Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

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Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Honore de Balzac Gesammelte Werke bei Null Papier

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Ver­brei­tung der bö­sen Nach­richt, die so schnell vor sich zu ge­hen pflegt, zu­vor­zu­kom­men. Ich er­kun­dig­te mich nach dem kür­zes­ten Wege und ging auf den Fuß­stei­gen des Bour­bonnais, in­dem ich so­zu­sa­gen einen To­ten mit mir schlepp­te. Je nä­her ich dem Schlos­se von Mont­per­san kam, um so schreck­li­cher er­schi­en mir die ei­gen­ar­ti­ge Pil­ger­fahrt, die ich un­ter­nom­men hat­te. Mei­ne Phan­ta­sie spie­gel­te mir Tau­sen­de von ro­man­ti­schen Bil­dern vor. Ich stell­te mir alle Si­tua­tio­nen vor, in de­nen ich Frau von Mont­per­san, oder um der ro­man­haf­ten Poe­sie zu ge­nü­gen, der so sehr ge­lieb­ten ›Ju­li­et­te‹ des jun­gen Rei­sen­den be­geg­nen könn­te. Ich dach­te mir geist­vol­le Ant­wor­ten auf Fra­gen aus, von de­nen ich an­nahm, daß sie mir ge­stellt wer­den könn­ten. An je­der Wal­de­se­cke, an je­dem Hohl­weg wie­der­hol­te sich die Sze­ne von So­fi­as und sei­ner La­ter­ne, der er den Schlacht­be­richt ab­stat­tet. Wie ich zu mei­ner Schan­de ge­ste­hen muß, dach­te ich zu­nächst nur an mein Auf­tre­ten, an mei­ne geist­rei­chen Wor­te, an die Ge­wandt­heit, die ich ent­wi­ckeln woll­te; erst als ich mich auf dem Gute selbst be­fand, traf mich eine Er­wä­gung wie ein Blitz­strahl, der einen Schlei­er grau­er Wol­ken durch­dringt und zer­reißt. Wel­che schreck­li­che Nach­richt soll­te ich ei­ner Frau brin­gen, die in die­sem Au­gen­blick ganz mit ih­rem jun­gen Freun­de be­schäf­tigt war, die von Stun­de zu Stun­de auf na­men­lo­se Freu­den hoff­te, nach­dem sie sich tau­send­fach Mühe ge­ge­ben hat­te, um ihn in un­ver­däch­ti­ger Wei­se bei sich emp­fan­gen zu kön­nen. Es war so­mit die Er­fül­lung ei­ner grau­sa­men Pf­licht, der Bot­schafts­über­brin­ger des To­ten zu sein. Und so be­schleu­nig­te ich mei­ne Schrit­te, wo­bei ich mich be­schmutz­te, wenn ich in dem Kot der Wege des Bour­bonnais ste­cken blieb. Ich er­reich­te nun bald eine große Kas­ta­ni­en­al­lee, an de­ren Ende die Mas­sen des Schlos­ses von Mont­per­san sich ge­gen den Him­mel wie dunkle Wol­ken mit hel­len phan­tas­ti­schen Rän­dern ab­zeich­ne­ten. Als ich an der Tür des Schlos­ses an­lang­te, fand ich sie voll­kom­men of­fen­ste­hend. Die­ser un­vor­her­ge­se­he­ne Um­stand stör­te mei­ne Plä­ne und Voraus­set­zun­gen. Nichts­de­sto­we­ni­ger trat ich mu­tig ein und sah bald ne­ben mir zwei Hun­de, die wie wah­re Dorf­kö­ter bell­ten. Auf die­sen Lärm hin kam ein dickes Dienst­mäd­chen her­bei­ge­lau­fen, und als ich ihr ge­sagt hat­te, daß ich die Frau Grä­fin spre­chen woll­te, zeig­te sie mit der Hand auf die Baum­grup­pen ei­nes eng­li­schen Parks, der sich um das Schloß her­um­zog, und ant­wor­te­te mir: »Die gnä­di­ge Frau ist dort …«

      »Dan­ke«, sag­te ich iro­nisch. Ihr »dort« konn­te mich zwei Stun­den lang im Park um­her­ir­ren las­sen.

      In­zwi­schen war ein hüb­sches klei­nes Mäd­chen mit lo­cki­gen Haa­ren, ei­nem rosa Gür­tel um das wei­ße Kleid und ei­nem plis­sier­ten Kra­gen da­zu­ge­kom­men und hör­te oder be­griff mei­ne Fra­ge und die Ant­wort. Als sie mich ge­se­hen hat­te, ver­schwand sie wie­der und rief in et­was schar­fem Ton: »Mama, da ist ein Herr, der dich spre­chen will!« Ich folg­te über die Win­dun­gen der Al­leen hin dem Auf und Ab ih­res wei­ßen Kra­gens, der, ähn­lich ei­nem Irr­licht, mir den Weg an­zeig­te, den das klei­ne Mäd­chen ein­schlug.

      Ich will nichts ver­schwei­gen. Bei dem letz­ten Ge­büsch der großen Al­lee hat­te ich mei­nen Kra­gen hin­auf­ge­zo­gen, mei­nen schlech­ten Hut und mei­ne Bein­klei­der mit den Schö­ßen mei­nes Rockes, mei­nen Rock mit den Är­meln und die­se, einen mit dem an­dern ge­rei­nigt; dann hat­te ich den Rock sorg­fäl­tig zu­ge­knöpft, um den Stoff der Auf­schlä­ge, der im­mer et­was fri­scher als das üb­ri­ge aus­sieht, se­hen zu las­sen; end­lich ließ ich die Bein­klei­der über die Stie­fel her­ab, die ich sorg­sam im Gra­se ge­rei­nigt hat­te. Dank die­ser Gas­ko­gner-Toi­let­te hoff­te ich, nicht für einen Land­strei­cher der Un­ter­prä­fek­tur ge­hal­ten zu wer­den; aber wenn ich mich in die­se Stun­de mei­nes Ju­gend­le­bens heu­te zu­rück­ver­set­ze, so muß ich selbst dar­über la­chen.

