Das polnische Haus. Radosław Sikorski

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Das polnische Haus - Radosław Sikorski eva digital

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wir hier im Nu ausgezogen.« Die Fronten waren klar. Schon bald sollte ich die Entdeckung machen, daß das polnische Gesetz eine Zwangsräumung so gut wie ausschloß.

      Frau Erlich war im Grunde nur vernünftig. Ein nüchtern denkender Mensch würde sagen, daß Chobielin ein hoffnungsloser Fall war, den man lieber heute als morgen dem Erdboden gleichmachen sollte, bevor noch irgendein Unglück geschah. Gab es überhaupt etwas zu retten? Jeder Immobilienmakler hätte das Unternehmen lächerlich gefunden. Es wäre einfacher, zeitsparender und billiger gewesen, ein ähnliches Gebäude im Neubau zu errichten.

      Doch für mich war die Instandsetzung von Chobielin viel mehr als eine Investition in eine Immobilie. Manchmal kamen mir Zweifel, und ich betrachtete es als eine fixe Idee – als meine eigene Art und Weise, gegen Windmühlen zu kämpfen. Doch dann hoffte ich, daß es mein persönlicher Beitrag zum Wiederaufbau Polens sein würde und ein letztes Gefecht gegen die Kommunisten. So wie ich sie früher mit einem Teleobjektiv, einem Computer und ein oder zwei Garben aus einem Maschinengewehr bekriegt hatte, würde ich ihrem Erbe von nun an mit Ziegelsteinen, Mörtel und Hochglanzlack zu Leibe rücken. Ich wollte wenigstens ein kleines Fleckchen polnischen Bodens von dem Schmutz säubern, den die Kommunisten im buchstäblichen und übertragenen Sinne hinterlassen hatten. Hatte ich mich früher nicht zwingen lassen, ihre glorreiche Zukunft mitaufzubauen, so wollte ich nun ein Stückchen polnischer Vergangenheit erhalten. Meine größte Befriedigung wäre, so sagte ich mir, wenn in einigen Jahren meine Gäste nach Chobielin kämen, sich umsähen und glauben würden, der Kommunismus hätte diesen einsamen Ort durch eine seltsame Fügung verschont.

      KINDHEIT UNTER DEM KOMMUNISMUS

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      WEIL DER KOMMUNISMUS versuchte, die Vergangenheit abzuschaffen, entwickelte ich eine Leidenschaft für alte Gegenstände. Und gerade weil man mir beigebracht hatte, daß die Gutshäuser ein Relikt aus feudalistischen Zeiten darstellten, war ich so erpicht darauf, irgendwann selbst in einem dwór zu wohnen. Wie jede Art von Weltreligion verordnete der Kommunismus nicht nur eine neue Politik, eine neue Moral und eine neue Sprache, sondern auch eine neue Ästhetik, nicht zuletzt in der Architektur. Die Grundschule, die ich besuchte, war ein typischer Betonklotz aus den späten sechziger Jahren, nach einem Modellentwurf erbaut im Rahmen der Regierungskampagne »Eintausend Schulen für das Neue Polnische Jahrtausend«. Wir lebten damals in einem typischen kommunistischen Wohnkomplex, einem Le-Corbusier-Abklatsch in sozialistischer Bauweise. Um ehrlich zu sein, war unser Haus, das ebenfalls aus den Sechzigern stammte, bei weitem nicht so schlecht wie spätere Bauten: Es war ein Backsteingebäude, jede Wohnung verfügte über zwei Balkone, und zwischen den verschiedenen Blocks blieb genügend Raum für einen Kinderspielplatz. Das beruhte keineswegs auf Zufall. Meine Eltern hatten die Wohnung ergattern können, weil sie in einer Baugenossenschaft arbeiteten. Da die beteiligten Architekten auch Wohnungen für sich selbst bauten, umgingen sie die geltenden Regelungen, um den Blocks mehr Platz einzuräumen, und die Bauarbeiter gaben natürlich ihr Bestes. So triumphierte die menschliche Natur über den staatlich verordneten Altruismus.

      Dank dieser Umstände stehen die Blocks immer noch, während zahllose andere in der ehemalig kommunistischen Welt von Tag zu Tag weiter zerfallen oder beim geringsten Anzeichen eines Erdbebens oder einer Gasexplosion in sich zusammenbrechen. Ja, man kann die jeweilige Lebendigkeit des kommunistischen Glaubens an den Gebäuden ablesen, die das Regime über die Jahre errichten ließ: Mussoliniähnlicher Heroismus in den glatten Fassaden der fünfziger Jahre, nüchterne Ziegelsteinbauten in den Sechzigern, schäbige Plattenbauten in den Siebzigern und rein gar nichts in den Achtzigern.

