William Lovell. Ludwig Tieck

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William Lovell - Ludwig Tieck

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nicht mitspielen, und wenn sie mir selbst die vornehmste Rolle geben wollten. – Eine Art von Stücken gibt es, wo man immer weinen muß, ich habe es aber, bei aller Mühe, noch nicht dahin bringen können; die vornehmen Damen sind darin mehr geübt, aber der gute Herr William nimmt mich manchmal doch wieder mit: er hat auch noch kein einziges Mal darin geweint: ich denke, es macht, weil wir hier nur Fremde sind. –

      In einem andern großen Hause lachen die Leute immer aus vollem Halse: es ist doch wirklich viel, daß das die Komödiantenleute nicht übelnehmen. Ich kann hier den jungen Italiener nicht leiden, der meinen Herrn manchmal besucht, er hat ein paarmal angefangen zu lachen, als ich mit meinem Herrn William eine ernsthafte Rede anfing; das Auslachen kann ich gar nicht leiden, Thomas, Du weißt noch, daß wir uns schon in einigen der ehemaligen Jugendjahre tüchtig ausschlugen, weil Du mich etlichemal hattest auslachen wollen, doch, das ist itzt vorbei, und ich hab es Dir vergeben. –

      Wie ich Dir sagen wollte, so gefällt mir das Ding am besten, was sie hierzulande die Oper nennen, da braucht man nicht zu tun, als wenn man es verstünde, denn da wird einem jeden alles weitläuftig vorgesungen, und es ist ein recht vernünftiger Gedanke, daß wenn sie überdrüssig sind zu singen, so springen sie etliche Sätze herum. Die Musik ist Dir immer unter sehr viel Instrumente abgeteilt, damit der Lärm desto größer wird und die Komödiantensänger nicht die Herzhaftigkeit verlieren, denn das ist nicht ein geringer Spaß, wenn auf etliche darunter geschossen wird, oder manchmal werden sie auch ordentlich gestochen und sterben. – Herrlich sind dabei die Bilder, welche Häuser, oder Gärten, oder so etwas vorstellen, man möchte manchmal hineingehn, so natürlich scheint es in der Ferne auszusehn. Neulich war eine große Prügelei hier, ich glaube, es war eine Schlacht, die der berühmte Alexander machte. Sie war gut.

      In Paris gibt es auch sehr viel arme Leute; Thomas, ich denke doch immer, daß die armen Franzosen auch meine Brüder sind, wenn ich auch im Grunde ein Engländer bin, ich habe manchem schon etwas von meinem Überflusse gegeben, und die bedanken sich dann immer so sehr, als wenn ich wunder was! getan hätte. – Wozu doch der liebe Gott wohl die so ganz armen Menschen in der Welt geschaffen haben mag? – Wenn ich erst einem etwas gebe, so kommen gleich eine Menge um mich herum, die mich so mit barmherzigen Augen ansehn, daß ich es gar nicht lassen kann, ihnen auch was zu geben; der eine drückt mir dann die Hand, der andre sieht nach dem Himmel, der dritte weint – oh, da hab ich oft mitgeweint und mich nicht dazu gezwungen, es kamen mir die Tränen ganz unverhofft – ach, es sind recht gute Leute, wenn sie nur ihr gehöriges Brot in der Welt hätten.

      Die vornehmen Leute fahren hier in der Stadt sehr geschwinde, viel zu geschwinde, wie ein Jagdpferd. Es werden auch manchmal Leute übergefahren, und da machen sie sich nicht viel daraus, sie fahren über die Menschen ganz geruhig weg. – Thomas, auch darüber hab ich neulich geweint, wie sie so einen armen alten Mann überfuhren, der eben seinen kleinen Kindern Brot eingekauft hatte: es war gerade ein Fest, und er hatte sich weiß Brot gekauft, um sich doch auch eine Freude zu machen, und nun fuhren sie ihn gerade so unbarmherzig über, daß er schon am Abende starb. – Es ist nicht recht, Thomas, ich könnte nicht wieder recht ruhig schlafen, aber das ist hier nicht anders. Wir beide haben noch niemand übergefahren, denn wir sind immer zu Fuße gegangen, außer seit ich mit meinem Herrn auf Reisen bin. Übrigens bleibe mein Bruder, so wie ich bin

      Dein guter Bruder Willy.

      4

      Thomas an seinen Bruder Willy

      Bondly.