      Gera­de als ich mich so in Po­si­tur ge­setzt hat­te, be­merk­te ich plötz­lich hin­ter der Krüm­mung ei­nes grü­nen Ge­bü­sches in­mit­ten von tau­send, von ei­nem war­men Son­nen­strahl über­gos­se­nen Blu­men Ju­li­et­te und ih­ren Mann. Das hüb­sche klei­ne Mäd­chen hielt die Mut­ter an der Hand, und man konn­te leicht wahr­neh­men, daß die Grä­fin auf die merk­wür­di­gen Wor­te ih­res Kin­des hin ihre Schrit­te be­schleu­nigt hat­te. Er­staunt über den An­blick ei­nes Un­be­kann­ten, der sich ziem­lich lin­kisch vor ihr ver­beug­te, blieb sie ste­hen und zeig­te mir ein Ge­sicht, auf dem sich küh­le Höf­lich­keit mit ei­nem ent­zücken­den Schmol­len misch­te, das alle ihre ge­täusch­ten Hoff­nun­gen ver­riet. Ich such­te aber ver­geb­lich nach ei­ni­gen mei­ner schö­nen Re­dens­ar­ten, die ich mir so müh­sam aus­ge­klü­gelt hat­te. Wäh­rend die­ses Mo­ments, da wir bei­de zu spre­chen zö­ger­ten, war auch der Ehe­gat­te auf dem Schau­platz er­schie­nen. Tau­send Ge­dan­ken durch­kreuz­ten mein Hirn. Um mir et­was Hal­tung zu ge­ben, re­de­te ich ei­ni­ge nichts­sa­gen­de Wor­te, in­dem ich frag­te, ob die hier an­we­sen­den Per­so­nen auch wirk­lich der Herr Graf und die Frau Grä­fin von Mont­per­san sei­en. Die­ses Ge­schwätz ge­stat­te­te mir, die bei­den Ehe­gat­ten, de­ren Zu­rück­ge­zo­gen­heit so hef­tig ge­stört wer­den soll­te, mit ei­nem ein­zi­gen Blick zu be­ur­tei­len, und mit ei­ner für mein Al­ter sel­te­nen Scharf­sich­tig­keit über ih­ren Cha­rak­ter klar zu wer­den. Der Mann schi­en mir der Ty­pus des Lan­de­del­man­nes zu sein, wie er au­gen­blick­lich den schöns­ten Schmuck der Pro­vinz bil­det. Er trug gro­be Schu­he mit di­cken Soh­len; ich er­wäh­ne sie zu­erst, weil sie mir noch mehr ins Auge fie­len, als sein schwar­zer, ab­ge­tra­ge­ner Rock, sei­ne ab­ge­schab­te Hose, sei­ne schlecht ge­bun­de­ne Kra­wat­te und sein her­un­ter­ge­drück­ter Hemd­kra­gen. Es steck­te in die­sem Man­ne et­was von ei­nem Rich­ter, viel mehr von ei­nem Prä­fek­tur­rat, die gan­ze Wich­tig­keit ei­nes kan­to­na­len Bür­ger­meis­ters, dem nie­mand Wi­der­stand zu leis­ten ver­mag, und die Ver­stim­mung ei­nes wähl­ba­ren Kan­di­da­ten, der seit dem Jah­re 1816 re­gel­mä­ßig durch­ge­fal­len war; er wies eine un­wahr­schein­li­che Mi­schung von bäu­ri­schem prak­ti­schem Ver­stan­de und von Dumm­heit auf; kei­ne Ma­nie­ren, aber den Dün­kel der Rei­chen; star­ke Un­ter­tä­nig­keit sei­ner Frau ge­gen­über, sonst aber sich für den ge­bie­ten­den Her­ren hal­tend, der in den un­er­heb­lichs­ten Din­gen Wi­der­stand leis­tet, sich aber um die wich­ti­gen An­ge­le­gen­hei­ten nicht küm­mert; im üb­ri­gen ein ver­leb­tes, sehr runz­li­ges, ver­trock­ne­tes Ge­sicht mit ei­ni­gen we­ni­gen grau­en, lan­gen, flach an­lie­gen­den Haa­ren, so war die Er­schei­nung die­ses Man­nes. Aber die Grä­fin! Oh, wel­chen star­ken und auf­fal­len­den Ge­gen­satz bil­de­te sie zu ih­rem Man­ne! Sie war eine klei­ne Frau von schlan­ker, gra­zi­öser Fi­gur, rei­zend, zier­lich und so zart, daß man fürch­ten muß­te, sie beim Berüh­ren zu zer­bre­chen; sie trug ein wei­ßes Mus­se­lin­kleid und auf dem Kop­fe ein hüb­sches Häub­chen mit rosa Bän­dern, einen rosa Gür­tel und einen Um­hang, der ihre Schul­tern und ihre schö­ne Büs­te so reiz­voll um­schloß, daß der An­blick die un­wi­der­steh­li­che Be­gier­de, sie zu be­sit­zen, auf­kei­men ließ. Sie hat­te leb­haf­te, schwar­ze, aus­drucks­vol­le Au­gen, reiz­vol­le Be­we­gun­gen und ent­zücken­de Füße. Ein al­ter er­fah­re­ner Frau­en­ken­ner hät­te sie höchs­tens auf drei­ßig Jah­re ge­schätzt,

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