      Ein Rebell wurde ich jedoch nicht einfach nur aufgrund der Häßlichkeit, die uns umgab, sondern wegen der kruden Methoden der Gehirnwäsche, die an uns ausprobiert wurden. Mein erstes politisches Erlebnis hatte ich im Alter von fünf Jahren; es war meine erste Maidemonstration. Eine riesige Menschenmasse hatte sich in der Hauptstraße unserer Stadt, der Allee des 1. Mai, gesammelt. Um alles besser sehen zu können, kletterte ich auf die Schultern meines Vaters und dann auf einen Baum. Unter mir sah ich ein Meer von lächelnden Zuschauern. Es war ein Festumzug; es machte Spaß. Orchester spielten Marschmusik, Lieder erschallten aus Lautsprechern, Festwagen fuhren vorbei, und überall gab es Blumen. Ich bekam ein paar Lutscher, Zuckerwatte und ein rotes Fähnchen zum Schwenken. Am Vormittag hatte ich im Fernsehen Bilder von der Maiparade in Moskau gesehen, komplett mit Panzern und Raketen, die über den Roten Platz rollten. Per Direktschaltung wurde auch über die jeweiligen Paraden in anderen befreundeten Ländern berichtet, und man erzählte uns, daß die Arbeiter im kapitalistischen Ausland zu eingeschüchtert seien, an Maikundgebungen teilzunehmen. Dazu wurden Bilder von der kapitalistischen Polizei gezeigt, die unter Einsatz von Tränengas Demonstrationen auflöste.

      Die Politik fehlte auch in der Grundschule nicht. Die Indoktrination begann spätestens im Alter von sechs Jahren. Ein Schulbuch aus der damaligen Zeit lehrte uns die sozialistische Solidarität mit den Unterdrückten in der Dritten Welt. Im Rückblick mutet der darin abgedruckte Reim ziemlich rassistisch an:

      In Afrika lebt ein Negerlein,

       Ein Genosse mit schwarzer Haut.

       Fleißig lernt er im Sonnenschein,

       Die Lektion liest er deutlich und laut.

       Doch wenn er aus der Schule kommt,

       Denkt er nur ans Spielen und Tollen,

       Da schimpft mit ihm die Mutter prompt,

       Und Bambo fängt an zu schmollen.

       Komm, sagt sie, dein Brei wird kalt,

       Doch da ist Bambo schon längst im Wald.

      Später spielte ich oft die kommunistische Version von Trivial Pursuit. Das Buch mit den Quizfragen steckte in einer glitzernden bunten Schachtel. Gefragt wurde bei dem Spiel nach den Kenntnissen, die man über die sozialistischen Bruderländer und ihre Produktionszahlen hatte. Eine der Aufgaben bestand darin, zu einem Land, zum Beispiel Rumänien, oder auch zu dessen Flagge das passende Staatsoberhaupt, in diesem Falle Nicolae Ceaușescu, zu finden. Bei anderen Fragen ging es darum, die Erfolge der sowjetischen Raumfahrt aufzuzählen oder das Volumen der polnischen Stahlproduktion zu erraten.

      Mein Lieblingscomic war Die Abenteuer des Zickleins Matolek, die Geschichte von einem kleinen Ziegenbock, der auszog, die Stadt Pacanów zu suchen, im festen Glauben, dort Ziegenhufe erstehen zu können. Der klassische Kindercomic aus der Vorkriegszeit bildete später die Vorlage für einen Zeichentrickfilm. Matolek heißt buchstäblich »kleiner Trottel«, und das Zicklein mit dem naiven Gesicht und den kurzen Hosen ist gerade deshalb so liebenswürdig, weil es sich so tolpatschig anstellt. Erst viel später wurde mir bewußt, wie sehr die Geschichte von den Zensoren den neuen Zeiten angepaßt worden war. Nachdem sich Matolek während seiner abenteuerlichen Reise plötzlich auf dem Mond wiederfindet, fliegt er auf dem kometenartigen Schweif eines Sterns wieder zur Erde zurück. In der Vorkriegsfassung des Comics handelt es sich dabei um einen sechszackigen Stern – den herkömmlichen Weihnachtsstern. In der Fassung, die ich zu lesen bekam, hatte der Stern eine Zacke eingebüßt und glich nun dem Symbol der russischen Revolution.

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