      Ich habe Deinen Brief bekommen, Willy, und es freut mich, daß Du auch immer noch in der großen weiten Welt an Deinen Bruder denkst, das ist sehr brav von Dir. – Ich habe schon von solchem närrischen Zeuge und auch von solchen Greueltaten gehört, wie Du mir da schreiben willst, es ist in der Welt einmal nicht anders. Ich weiß nicht, ob Du schon davon gehört hast daß ich itzt in Bondly wohne und in Diensten beim alten Lord Burton bin. Die Lady Buttler ist gestorben und da bin ich nun hierhergekommen. – Der alte Lord ist bei weitem nicht der Mann, der er sein könnte, wenn er ein recht guter Christ wäre – nun, Du wirst ihn ja kennen, aber der junge Herr ist auch ein desto lieberer Herr, wenn der erst einmal die Herrschaft kriegen wird, da werden sich die Untertanen recht freuen, zu denen ich doch itzt auch gehöre. Ich wünschte wohl, daß ich's noch erlebte, und daß Du, Willy, mich dann in Bondly besuchtest, oder gar hierbliebest, der junge Herr Burton nähme Dich gewiß gleich in Dienste, dann wollten wir unsre letzten Tage noch recht vergnügt zusammenleben. – Grüße doch Deinen Herrn von mir und sage ihm, er möchte mein guter Freund bleiben, so wie ich

      der seinige. Thomas.

      Nachschrift. Schreibe mir sooft Du kannst, Willy; nur muß ich Dir noch sagen, daß Deine Art zu schreiben gerade nicht die schönste ist, alles ist immer so dunkel, wenn man nicht selbst etwas Verstand hätte, so würde man Dich nimmermehr verstehn. – Demohnerachtet bin ich

      Dein zärtlicher Bruder, Thomas.

      5

      Eduard Burton an William Lovell

      Bondly.

      Deine Briefe erfreuen mich um so mehr, um so heiterer und lebensmutiger sie sind. Ich teile Deine Sehnsucht nach einer entflohenen schönen alten Zeit; aber soll in dieser Sehnsucht nicht selbst ein Gewinn für uns liegen? Jener Lebensmut des Altertums ist uns wohl entwichen, aber es ist uns vielleicht vergönnt, Natur und Kunst mit mehr Inbrunst zu lieben und zu erfassen; denn gewiß muß der Geist der Menschheit, das Verständnis der Dinge, ebenfalls eine Geschichte haben, und in keiner Geschichte ist ein ununterbrochenes Rückschreiten möglich: jene Völker, die uns als Beispiel dienen könnten, haben eben auch ihre Geschichte verloren. Der Zustand tierischer Wildheit ist kein menschlicher Zustand mehr. Darum sind uns alle großen Erinnerungen alter Zeiten so wert, weil sie an sich selbst schon unser Gemüt erheben, und zugleich in uns den Vor- und Rückblick, die Ahndung einer wundersamen aber notwendigen Verkettung der Dinge, kurz, eine wahre Geistergeschichte zum Licht erheben. Darum wirst Du auch, wie die meisten Reisenden tun, den Erinnerungen und Denkmalen des sogenannten Mittel-Alters nicht gleichgültig aus dem Wege gehen, denn alles was die Neueren echte Kunst und Poesie nennen dürfen, scheint mir doch nur als die letzte Verwandelung dieser noch ziemlich unbekannten und unerkannten Jahrhunderte uns anzuglänzen. Den Griechen und Römern haben die Künste schwerlich so viel zu danken, als sie sich selbst immer schmeicheln möchten, und vielleicht ist in diese mehr Mißverständnis als Verständnis aus den klassischen Autoren gekommen. Mit der Philosophie und Wissenschaft ist es freilich ein ganz anderer Fall, und insoferne keine Zeit eine Kunst besitzen kann, die von der Wissenschaft keinen Einfluß erführe, haben Poesie und ihre Geschwister auch gewiß viel Gutes, aber aus der zweiten Hand, von jenen Alten bekommen.

      Ich lebe hier im einsamen Bondly einförmig und ohne Freund. Am schlimmsten ist es, daß ich mich oft innerlich härme und quäle, wenn ich die menschenfeindliche Stimmung meines Vaters und jene traurige Verzweiflung in ihm wahrnehme, welche er Menschenkenntnis nennt.

      Deine Tante in Waterhall ist gestorben, ihr Gut ist an Dich gefallen – William – darf ich mir eine schöne Zukunft denken, in welcher Du dort wohnst, so nahe bei mir? Ich verweise alle meine Wünsche in jene Zeit, aber eine boshafte Ahndung will es mir manchmal ableugnen, daß sie sich je erfüllen werden. –

      6

      William Lovell an Amalie Wilmont

      Paris.

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