren Fuhrwerken an den Bauernhöfen vorbei und luden mit gekrümmtem Rücken die auf Holzgestellen bereitstehenden Milchkannen auf. Wild dreinschauende Männer, die immer noch oder schon wieder betrunken waren, torkelten über die Straße.

      Während der Fahrt versuchte ich mir vorzustellen, wie die Landschaft vor dem modernen architektonischen Durcheinander ausgesehen hatte. In einem Dorf verrieten nur noch eine zerbrochene Steintafel und ein Engelsflügel aus Gips, die aus dem Laub hervorschauten, was der kleine Hügel neben der Straße einmal gewesen war: ein deutscher Friedhof. Auf einem Hof ruhte der Neubau einer asbestbeschichteten Scheune auf Grundmauern aus Granit, die der einstige Eigentümer für die Ewigkeit errichtet hatte. Ab und zu ließ ich meinen Blick über kleine Straßen mit Kopfsteinpflaster gleiten, die von der Hauptstraße ins Gestrüpp führten, und manchmal erspähte ich dabei das ramponierte Portal eines noch erhaltenen Gutshauses oder auch nur einen Haufen Steine, wo einst ein solches Haus gestanden hatte.

      Drei Stunden hinter der Grenze erreichten wir unsere Heimatgegend in der Nähe meiner Geburtsstadt Bydgoszcz. An der Bushaltestelle von Jarużyn, einer von Unkraut überwucherten, mit obszönen Sprüchen bekritzelten Betonhütte, bogen wir von der Hauptstraße ab. Die letzten Kilometer legten wir auf einer unbefestigten Straße zurück, über Schlaglöcher ruckelnd und in eine dichte Staubwolke gehüllt. Wir näherten uns Chobielin.

      Der Grundriß des alten Gutshofes war noch erkennbar. Wir fuhren an der Schmiede mit ihrem schiefhängenden Dach vorbei. Vor einer Ansammlung von Scheunen und Häuschen – den alten Wirtschaftsgebäuden – winkten uns Kinder mit schwarz verschmierten Gesichtern zu. Plötzlich wurden sie aber scheu, steckten sich den Daumen in den Mund und schauten weg. Dann fuhren wir wieder in den Schatten auf eine lange Allee von hohen Kastanien, die wie ein abgenutztes Gebiß hier und da Lücken aufwies. Steine, die früher einmal ein Kopfsteinpflaster gebildet hatten, schlugen unter meinen Füßen an die Aufhängung des Wagens. Wir befanden uns auf der Zufahrt zum eigentlichen Gutshaus.

      Von einem kleinen Hügel aus konnten wir den Park sehen. Knorrige Eichen und Ulmen in sanften Grüntönen erhoben sich inmitten eines leuchtenden, mit Klatschmohn gesprenkelten Maisfelds – wie alte Männer inmitten ihrer blonden Enkel. Bald darauf brummten wir durch einen dunklen Tunnel aus Bäumen, deren Kronen zusammengewachsen waren. Wir mußten anhalten, um Felsbrocken und Äste aus dem Weg zu räumen. Am Ende des Tunnels drang Licht durch das Blätterwerk. Wir traten hinaus ins helle Tageslicht, und da lag, etwa hundert Meter enfernt auf einer Anhöhe zwischen Park und Fluß, eine malerische Ruine.

      In den grellen Strahlen der Morgensonne hob sich deutlich ein spitzes Dach mit Pfannen in der Farbe reifer Orangen gegen den Hintergrund sattgrüner Baumwipfel ab. Die Mauern bestanden aus verwitterten Ziegelsteinen von altmodischer Größe, die nur noch zum Teil von grauem Putz überzogen waren. Vier quadratische Säulen, an denen ebenfalls der Putz bröckelte, stützten einen geländerlosen Balkon, aus dem ein wildes Gestrüpp hervorwuchs. Links vom Portal waren die Fensterscheiben zerbrochen, und Vögel flogen ein und aus, doch auf der rechten Seite hingen noch Vorhänge. Darüber waren einige Dachziegelreihen durch Zinkplatten ersetzt

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